Jahresbericht 2012 | 2013: Medizin. Menschen. Momente.

Der Fall der Nürnbergerin war ein deutschlandweites Novum, denn die Erlanger Mediziner führten Gewebe- entnahme, Kryokonservierung, Retransplantation und Entbindung erstmals an einem Ort durch. Zwar wurde schon 2011 eine Lymphdrüsenkrebs-Patientin aus Radebeul mithilfe dieser Methode schwanger – allerdings gelang dies im Rahmen einer Kooperation der drei Uni-Klinika Bonn, Erlangen und Dresden. „Leider haben wir auch immer wieder Patientinnen, die man vor einer Chemotherapie nicht darüber aufgeklärt hat, dass ihre Fruchtbarkeit bewahrt werden kann. Wenn eine Frau dann nach der Krebsbehandlung weinend vor uns steht, ist es oft schon zu spät“, sagt Janina Hackl, Ärztin aus dem Reproduktionsmedizinischen Team. Umso wichtiger sei es, dass Onkologen ihre Patientinnen früh- zeitig an die Reproduktionsmediziner verweisen. Größtes Zentrum für Retransplantationen Bis zumFebruar 2013 haben die Ärzte des Uni-Klinikums Erlangen 14 Frauen – meist ehemalige Brust-, Anal- und Lymphdrüsenkrebs-Patientinnen – Ovarialgewebe retransplantiert. Nach der Rückverp fl anzung stellten die Mediziner durchweg eine hormonelle Aktivität des Gewebes fest. „Wir wenden die Methode bei allen soliden Tumoren an – vorausgesetzt, die Eierstöcke weisen keine Metastasen auf“, erklärt Prof. Beckmann. Um die Chance auf eine Schwangerschaft noch zu erhöhen, können neben dem Eierstockgewebe auch unbe- fruchtete oder in vitro befruchtete Eizellen eingefroren werden. „Diese Therapie setzt allerdings eine hormonelle Stimulationsbehandlung voraus“, sagt der Frauenarzt. „Bis die dafür benötigten 10 bis 15 Eizellen im Körper der Frau herangereift sind, können zwischen zwei und drei Wochen vergehen.“ Zeit, die Krebspatientinnen häu fi g nicht haben. Die Kryokonservierung von Gewebe ist hingegen innerhalb von 48 Stunden abgeschlossen. Das Babyglück von Sandra G. sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit und führte viele weitere Frauen mit Kinderwunsch nach Erlangen. Im Universitäts-Fort- p fl anzungszentrum Franken (UFF) helfen Ärzte und Wissenschaftler der Frauenklinik, der Hautklinik, des Humangenetischen Instituts und der Psycho- somatischen und Psychotherapeutischen Abteilung des Uni-Klinikums gemeinsam der Fruchtbarkeit auf die Sprünge. Das UFF ist heute das größte Zentrum für die Retransplantation von Ovarialgewebe in Deutschland. Und auch krebskranke Männer können sich hier behandeln lassen. „Die Kryokonservierung von Spermien betreiben wir seit vielen Jahren routinemäßig. Genauso kann Hodengewebe vor einer geplanten Chemo- oder Strahlentherapie eingefroren werden“, sagt Ralf Dittrich. „Dazu arbeiten wir eng mit Prof. Kiesewetter von der Hautklinik zusammen, der auf den Fertilitätserhalt bei Männern spezialisiert ist.“ Das Muttersein auf Eis legen Ausgehend von den Möglichkeiten, die die moderne Reproduktionsmedizin insbesondere Krebspatientinnen bietet, entwickelt sich mit dem „social freezing“ ein neuer Trend: Viele Frauen wollen heute nicht mehr mit Anfang 20Mutter werdenwie noch in den 1970er-Jahren. Vor allem längere Ausbildungszeiten und beru fl icher Ehrgeiz tragen dazu bei, dass die Familienplanung immer öfter auf Eis gelegt wird – so lange, bis der eigene Karriere- und Lebensweg ein Kind zulässt oder der richtige Partner gefunden ist. Auch diese Frauen können am Uni-Klinikum Eizellen oder Ovarialgewebe einfrieren lassen und zu einem späteren, für sie passenderen Zeit- punkt schwanger werden. Ralf Dittrich sieht darin einen Paradigmenwechsel: „Wir haben es hier wahrscheinlich mit der zweiten großen Fertilitätsrevolution seit der Er fi ndung der Pille zu tun. Durch die Möglichkeit der Kryokonservierung wird es in Zukunft mehr Kinder Prof. Dittrich und Labormitarbeiterin Inge Hoffmann versenken das Eierstockgewebe in einem Kryobehälter mit –196 °C kaltem Stickstoff. | JAHRESBERICHT 2012/2013 22

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