Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.

wandern zu lassen und die gefundenen Mechanismen auch an anderen Erkrankungen zu überprüfen. So wirkt sich das oben erwähnte GBP1-Gen zwar beim kolorek- talen Karzinom positiv aus, für Patienten mit Herzinfarkt oder chronischen Wunden hingegen sind seine Effekte nachteilig. Bei den etwa 30 Prozent der Darmkrebspati- enten, in deren Tumoren GBP1 existiert, wird das Blut- gefäßwachstum, also die Angiogenese, im Karzinom gehemmt. Die erfreuliche Folge: Die Nährstoffversor- gung des Tumors wird mangels neuer Blutgefäße behin- dert und die Überlebensrate der Betroffenen steigt deutlich an. Nicht heilende Wunden oder Herzinfarkte andererseits bedürfen zu ihrer Heilung neuer Blutgefäß- strukturen, eine Hemmung durch GBP1 ist hier un- günstig. Die Forscher der Chirurgischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Hohenberger) und der Medizini- schen Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie (Direktor: Prof. Dr. Stephan Achenbach) kooperieren nun in der Frage, wie ein und derselbe Hemmstoff bei Darmkrebs induziert und beim Herzinfarkt blockiert werden kann. In einer internen Vortragsreihe stellen alle Forschungs- gruppen ihre Ergebnisse im Haus vor und legen interes- sante Anknüpfungspunkte offen. So kooperiert Michael Stürzls Team derzeit mit vier anderen Arbeitsgruppen des TRC und widmet sich Fragen wie: Welche Verbin- dung gibt es zwischen dem kolorektalen Karzinom und der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung? (mit der Medizinischen Klinik 1) Wie lassen sich Einzelzellen aus soliden Tumoren effizient isolieren? (mit der Immunmo - nitoring Facility) Wie lässt sich die Technik der Polypro- be-Studie in der Hautkrebsforschung einsetzen? (mit der Hautklinik) Und was kann man vom Zebrafisch über die Zellzykluskontrolle bei Tumorzellen lernen? (mit der Nephropathologie) „Im TRC bringen wir die Gehirne zusammen“, sagt Michael Stürzl. Weniger Output-Denken und mehr Qualität Am Ende des gemeinsamen Nachdenkens steht für Prof. Stürzl immer der Patient. Forschung, die für Menschen gemacht wird, muss nach Meinung des TRC-Sprechers auf drei wichtigen Grundlagen aufbauen: „Qualität, Qualität und Qualität.“ Doch die Wissenschaft steht heute unter Druck: Wer Aufmerksamkeit erregen will, muss mehr publizieren – in kürzeren Abständen, Zitati- onsquoten in die Höhe schrauben und Drittmittelein- nahmen steigern. „An diesen Zwängen krankt heute die biomedizinische Forschung und wird dadurch in ihrer Reproduzierbarkeit eingeschränkt“, bedauert Michael Stürzl. Denn: Mitunter arbeiten Wissenschaftler irrtümli- cherweise mit falschen Zelllinien, weil sie die Qualität des Materials vorab nicht überprüfen. Das Resultat: oft jahrelange, kostspielige Experimente, deren Ergebnisse nicht verlässlich sind – weil die untersuchten Brust- krebs- in Wahrheit Melanomzellen waren. Dabei sind Zellauthentifizierungen nicht teuer. Michael Stürzl lehnt das herrschende Output-Denken ab und wünscht sich, dass sich im TRC eine nachhaltige, planbare Forschung entwickelt, „die man nicht aufnimmt, weil sie gerade ‚fancy‘ ist, sondern weil sie wirklich bis zum Patienten hin verfolgt werden kann.“ Forschung wird nicht nur für, sondern auch von Men- schen gemacht. Deshalb fördert das Erlanger Zentrum das Verständnis der Fachrichtungen füreinander. Dem- gemäß absolvieren beispielsweise die Biologen aus Prof. Stürzls Arbeitsgruppe einwöchige Praktika bei den Chirurgen im OP. Die Ärzte lernen im Gegenzug die Laborarbeit kennen. Dass das alles in Erlangen ge- schieht, eingebettet ins Medical Valley, in der Nachbar- schaft starker Industriepartner und bald zweier Max-Planck-Einrichtungen, ist für Michael Stürzl ein einzigartiger Glücksfall: „Ich erachte es als wesentli- chen Standortvorteil, dass sich hier eine Vielzahl extrem guter, innovativer Institutionen nahe beieinander befinden, die fast ausnahmslos einen unprätentiösen, offenen und kooperativen Umgang pflegen.“ – Räum - liche und intellektuelle Nähe, die am Ende eine große Nähe zum Patienten schafft. n fm Die Doktorandinnen Andrea Liebl (r.) aus Deutschland und Elena Irollo aus Italien untersu- chen die Rolle prognoserelevanter Gene bei Darmkrebs. UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN | 11

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