Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.

„In Zweifelsfällen hilft uns beispielsweise die Bildge- bung“, erklärt Dr. Kohl. „Damit ist es uns möglich, andere Ursachen auszuschließen. Wir können zwar nicht die verlorenen Nervenzellen ersetzen, aber den verbliebenen Zellen helfen, besser zu funktionieren.“ Parkinson lässt sich gut medikamentös behandeln. „Aber nicht jeder Patient erhält die gleichen Tabletten in der gleichen Dosis – so einfach ist es nicht und so einfach machen wir es uns auch nicht“, sagt Prof. Winkler. „Jede Therapie ist eine individuelle Entschei- dung. Abhängig vom Alter, von den Vorerkrankungen und den Lebensumständen des Betroffenen.“ Da die Ärzte des Uni-Klinikums Erlangen ihre Parkinson-Pati- enten über Jahre betreuen und begleiten, können die Wirkstoffe und ihre jeweilige Dosis immer wieder ange- passt werden. In die Tiefe In 15 bis 20 Prozent der Fälle gibt es am hiesigen Uni-Kli- nikum eine zusätzliche Behandlungsoption: die Tiefe Hirnstimulation (THS). „Eine interdisziplinäre Methode, die nur im Team gelingt“, sagt Jürgen Winkler. „Hier arbeiten wir Neurologen eng mit den Neurochirurgen und Neuroradiologen zusammen.“ Das Verfahren wurde in den vergangenen zwei Jahren von Prof. Dr. Guido Nikkhah, Oberarzt der Neurochirurgischen Klinik, in Erlangen etabliert. Im Rahmen einer mehrstündigen Operation implantieren die Mediziner zwei hauchfeine Elektroden in ein kleines Zielareal im Gehirn des Betrof- fenen. Damit die Platzierung möglichst exakt gelingt, ist dieser währenddessen bei Bewusstsein und absolviert einfache Tests. Außerdem setzen die Ärzte einen streichholzschachtelgroßen Neurostimulator in die Brust ein. „Über dieses kleine Gerät können später die Neurologen und gegebenenfalls auch der Patient selbst die Intensität der kleinen Stromimpulse regulieren, die ins Gehirn fließen“, erklärt Prof. Nikkhah. „Dadurch werden die von uns angepeilten Nervenzellen stimuliert, die Bewegungseinschränkungen nehmen ab und die Lebensqualität zu.“ Berthold Roßner hat diese Chance genutzt: Der Ober- franke lebte bereits seit zwölf Jahren mit der Erkran- kung, als seine Ärzte ihm mitteilten, dass die Möglich- keiten der medikamentösen Therapie nun ausgeschöpft wären – doch sie eröffneten ihm gleichzeitig eine ganz neue Perspektive: Er sei der ideale Patient für eine THS. Um für diesen Eingriff infrage zu kommen, dürfen u. a. die Bewegungseinschränkungen noch nicht zu stark ausgeprägt und der Betroffene nicht dement sein. Außerdem ist wichtig, dass er realistische Erwartungen sowie ein gutes soziales Umfeld aufweist. „Und er muss Zeit mitbringen“, betont Guido Nikkhah. „Die OP funktio- niert nicht auf Knopfdruck. In der Regel dauert es drei bis sechs Monate, bis das Gerät passend eingestellt und der Patient damit vertraut ist.“ Das Ehepaar Roßner hat sich bewusst darauf eingelassen – mit Erfolg: „Aktuell geht es ihm fast so gut wie vor dem Ausbruch der Krankheit“, freut sich die Ehefrau. Ihr Mann habe wieder Appetit, könne durchschlafen und auch wieder Auto fahren. Berthold Roßner war der zweite Patient, der in Erlangen eine THS erhielt. Ob er lange überlegt habe? „Nein, denn ich hatte Vertrauen zu den Ärzten“, sagt er. „So eine Chance nicht nutzen, das wäre wie ein Sechser im Lotto und man holt das Geld nicht ab.“ Sensor im Schuh Knackpunkt der Parkinson-Behandlung ist nach wie vor die frühe Diagnose. In Erlangen wird intensiv daran gear- beitet, den Parkinson, der sich auf leisen Sohlen anschleicht, zeitiger zu hören – oder vielmehr zu sehen. „Der Gang der Betroffenen verändert sich“, weiß PD Dr. Jochen Klucken, stellvertretender Leiter der Moleku- laren Neurologie des Uni-Klinikums Erlangen. „Gehen geschieht intuitiv. Auch wenn der Patient selbst noch gar nichts von seiner Erkrankung bemerkt, kann eine Ganganalyse bereits Hinweise darauf geben.“ Was das menschliche Auge noch nicht sieht, macht hier also die Technik sichtbar: Und dafür arbeiten die Ärzte der Mole- Prof. Winkler, Dr. Kohl und Prof. Nikkhah (v. l.) bei der stereotaktischen Planung einer THS: Jeder Patient und die anvisierte OP werden gemeinsam besprochen. | JAHRESBERICHT 2014/2015 34

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