Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.

dass er sich verschwommen an Gespräche oder Hand- lungen des OP-Personals erinnert. Meist ereignen sich diese Wachheitszustände aber nicht mitten im Eingriff, sondern in der OP-Vorbereitung oder unmittelbar vor der Aufwachphase.“ Manche Menschen fürchten auch, während der Narkose unsinnige Dinge von sich zu geben oder plötzlich panische Bewegungen zu machen. Das kann aber allein aufgrund von Beatmungsmaske bezie- hungsweise -schlauch und dank muskelentspannender Medikamente nicht passieren. Das Bewusstsein anhalten Das Wunder der Narkose: 14 Millionen Mal pro Jahr wird es in Deutschland vollbracht, 35.000-mal davon am Uni-Klinikum Erlangen, durchgeführt von 140 Anästhe- sisten und 80 Anästhesiepflegekräften. Keine Vollnar - kose findet ohne einen anästhesiologischen Facharzt statt, der Blutdruck, Herzfrequenz, Lungenfunktion und Sauerstoffsättigung im Blut des Patienten minutiös überwacht. Bei größeren, komplizierteren Eingriffen wie einer Operation am Kinderherzen oder einer Lebertrans- plantation sind sogar zwei Anästhesisten anwesend. Wenn der zu Operierende noch bei Bewusstsein ist, legt ihm der Narkosearzt eine Beatmungsmaske über Mund und Nase und lässt ihn Sauerstoff einatmen. Dann leitet der Anästhesist die Narkose ein: Schlaf- und Schmerz- mittel, Medikamente zur Muskelerschlaffung und Beein- flussung des vegetativen Nervensystems fließen compu - tergestützt über einen Zugang am Handrücken oder Unterarm in die Blutbahn oder strömen gasförmig über die Beatmungsmaske in den Körper. Die richtige Dosis dieser sogenannten Anästhetika richtet sich unter anderem nach der OP-Dauer und dem Patientenge- wicht. So sind Schlafmittel etwa bei Übergewichtigen schwieriger zu dosieren und bauen sich – weil sie im Fettgewebe gespeichert werden – viel langsamer ab als bei Normalgewichtigen. Das muss der Anästhesist berücksichtigen. Etwa eine Minute nachdem er das Narkosemittel erhalten hat, schläft der Patient ein. Sauerstoff be- kommt er weiterhin über die außenliegende Beatmungs- maske, bei längeren Eingriffen über eine in den Rachen vorgeschobene Kehlkopfmaske oder einen Tubus in der Luftröhre. Wird die Zufuhr der Anästhetika eingestellt, kann der Erwachende binnen weniger Minuten wieder selbstständig atmen und sich verständlich machen. „Fast könnte man sagen, wir knipsen die Wirkung unserer Medikamente an und aus wie Licht“, beschreibt es Jürgen Schüttler. Lange, komplikationsreiche Aufwach- prozesse, wie sie noch bei der ersten deutschen Äther- Narkose im Januar 1847 in Erlangen üblich waren, sind längst Geschichte. „Wir haben am Uni-Klinikum Erlangen einen Forschungsschwerpunkt etabliert, der sich der Dosierung intravenöser Anästhetika widmet und darauf abzielt, sie noch besser zu steuern und ihre Neben- wirkungen weiter zu verringern“, sagt der Klinikdirektor. Während der Patient eine Allgemeinanästhesie nicht bewusst miterlebt, ist er bei einer Operation unter Regi- onalanästhesie wach oder in einem leichten Dämmer- schlaf. Die örtliche Betäubung schaltet das Schmerz- empfinden lediglich in einem begrenzten Körperbereich aus, das Bewusstsein bleibt unbeeinflusst. So können Ärzte etwa einen Arm oder ein Knie schmerzfrei operieren. Auch die in der Geburtshilfe öfter ange- wandte Periduralanästhesie (PDA), die die Empfindung in Oberkörper, Bauch, Becken, Unterleib und Beinen unterbindet, gehört zu den Regionalanästhesien. Für Anästhesisten besonders herausfordernd sind Operati- onen am offenen Gehirn, wie sie in der Tumorchirurgie oder beim Einsetzen von Elektroden zur tiefen Hirnsti- mulation vorkommen (s. S. 34). Der Narkosearzt muss dabei zum einen sicherstellen, dass der Patient beim Öffnen und Schließen der Schädeldecke schläft, zum anderen, dass er während bestimmter OP-Phasen wach und schmerzfrei ist. Dies kann nötig sein, um funktions- Während der Narkose messen Elektroden die Hirnaktivität und erlauben es, die Schlaftiefe des Patienten in Echtzeit zu ermitteln. Die Gefahr eines vorzeitigen oder unnötig langsamen Aufwachens wird so minimiert. | JAHRESBERICHT 2014/2015 38

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