Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.
mit wiederkehrenden Schmerzen, der sich nur seine Spritze abholen will, und als aggressiven Betrunkenen. „Unsere Schauspieler können dasselbe Krankheitsbild aus der Perspektive unterschiedlicher Patiententypen darbieten, wie sie auch in der Realität vorkommen“, sagt Dr. Anita Schmidt, Leiterin des medizinischen Trainings- zentrums PERLE (Praxis ERfahren und LErnen) der Medi- zinischen Fakultät der FAU Erlangen-Nürnberg. Seit Anfang 2014 bietet die Ärztin allen Fachrichtungen des Uni-Klinikums Erlangen ihre Unterstützung beim Rollen- schreiben und bei der Rekrutierung und Schulung von Schauspielern an. Aktuell arbeitet Anita Schmidt vor allem mit Dr. Marco Roos vom Allgemeinmedizinischen Institut (Direktor: Prof. Dr. Thomas Kühlein) und Dr. Philip Spitzer von der Psychiatrischen und Psychothera- peutischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Johannes Kornhuber) des Uni-Klinikums zusammen. Unabhängig davon setzt das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der FAU Erlangen-Nürnberg schon länger Simulationspati- enten ein, und auch die Psychosomatische und Psycho- therapeutische Abteilung (Leiterin: Prof. Dr. [TR] Yesim Erim) des Uni-Klinikums Erlangen arbeitet mit ihnen. „Bislang realisieren wir nur reine Kommunikations- und Interaktionstrainings“, sagt Dr. Schmidt. Körperliche Untersuchungen führen die Medizinstudenten zunächst an Kommilitonen oder an Modellen in der PERLE durch. Ein Choleriker mit Bauchschmerzen Damit niemand aus der Rolle fällt, bekommen die Simu- lationspatienten bevorzugt Erkrankungen zugewiesen, die gut zu ihrem Typ und ihrem Alter passen. Denn eine 25-jährige Demenzkranke ist wenig glaubwürdig. Die Altersspanne der Schauspieler am Uni-Klinikum Er- langen reicht deshalb von 18 bis über 70 Jahre. Fast alle haben schauspielerische Vorerfahrung. Inspiriert von echten klinischen Fällen schreiben die Fachärzte der jeweiligen Disziplin die Rollen selbst. Anita Schmidt unterstützt beim Grundgerüst: Was hat der Patient für ein Wesen – eher freundlich oder eher cholerisch? Wie kleidet er sich? Welche Körperhaltung hat er, wie geht und wie spricht er? Wie antwortet er auf Schlüssel- fragen? Was erzählt er von selbst und was nur auf Nach- frage? Um ihre Rollen authentisch vermitteln zu können, dürfen die Schauspieler wie am echten Filmset auch optische Hilfsmittel nutzen – sich etwa immer die gleiche Frisur machen, Schmuck oder passende Klei- dung tragen. Charakteristische Utensilien erleichtern es auch, die Rolle nach dem Schauspiel wieder abzulegen. „Es gibt Darsteller, die ausschließlich beim Spielen einen Ring tragen und ihn anschließend symbolisch abnehmen. Andere schütteln sich kurz oder setzen sich bewusst auf einen anderen Stuhl. Jeder sollte sich ein Ritual suchen, mit dem er die Szene eindeutig verlässt“, rät Anita Schmidt, die früher selbst Simulationspatientin war. Gerade bei anspruchsvollen Rollen wie Schizo- phrenie oder Depression müsse man diese deutliche Abgrenzung von Rolle und eigener Identität ernst nehmen. In der Allgemeinmedizin wurde das Anamnesetraining mit Schauspielpatienten erstmals im Wintersemester Rollenprofil: Charakter, Biografie, soziale Situation, Krankengeschichte, Äußerungen, Ge- danken und Gefühle des Patienten sind genau beschrieben. Simulationspatient Ernst Willmann (76) lernt, dass ein demenzkranker Mensch Uhrzeiten nicht mehr richtig angeben kann. | JAHRESBERICHT 2014/2015 30
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