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Radar statt Stethoskop?

Radar statt Stethoskop?

Erlanger Wissenschaftler entwickeln Verfahren zur berührungslosen Detektion der Herztöne

Elektrotechniker der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben gemeinsam mit der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus und der Palliativmedizinischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen ein Verfahren entwickelt, mit dem Herztöne per Radar zuverlässig detektiert und diagnostiziert werden können. Mobile Radargeräte könnten künftig herkömmliche Stethoskope ersetzen, außerdem ist eine permanente berührungslose Überwachung der Vitalfunktionen mit stationärem Radar möglich. Die Ergebnisse wurden jetzt im renommierten Fachjournal Scientific Reports veröffentlicht (Scientific Reports: Radar-Based Heart Sound Detection, doi: 10.1038/s41598-018-29984-5).

Das Stethoskop ist - neben dem weißen Kittel - das Markenzeichen von Ärzten. Es wird verwendet, um Geräusche von Herz und Lunge zu diagnostizieren. Beim klassischen "Abhorchen" werden Schwingungen der Körperoberfläche auf eine Membran im Kopf des Stethoskops übertragen, an das Trommelfell des Untersuchenden weitergeleitet und als Töne wahrgenommen. Akustische Stethoskope sind vergleichsweise preiswert und arbeiten seit vielen Jahrzehnten zuverlässig, aber sie haben einen Nachteil: Die Diagnose von Herzgeräuschen, etwa die Beurteilung der Herzklappenfunktion, erfolgt subjektiv und ist unmittelbar von der Erfahrung des Arztes abhängig.

Radar kann Herztöne messen

In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt haben Erlanger Forscher vom Lehrstuhl für Technische Elektronik (LTE) jetzt ein Verfahren entwickelt, das die klassische Phonokardiologie eines Tages ablösen könnte: Mittels eines sogenannten Sechstor-Dauerstrich-Radarsystems messen sie Vibrationen der Haut, die durch den Herzschlag verursacht werden. "Wir bedienen uns im Grunde einer ähnlichen Methode, die auch bei der Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr zum Einsatz kommt", erklärt Christoph Will, Doktorand am LTE. "Dabei wird eine Radarwelle auf die Oberfläche eines Objektes gerichtet und reflektiert. Bewegt sich das Objekt, ändert sich die Phase der reflektierten Welle. Daraus errechnen wir dann die Stärke und Frequenz der Bewegung, in unserem Fall des Brustkorbes." Im Unterschied zum Verkehrsüberwachungsradar ist das biomedizinische Radarsystem in der Lage, Bewegungsänderungen im Bereich weniger Mikrometer zu erfassen - eine wichtige Voraussetzung dafür, selbst kleinste Anomalien zu diagnostizieren, zum Beispiel Insuffizienzen, Stenosen oder nicht korrekt schließende Herzklappen.

So zuverlässig wie etablierte Messverfahren

Die ersten Testversuche verliefen überaus erfolgreich: Die Probanden wurden in verschiedenen Aktivierungszuständen - in Ruhe und nach dem Sport - untersucht und ihre Herztöne wurden detektiert. Der direkte Abgleich des Radarsystems mit herkömmlichen Standardinstrumenten - einem digitalen Stethoskop und einem Elektrokardiografen - zeigte eine sehr hohe Korrelation. Kilin Shi, ebenfalls Doktorand am LTE: "Bei der Diagnose des S1, des ersten Herztons, beispielsweise erreichen wir eine Übereinstimmung von 92 Prozent mit dem EKG. Im direkten Vergleich der Signalformen mit dem digitalen Stethoskop liegt die Korrelation bei 83 Prozent. Das ist absolut zuverlässig." Die geringen Abweichungen erklären die Forscher damit, dass die gleichzeitigen Messungen von Radar- und Referenzwerten nicht an exakt derselben Stelle des Körpers vorgenommen werden können. Außerdem erfasst das Radarsystem im Unterschied zum Stethoskop eine Fläche und nicht einen einzelnen Punkt - auch das ein Grund für unterschiedliche Messwerte.

Berührungslos und objektiv

Die Erlanger Wissenschaftler sind optimistisch, dass mobile Radarsysteme in naher Zukunft die klassischen Stethoskope bei der Diagnose der Herzfunktion ersetzen könnten. Ein großer Vorteil des Radars liegt darin, dass die Werte digital erfasst und somit objektiviert werden - der Mensch als Fehlerquelle bei der Diagnose von Anomalien oder Krankheiten kann so zunehmend ausgeschlossen werden. Vorstellbar wäre auch, biomedizinische Radarsysteme eines Tages für automatisierte prophylaktische Untersuchungen beispielsweise in Wartezimmern von Arztpraxen, in Arbeitsumgebungen oder auch zuhause einzusetzen.

In einem weiteren Projekt arbeiten die Forscher bereits daran, die Vitalfunktionen von schwerkranken Patienten mittels stationärer Radarsysteme zu überwachen - rund um die Uhr und ohne störende Verkabelungen. "Ein berührungsloses und somit belastungsfreies Erfassen von Vitalparametern wie den Herztönen hat das Potenzial, die klinische Versorgung und die Forschung beispielsweise im Bereich der Palliativmedizin zu revolutionieren", erklärt Prof. Dr. Christoph Ostgathe, Leiter der Palliativmedizin des Uni-Klinikums Erlangen und Mitautor der Studie. "Zum Beispiel könnten wir Angehörige bei Beginn der Sterbephase deutlich schneller informieren, weil Änderungen des Gesundheitszustandes vom Radar sofort erkannt werden. Auch das Erfassen leidvoller Symptome bei Patienten, die sich nicht äußern können, wird möglich."

Weitere Informationen

Technische Details:
Kilin Shi
Telefon: 09131 85-67733
E-Mail: kilin.shi(at)fau.de

Medizinische Informationen:
Prof. Dr. Christoph Ostgathe
Telefon: 09131 85-34063
E-Mail: christoph.ostgathe(at)uk-erlangen.de

Quelle: uni | mediendienst | forschung Nr. 60/2018 vom 7. August 2018