Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.
An welchen Aspekten sind Sie und Ihre Arbeitsgruppe bei der Forschung besonders interessiert? Wir wollen verstehen, wie unser Immunsystem, das ja primär für die Bekämpfung von Krankheitserregern verantwortlich ist, es schafft, zwischen körpereigenen Substanzen und Körperfremdem wie Viren und Bakte- rien zu differenzieren. Das ist eine der Ur-Fragen der Immunologie. Wie geht das Immunsystem gegen körper- fremde Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten vor, und warum greift es den eigenen Körper im Normalfall nicht an? Die Erkenntnisse könnten uns helfen, Autoim- munerkrankungen, aber auch Infektions- und Krebser- krankungen, besser zu verstehen. Denn bei vielen Krankheitsprozessen ist die Differenzierung zwischen körpereigen und körperfremd gestört. Durch Bakterien und Viren ausgelöste entzündliche Prozesse sind wahr- scheinlich an vielen Autoimmunprozessen ursächlich beteiligt. Eine virale oder bakterielle Entzündung zerstört dort, wo sie auftritt, häufig Gewebe. Hierdurch kommt es zu einer Anhäufung von toten körpereigenen Zellen und gleichzeitig zur Akkumulation von Krank- heitserregern wie Viren und Bakterien. Es entsteht ein ziemliches Durcheinander. Trotz dieser Unordnung muss das Immunsystem zwischen „selbst“ und „nicht selbst“ differenzieren können, und wir wollen die zugrundelie- genden Mechanismen verstehen. Dafür forschen in meiner Arbeitsgruppe rund 15 Wissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen: hauptsächlich Biologen, aber auch Molekularmediziner, Biochemiker, Techni- sche Assistenten, Assistenzärzte sowie Medizinstu- denten. Außerdem kooperieren wir mit Physikern und Informatikern, die uns helfen, die unzähligen Daten, die wir generieren, auszuwerten und besser zu verstehen. Natürlich stehen wir hierbei in engem Austausch mit Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt. Also ein kunter- buntes Sammelsurium an Leuten. Forschung gelingt nur im Team und durch enge Vernetzung. Sie erforschen, wie es das Immunsystem schafft, zwischen körpereigen und körperfremd zu unter- scheiden. In diesem Zusammenhang haben Sie den Begriff der „Mülltrennung“ geprägt. Welcher Prozess verbirgt sich dahinter? In unserem Körper gibt es unterschiedlichste professio- nelle Fresszellen, sogenannte Phagozyten. Wir vermuten, dass eine Untergruppe dieser Fresszellen – die Gewebsmakrophagen – darauf spezialisiert ist, körpereigenes Material aufzunehmen und zu entsorgen, ohne dass eine Immunreaktion stattfindet. Andere Phagozyten, z. B. dendritische Zellen, können körper- fremde Partikel wie Bakterien und Viren aufnehmen und gegen diese eine Immunreaktion einleiten. Der eigene Müll wird also still beseitigt, während gegen potenziell gefährliche Abfälle eine Immunreaktion initiiert wird, um sich zu schützen beziehungsweise Infektionen auszu- heilen. Wenn diese immunologische Mülltrennung nicht funktioniert und der Körper gegen eigene Strukturen vorgeht, begünstigt dies vermutlich die Entstehung von Autoimmunerkrankungen. Genauso können bei einer ausbleibenden Reaktion gegen körperfremdes Gewebe Infektionserkrankungen außer Kontrolle geraten. Gesund bleiben wir nur dann, wenn eine solche Müll- trennung, die das Immunsystem vornimmt, funktioniert. Und diese Prozesse möchten wir besser verstehen. Für dieses Vorhaben werden Sie vom Europäischen Forschungsrat mit dem mit 1,5 Mio. Euro dotierten „European Research Council (ERC) Starting Grant“ gefördert. Was bedeutet das für Ihre Arbeit? Ohne eine solche Drittmittelfinanzierung wäre unsere Forschung nicht möglich. Mehr als 90 Prozent der Arbeit tragen sich durch derlei Förderungen. Alle meine Ange- stellten werden aus Drittmitteln bezahlt, ebenso ein Großteil des Materials. Der ERC Starting Grant ist eine ganz besondere Begünstigung – die Fördersumme ist sehr hoch und die Förderungsdauer mit fünf Jahren überdurchschnittlich lang. Die Auswahl ist dementspre- chend hart und wird anhand der Qualität und der Origi- nalität des Projekts getroffen. Als wir im November 2014 die Zusage erhielten, war das natürlich erst mal Die Arbeitsgruppe generiert eine große Menge wissenschaftlicher Daten, welche bioinforma- tisch ausgewertet werden müssen. | JAHRESBERICHT 2014/2015 22
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