Jahresbericht 2013 | 2014: Medizin. Menschen. Momente.

Schmerzbremsen neu belegen Auch Hannelore Lachmann tut sich am Anfang schwer mit der Vorstellung, dass der Schmerz nicht vollständig verschwinden wird. Nach den ersten Therapietagen merkt sie aber, wie sie sich entspannt und an Sicherheit gewinnt: „Der Austausch mit der Gruppe, die Einzel- gespräche und die Schulungen zur Medikamenten- dosierung haben mir besonders geholfen“, berichtet sie. Dr. Britta Fraunberger beobachtet immer wieder, wie wichtig die Belehrungen zum Thema Medikamente sind: „Auf der einen Seite haben wir diejenigen Patienten, die kritiklos viele Pillen einnehmen. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten Durchhalter, die denken, sie müssen den Schmerz aushalten. Bei beiden Gruppen muss man den richtigen Umgang mit Arzneimitteln schulen und die Dosierung individuell abstimmen.“ Auch Hannelore Lachmann hat die Einnahme ihrer Medika- mente während der Therapie komplett umgestellt – ihre Dosierung konnte auf die Hälfte reduziert werden. Nach der Schmerztherapie haben ihre Schmerzen deutlich nachgelassen. Viel wichtiger ist aber: Ihre Einstellung zu den Schmerzen hat sich grundlegend geändert: „Die Schmerzen werden nie ganz weggehen, aber ich kann mit ihnen umgehen“, hält Hannelore Lachmann fest. Für Dr. Sittl und sein Team ist diese Entwicklung der Patienten ein Erfolg. Der Anästhesist und Sozialwissen- schaftler betont: „Die Patienten müssen lernen, dass sie selbst auch etwas tun müssen, und zwar ein Leben lang. Wir helfen dabei, die defekten Schmerzbremsen neu zu belegen, aber vor allem lehren wir die Patienten einen neuen Beruf: Selbstmanager ihrer Schmerzen.“ Auszeichnung für Arbeit Für die Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen erhielt Dr. Reinhard Sittl im vergangenen Jahr den Deutschen Schmerzpreis. Die Deutsche Gesell- schaft für Schmerztherapie hob in ihrer Begründung hervor, dass Dr. Sittl entscheidend zum Verständnis des Problemkreises Schmerz und der davon betroffenen Patienten beigetragen habe. Außerdem ist der Preis eine Anerkennung für seine Publikationen und die Fort- bildungsarbeit. Auch in Zukunft will Reinhard Sittl mit seinem Team weiter daran arbeiten, dass Schmerz- patienten das Gesundheitssystem weniger bean- spruchen. Außerdemsoll die Vernetzung von ambulanter, teilstationärer und stationärer Behandlung optimiert werden. Hier hat es jüngst eine Neuerung gegeben: Auf der Normalstation der Anästhesiologischen Klinik besteht seit März dieses Jahres die Möglichkeit einer multimodalen, zweiwöchigen stationären Schmerz- therapie für jeweils vier Patienten. Grundsätzlich gilt für Dr. Sittl: „Das Jahr hat 8.766 Stunden – die wenigsten davon sollte man beim Arzt verbringen.“ Hannelore Lachmann hat das in ihrem Leben umgesetzt. Bereits zwei Wochen nach Therapie- ende konnte die Pretzfelderin zurück in ihren alten Beruf als Personalsachbearbeiterin. Außerdem hat sie ihre sozialen Beziehungen wieder belebt, trifft regelmäßig ihren Freundeskreis, geht zum Nordic Walking, nimmt noch immer an der Wirbelsäulengymnastik im Trainings- zentrum teil und kann sogar wieder ihrer Leidenschaft, dem Wandern, nachgehen. Ihr Leben hat sie komplett umgekrempelt. Ihre sitzende Tätigkeit führt sie nur noch in Teilzeit aus und für die Hausarbeiten, die ihrem Rücken nicht guttun, hat sie nun Hilfe. „Ich bin ruhiger und gelassener geworden und habe gelernt, dass nicht immer alles sofort passieren muss“, sagt sie. Wenn die Schmerzen manchmal doch wieder zunehmen, gönnt sie sich mehr Pausen und erhöht die Medikamenten- dosis für einige Tage, wie sie es im Seminar gelernt hat. Die Schmerztherapiegruppe trifft sich auch privat noch regelmäßig zum gegenseitigen Austausch. Wie Hannelore Lachmann haben viele ihren Alltag geändert und können mit den Schmerzen besser umgehen. Hannelore Lachmann hat ihr Leben wieder in der Hand. n aw Die Basis der Schmerztherapie stellt eine gründliche neurologische Untersuchung dar, die ein entsprechender Facharzt wie Dr. Fraunberger vornimmt. UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN | 31

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