Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.

dauerhaft auf die Persönlichkeit auswirken und die Pati- enten sich ständig unsicher fühlen, ein negatives Selbst- konzept haben und keine Beziehungen mit anderen Menschen mehr führen können, sprechen wir von einer komplexen PTBS“, erklärt die Psychologin. Ursächlich wird bei der PTBS zwischen akzidentellen und interpersonellen Traumen unterschieden. Bei Ersteren handelt es sich um schwere Verkehrsunfälle, berufsbedingte Traumen oder kurz andauernde Kata- strophen wie einen Brand. Bei interpersonellen Traumen sprechen Fachleute auch von „man made“, also durch Menschen verursacht. Diese Art von Trauma umfasst sexuelle Übergriffe, körperliche Gewalt und ziviles Gewalterleben wie einen Banküberfall. Außerdem werden traumatische Ereignisse danach eingestuft, ob sie einmalig bzw. kurzfristig (Typ-I-Traumen) oder mehr- fach bzw. langfristig vorkommen (Typ-II-Traumen). Traumen können auch medizinisch bedingt sein. „Wenn ein Patient bei einer Herzkatheterisierung einen Herzstillstand erlebt hat, kommt er mit ständiger Angst vor Herzin- farkten zu uns. Jeder Herzschlag wird mit dem traumati- schen Ereignis verknüpft“, schildert Dr. Silbermann. Ebenso gilt die Diagnosestellung einer lebensbedrohli- chen Erkrankung als Traumatisierung. „Das hängt nicht immer mit einer schlecht vorbereiteten Mitteilungssitua- tion zusammen, sondern der Belastung an sich.“ Teilstationäres Setting Eine PTBS sowie Traumafolgestörungen können heute mit der passenden Therapie gut behandelt werden. Unbehandelt bleibt die Krankheit aber oft über Jahr- zehnte bestehen, verschlechtert oder chronifiziert sich. Die Versorgungslage in der Europäischen Metropolre- gion Nürnberg ist – wie in vielen anderen Gegenden Deutschlands – schwach. „Betroffene müssen oft sehr lange auf einen Behandlungsplatz warten“, sagt Yesim Erim. „Mit unserem teilstationären Traumasetting wollen wir dem zumindest ein Stück weit entgegen- wirken.“ Seit Februar dieses Jahres gibt es in der Psychosomatischen Tagesklinik eine Gruppe eigens für die Behandlung einfacher und komplexer PTBS sowie anderer Traumafolgestörungen. „Natürlich haben wir Traumapatienten schon immer behandelt, aber dieser spezielle Rahmen ist ein Novum“, sagt die Professorin. Jeweils sieben bis acht Betroffene nehmen zwei Monate lang wochentags von 8.30 bis 16.00 Uhr an dem Programm teil, das sich u. a. aus Einzelgesprächen, Gruppentherapie, Kunst- und Körpertherapie, Achtsam- keitsübungen, Entspannungsverfahren und medizini- scher Betreuung zusammensetzt. Ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Psychologen, Fachpflegekräften, Kunst- und Körpertherapeuten sowie Sozialarbeitern betreut die Patienten. Die Therapie gliedert sich in drei Abschnitte: Die erste Behandlungsphase dient der Stabilisierung. „Dabei bauen wir eine vertrauensvolle Beziehung zu den Betroffenen auf und arbeiten daran, dass sie im Alltag mit den belastenden Symptomen besser umgehen und auf vorhandene Ressourcen zurückgreifen können. Manchmal dauert schon dieser Prozess acht Wochen“, schildert Andrea Silbermann. In der darauffolgenden Konfrontationsphase nähern sich die Betroffenen ihrem inneren Trauma in einem ge- schützten Rahmen und lernen, es einzuordnen und davon weniger belastet zu sein. Dabei spielt u. a. die EMDR-Methode eine wichtige Rolle. EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“, also Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewe- gung, und kann bei der Bewältigung von belastenden Erinnerungen helfen. Bei dieser Therapie folgt der Patient den Fingern des Therapeuten und stellt sich dabei das traumatische Erlebnis vor. Durch die geteilte Aufmerksamkeit, also dem Folgen des Fingers und dem Vorstellen des Erlebten, kommt es zu einem automati- schen Prozess im Gehirn, der eine bessere Verarbeitung des Geschehenen fördert. Die dritte Phase widmet sich der Integration des Erlebten in die persönliche Lebens- geschichte, der Festigung neu gewonnener Lebenspers- pektiven sowie der Vorbeugung von Rückfällen. „Die teilstationäre Struktur hat sich als sehr hilfreich erwiesen“, sagt Dr. Andrea Silbermann. Die Rückkehr in das gewohnte Umfeld erleichtert den Transfer der Therapieinhalte in den Alltag. | JAHRESBERICHT 2014/2015 26

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