Jahresbericht 2012 | 2013: Medizin. Menschen. Momente.

auftreten und welche Konsequenzen dies hat. Dafür musste zunächst Zeit vergehen, wir betrachten ja die Gesundheit von Langzeitüberlebenden, also Menschen, die teils schon vor vielen Jahren erfolgreich behandelt wurden.“ Will man denn nach dem Sieg über den Krebs überhaupt noch etwas mit diesem zu tun haben – wäre vergessen und verdrängen nicht viel menschlicher? Genau hier setzt das LESS-Team an: Es will bei den Kindern und Jugendlichen, aber auch bei deren Angehörigen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig die Nachsorge ist. Es handele sich ja nach fünf bis zehn Jahren nur noch um einen jährlichen Termin, ein Check-up, veranschaulichen die Ärzte. Und für viele der ehemaligen Patienten sei es auch ein symbolischer Akt, das Leben wieder selbst aktiv zu gestalten und die Erkrankung nicht mehr die Oberhand gewinnen zu lassen. Dabei haben die Wissenschaftler nicht nur die Krankheit selbst im Fokus, also deren Wiederauftreten, sondern insbesondere auch die Folgen der Behandlung bzw. Folgeerkrankungen. „Wir kritisieren nicht die Chemo- therapie“, betont Prof. Langer. „Krebs muss immer und häu fi g eben auch aggressiv behandelt werden. Wir sehen aber genau hin, denn gute Heilmittel sollen nicht nur akut helfen, sondern auch langfristig keinen Scha- den anrichten. Wir wollen Therapien verbessern!“ Unvertretbare Spätfolgen haben Konsequenzen Erste Erkenntnisse und Erfolge gibt es bereits: Früher wurde bei Leukämiepatienten das Gehirn stets prophylaktisch mitbestrahlt; als sich jedoch gravierende Nebenwirkungen und unvertretbare Spätfolgen in Form von Beeinträchtigungen der Intelligenz und hormonellen Störungen manifestierten, wurde das Vorgehen kor- rigiert. „Wenn heute ein ehemaliger Krebspatient über Müdigkeit klagt oder Bluthochdruck hat, bedeutet das aber nicht automatisch, dass dies Folgen der Behandlung sein müssen“, erläutert Thorsten Langer. „Vielleicht hat er auch nur sein Essverhalten verändert oder treibt weniger Sport. Wir müssen genau hinsehen.“ Bis in die Erbanlagen blickt für das LESS-Team wieder PD Zolk: Auch für diese Studie analysiert der Pharmako- loge die genetischen Veranlagungen von Krebskranken und sucht nach Hinweisen, wie die teils sehr toxischen Endlich entlassen: Bei der Abschlussbesprechung überreicht Prof. Langer dem zehnjährigen Michl seinen persönlichen Nachsorgekalender. Medikamente von den Stoffwechseln der einzelnen Betroffenen verarbeitet werden. „Das Ziel ist die individualisierte Arzneimitteltherapie“, erklärt Oliver Zolk. „Wenn ich schon vor der Behandlung darauf hinweisen könnte, dass Person X das Medikament Y nicht gut verträgt, dann könnten die Ärzte darauf reagieren, die Therapie anpassen, diese verliefe somit schonender und das Risiko für Spätfolgen könnte minimiert werden.“ Da jeder Mensch einzigartig ist, stehen die Mediziner häu fi g trotzdem noch vor der Frage, wieso der eine Patient bei gleicher Behandlung Spätfolgen aufweist, während der andere keine Symptome zeigt. „Um hier weiterzukommen, sind wir darauf angewiesen, dass wir detaillierte Daten aus der Behandlung, aber eben auch aus regelmäßigen Nachsorgeterminen erhalten“, sagt Prof. Langer. „Dafür rücken wir in der Pädiatrie ganz eng zusammen, in Erlangen zum Beispiel auch mit den Kollegen der STEP- Studie.“ Und mit den Betroffenen: So entwickelte die LESS-Arbeitsgruppe individuelle Nachsorgekalender für alle Kinder und Jugendlichen im deutschsprachigen Raum, die eine Krebserkrankung überlebt haben – eine gute Gedächtnisstütze und ein übersichtliches Schrift- stück für die jahrelange Sammlung wertvoller Werte. „Viele unserer ehemaligen Patienten sehen wir regel- mäßig bei den Nachsorgeterminen“, freut sich Thorsten Langer. „Bei uns haben sie Ansprechpartner, die sie teils schon lange kennen, da bestehen Vertrauensverhält- nisse. Und sie wissen, dass wir sie auch im Überleben nicht alleinlassen – wir haben ein gemeinsames Ziel, sind gemeinsam unterwegs.“ ■ bm UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN | 35

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