Jahresbericht 2012 | 2013: Medizin. Menschen. Momente.

Wer will, kann seinen Darm also einmal „live“ sehen. Dank modernster Bildgebung sind Arzt und ggf. Patienten ganz nah dran, erkennen feinste Strukturen und kleinste Reaktionen. „Weil wir mit unserer Arbeit und unseren Forschungsergebnissen weltweit führend sind, erhalten wir von Medizingeräteherstellern Proto- typen“, sagt Helmut Neumann und holt einen ganz besonderen schwarzen Schlauch aus seinem Schrank. „Darauf sind wir stolz und freuen uns, dass unsere Patienten davon pro fi tieren können.“ Mit dem Gerät kann Prof. Neumann sozusagen um die Ecke sehen – oder vielmehr zurück, also über die Schulter: Denn der Kopf lässt sich um über 210° biegen. In der Praxis bedeutet dies, dass der Arzt nicht immer nur nach vorne schaut, während er das Endoskop durch den schlauch- förmigen Darm schiebt, sondern das Objektiv durch Drehen eines Rads an der Konsole nach hinten krümmen kann. „Der Darm hat nämlich zahlreiche Falten“, veranschaulicht Helmut Neumann, „und bisher war es uns ausschließlich möglich, deren Vorderseiten zu betrachten – aber ein Karzinom kann sich ja genauso gut an der Rückseite eines Knicks be fi nden. Heute entdecken wir also, was wir früher nicht in der Lage waren zu fi nden.“ Die Beugung des Geräts verursacht beim Patienten im Übrigen keine Schmerzen. Endomikroskopie: (ein-)leuchtende Diagnose Neben dem ersten visuellen Eindruck hat der Arzt bei der Endomikroskopie zusätzlich die einzigartige Möglich- keit, schon während der Untersuchung die Diagnose zu stellen. „Bei einer regulären Endoskopie müssen dafür Gewebeproben entnommen werden. Das ist für den Patienten schmerzhaft und aufgrund der Blutung auch nicht gänzlich unproblematisch“, sagt Prof. Neumann. „Außerdem kosten klassische Biopsien Zeit, denn sie müssen erst zum Pathologen gebracht, von diesem analysiert und das Ergebnis zurückgeschickt werden. Diese Wartezeit kann für den potenziell Erkrankten sehr belastend sein.“ Bei der Endomikroskopie wird eine sogenannte optische Biopsie durchgeführt: Es handelt sich um ein virtuelles Verfahren, das äußerst verlässlich exakte Schlüsse zulässt. Dafür injiziert der Arzt einen fl uoreszierenden Farbstoff in das Gewebe. Mithilfe eines Lasers, der in das spezielle Endoskop integriert ist, können nun mikroskopische Details der Darmschleim- haut in 1.000-facher Vergrößerung dargestellt werden. Auf dem Monitor erkennt der Mediziner jetzt mit bloßem Auge fragwürdige Veränderungen der Gewebestruktur oder aber – gekennzeichnet durch besonders deut- liches Leuchten – den vermehrten Austritt von Fluores- zenzfarbstoff, was den Verdacht auf aktive Tumorzellen nahelegt. An solchen Stellen besteht dann weiterer Klärungs- oder aber direkt Handlungsbedarf. „Mithilfe der Endomikroskopie entdecken wir eine Krebserkrankung beinahe fünfmal so oft wie mit der klassischen Endo- skopie“, berichtet Helmut Neumann. „Die Krankheit lässt sich außerdem viel eindeutiger feststellen, wir ersparen dem Patienten Biopsien und dank der schnellen Diagnose auch tagelange Ungewissheit.“ Chromoendoskopie für chronisch Kranke Die virtuelle Chromoendoskopie funktioniert nach einem sehr ähnlichen Prinzip und stellt vor allem für Patienten, die an der chronisch-entzündlichen Darm- erkrankung Colitis ulcerosa leiden, eine zukunfts- weisende Vorsorgemaßnahme dar. Mittels eines speziellen, hochmodernen, computerassistierten Algorithmus kann der behandelnde Arzt die Kontraste erhöhen, sodass die Struktur der Darmober fl äche besser sichtbar wird. Auf diese Weise lassen sich Läsionen, also Schädigungen, der Schleimhaut erstens gut erkennen und zweitens unterscheiden: in Verletzungen, bedingt durch die Colitis ulcerosa, und in bösartige Gewebeneubildungen. „Die Menschen, die das betrifft, sind meist noch jung und deswegen ist es umso wichtiger, dass ihre chronisch-entzündliche Darm- erkrankung nicht zusätzlichen Schaden anrichtet, indem sie einen Tumor versteckt“, meint Prof. Neumann. „Gerade diese fl achen Läsionen werden auf konven- Bei der Endomikroskopie folgt der Arzt dem „Leuchtpfad“: Dank Fluoreszenzfarbstoff lassen sich aktive Tumorzellen fünfmal so oft entdecken wie mit klassischer Endoskopie. | JAHRESBERICHT 2012/2013 30

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