Jahresbericht 2013 | 2014: Medizin. Menschen. Momente.
des Spenders. Für diese ist der Körper des Empfängers fremd, sie „erkennen“ seine Zellen als Eindringlinge – und greifen an. „Um diese überschießende Immun- reaktion zu verhindern, unterdrücken wir das Immun- systemmithilfe von Arzneimitteln“, sagt Dr. Julia Winkler, Oberärztin der Medizin 5. „Und das ist die Krux, denn ohne Immunabwehr besteht ein äußerst hohes Infektionsrisiko. Diese Sicherheitslücke ist allerdings unvermeidbar. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen sie in Kauf nehmen.“ Um den frisch Transplantierten so gut wie möglich zu schützen, wird er in einem speziellen Zimmer untergebracht, das sowohl Ärzte als auch Pflegekräfte und Angehörige nur mit Mundschutz und Handschuhen betreten dürfen – aber hundertpro- zentigen Schutz kann natürlich niemand gewährleisten. Krankheiten neu lernen – wie ein Säugling Das neue Immunsystem des Patienten baut sich erst im Laufe von Monaten und Jahren wieder auf. Daher müssen sechs Monate nach der Stammzelltrans- plantation auch alle Grundimpfungen aufs Neue durch- geführt werden: Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Kinderlähmung, Hepatitis B, Masern, Mumps und Röteln. Für wichtige Immunreaktionen, beispielsweise gegen Pilze und Herpesviren, gibt es allerdings keine Vakzination: Diese Immunantworten muss der Körper neu lernen – wie ein Säugling, der eine Krankheit zum ersten Mal bekommt. „Das bedeutet konkret, dass der Betroffene nach Kontakt mit den Erregern erkrankt und sein Immunsystem erst im Rahmen der Krankheits- bewältigung entsprechende Antikörper bildet“, veranschaulicht Julia Winkler die Situation. „Eine Infek- tion ist immer eine Gesundheitsgefahr, besonders aber bei Krebspatienten nach einer Stammzelltrans- plantation – da sogar potenziell lebensgefährlich.“ Lässt sich dieses Risiko nicht irgendwie ausschalten? Diese Frage stellten sich Prof. Dr. Thomas Winkler, der die Professur für Genetik im Department Biologie der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg innehat, und Prof. Dr. Michael Mach aus dem Virologischen Institut (Direktor: Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein) bereits im Jahr 2004: „Wenn es uns schon gelungen ist, einen passenden Spender zu finden und seine blutbildenden Stammzellen erfolgreich dem Empfänger zu übertragen – könnten wir dann nicht auch gleich sein immunologisches Gedächtnis, das sein Körper über Jahrzehnte erworben hat, an den Patienten weitergeben?“ Gemeinsam führten sie mit einem bestimmten Erreger die ersten Versuche im Tiermodell durch. „Wir transferierten B-Lymphozyten, das sind die weißen Blutkörperchen, die Antikörper bilden können. Genauer gesagt verwendeten wir die B-Gedächtnis- zellen. Wie der Name schon sagt, haben sie sich die Krankheit sozusagen gemerkt und werden sofort aktiv, wenn sie mit einem entsprechenden Antigen in Kontakt kommen“, erläutert Thomas Winkler. „Unsere ersten Untersuchungen haben überraschend gut funktioniert. Die behandelten Tiere lebten nach den zwei Trans- plantationen noch sehr lange.“ Gemeinsam Neuland betreten Während viele Wissenschaftler vor der Schwierigkeit stehen, ihre Forschung vom Labor in die Klinik zu bringen, gelang es Prof. Winkler und seinen Kollegen, über den Sonderforschungsbereich 643 „Strategien der Studienleiterin Dr. Julia Winkler (r.) kontrolliert die erste Übertragung von B-Gedächtniszellen: von der Anlieferung auf Station bis zur Injektion. Hier wird erstmals ein „immunologisches Gedächtnis“ übertragen: Der neue Therapieweg ähnelt in der Umsetzung einer Bluttransfusion. | JAHRESBERICHT 2013/2014 16
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