Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.
„Der Aufbau des Traumasettings ist ein wichtiger Schritt. Wir müssen uns aber auch berufs- und institutionsüber- greifend vernetzen, um die Versorgung zu verbessern“, hält Prof. Erim fest. Um dies zu erreichen, finden seit Kurzem regelmäßig Gespräche mit Einrichtungen statt, die häufig direkten Kontakt mit traumatisierten Men - schen haben, wie der Weiße Ring, die Polizei, die Feuer- wehr und Beratungsstellen. Außerdem soll der Aus- tausch mit niedergelassenen Kollegen verstärkt werden. Anfang Februar rief die Psychosomatik daher zu einer Fachtagung ans Uni-Klinikum Erlangen. „In der Region gibt es immer noch zu wenige ambulante Angebote und lediglich zwei Handvoll eingetragener spezialisierter Therapeuten“, sagt Dr. Silbermann, „das können wir nur mit einem funktionierenden Netzwerk und regelmäßi- gem Erfahrungsaustausch ändern.“ Bei der Veranstal- tung referierten u. a. Prof. Dr. Luise Reddemann aus Klagenfurt, die wichtige Behandlungsansätze der Trau- matherapie im deutschsprachigen Raum maßgeblich geprägt hat, sowie Dr. Angelika Claußen aus Bielefeld, die sich mit der Versorgung traumatisierter Flüchtlinge beschäftigt. In diesem Zusammenhang berichtet Prof. Erim, dass in der Psychosomatischen Abteilung immer wieder auch Migranten behandelt werden, die teilweise als Flüchtlinge bereits vor vielen Jahren nach Deutsch- land kamen: „Die traumatischen Ereignisse, die diese Menschen unter anderem in Form von Kriegserfahrun- gen, Folter, Naturkatastrophen oder politischer Verfol- gung erlebt haben, passieren in der Ferne. Die Folgen in der Gegenwart sind allerdings gar nicht so weit entfernt von unserem alltäglichen Leben.“ Sie nennt das Beispiel eines jungen Mannes aus dem Irak, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt. Als Kind musste er mit ansehen, wie sein Vater erschossen wurde, und entwickelte da- raufhin eine PTBS, die die Therapeuten am Uni-Klinikum Erlangen gut behandeln konnten. Dem Patienten ging es zwischenzeitlich wieder gut – bis er am Arbeitsplatz dis- kriminiert und sein Trauma dadurch reaktiviert wurde. Traumareaktivierung durch Medienberichte Auch die mediale Berichterstattung kann Traumen wieder aufleben lassen. Nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 begannen Wissenschaftler, sich mit dem Einfluss der Nachrichten über Kriege, Terro - rismus und Katastrophen auf die psychischen Prozesse zu beschäftigen. „Wir haben alle mehrfach die Bilder der Flugzeuge, die in die Türme rasten, gesehen“, veran- schaulicht der leitende Oberarzt PD Dr. Georgios Paslakis, der sich intensiv mit der Thematik befasst. „Es konnte nachgewiesen werden, dass der Konsum solcher Bilder auch bei zuvor psychisch gesunden Menschen Stresssymptome und sogar eine PTBS auslösen kann.“ Vor allem diejenigen, die die Meldungen sechs Stunden oder länger verfolgten, entwickelten Symptome. Bei Menschen, die ein traumatisches Ereignis gut bewältigt haben, begünstigt die mediale Exposition sogar eine Traumareaktivierung. Das zeigt das Beispiel eines 47-jährigen Familienvaters, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt und auf die aktuellen Kriegsberichte mit Albträumen und Angstattacken, verbunden mit Herz- rasen und Todesängsten reagierte. „In Gesprächen fanden wir heraus, dass er vor 27 Jahren als junger Soldat in den türkisch-kurdischen Krieg ziehen musste und damals an der irakischen Grenze kämpfte“, erklärt PD Paslakis, „die Berichterstattung hat seine traumati- sche Erfahrung reaktiviert, obwohl er jahrelang keine Beschwerden hatte.“ Der Anfang ist gemacht „Die Patienten sind oft so schwer krank, dass acht Wochen Therapie bei uns die Symptome zwar lindern können, aber eine ambulante Weiterbetreuung unver- zichtbar ist“, sagt Prof. Erim. Diese kann langfristig nur durch die Vernetzung aller relevanten Anlaufstellen gesi- chert werden. „Unser Ziel ist es, Hand in Hand mit den Therapeuten und den Einrichtungen in der Region zusammenzuarbeiten, damit wir die Betroffenen nicht in einen luftleeren Raum entlassen. Seit über einem Jahr engagieren wir uns für dieses Vorhaben – und sind inzwischen auf einem sehr guten Weg.“ n aw In Einzelgesprächen erarbeitet PDDr. Georgios Paslakis mit den Patien- ten eine persönliche Problemanalyse und individuelle Therapieziele. UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN | 27
RkJQdWJsaXNoZXIy ODIyMTAw