| 37 Medizin KOLUMNE – KLEINE SP[R]ITZE Manche verehren und füttern sie, andere würden alles tun, um sie loszuwerden: Symbole des Friedens und der Liebe oder krankheitsübertragende „Ratten der Lüfte“ – bei Tauben scheiden sich die Geister. VON FRANZISKA MÄNNEL Mit Gurren und Murren Gurru, gurru. Das Geräusch vor meinem Fenster treibt mich in den Wahnsinn. Gurru, gurru. Wut steigt in mir auf. Gurru, gurru. Ich stürme zum Fenster und reiße es auf, sodass der davor sitzende Vogel die Flucht ergreift. „Kannst du bitte einfach mal leise sein?“, rufe ich der Taube noch hinterher (als ob sie mich verstehen würde). 30 Sekunden später: Gurru, gurru. Immer wieder beobachte ich meine Nachbarin dabei, wie sie laut klatschend und rufend über ihren Balkon läuft, um Tauben zu verscheuchen. Doch vermutlich verstehen die Vögel das als Applaus. Ein anderer Nachbar warf einmal wütend seinen vollen Müllbeutel nach einer Taube. So weit geht es bei mir nicht. Ich habe an sich nichts gegen Tauben. Mich nervt es nur, wenn sie direkt neben mir gurren oder meinen Fenstersims vollkacken. Seit ich dort aber eine alte CD aufgehängt habe, die sich dreht und das Licht reflektiert, kommt auch kein fliegender Gast mehr vorbei. Seit die Taubenpopulation nach dem Zweiten Weltkrieg explodierte, tobt hierzulande ein weiterer Krieg – und zwar der zwischen den Fans und den Feinden der Stadttauben. Dazwischen gibt es nur wenige Gemäßigte. Die Fans werfen zur Unterstützung händeweise Körner auf Plätze und Straßen. Die Gegner rüsten auf und versehen Fassaden, Balkone und andere potenzielle Nistplätze mit Taubenabwehranlagen. Städte wie Erlangen erließen Fütterungsverbote und führten spezielle Taubenschläge ein, mit denen sich der Tierbestand durch gezielte Eientnahmen regulieren lässt. Aber mal unabhängig davon, dass Tauben im wahrsten Wortsinn – Verzeihung – „viel Scheiße fabrizieren“: Geht von ihnen auch eine Gesundheitsgefahr aus, wie so oft behauptet wird? Klares Jein: Da die Vögel Viren, Bakterien und andere Parasiten beherbergen, ist es durchaus ratsam, Taubendreck nur mit Handschuhen und Atemschutzmaske zu entfernen. Denn die Tiere können u. a. Salmonellen und die Erreger des Q-Fiebers, der Toxoplasmose und verschiedener Pilzerkrankungen übertragen. Daher gilt natürlich für Kliniken ein klares Einflugverbot. Grundsätzlich haben Expertinnen und Experten aber festgestellt, dass das Erkrankungsrisiko durch Tauben nicht höher ist als durch andere Wild- oder Nutztiere. Rein rechtlich sind Stadttauben deshalb auch den Ratten und Hausmäusen „überlegen“: Die Vögel gelten gemeinhin nicht als Schädlinge und dürfen auch nicht als solche bekämpft werden. Es ist wohl die schiere Menge der Tiere, die für Konflikte sorgt. Doch wie so oft ist das ein menschengemachtes Problem. Denn bei den heutigen Stadttauben handelt es sich nicht um wilde, sondern um domestizierte Tiere, die einst gezüchtet, an den Menschen gewöhnt und dann ausgesetzt wurden. Auch dass sie mehrfach im Jahr brüten, wurde ihnen durch die Zucht beigebracht. Mit den Tauben ist es ein bisschen wie mit den Touristen in Barcelona oder Venedig: Man hat ihnen Unterkünfte gebaut, in denen sie sich wohlfühlen, man hat sie angefüttert, sie belebten die Städte, saßen turtelnd, Cocktails trinkend und Nüsschen essend auf Plätzen und in Cafés – und jetzt sollen sie weg! Weil es zu viele sind, weil sie lärmen, ihren Dreck hinterlassen und die Einheimischen von ihren Lieblingsplätzen vertreiben. Aber wer kann es einem verübeln, dass man gern mal Urlaub in Barcelona machen möchte? Letztlich gilt es, seinen Groll nicht über die „Zugeflogenen“ auszukippen, sondern das Problem an der Wurzel zu packen und Bedingungen zu schaffen, die für beide Seiten annehmbar sind. Im Fall der Vögel geht das nur mit artgerechten, betreuten Taubenstationen. Wie stehen Sie eigentlich zu Tauben? franziska.maennel@uk-erlangen.de
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