Jahresbericht 2014 | 2015: Medizin. Menschen. Momente.
tüchtiges Hirnareal mithilfe neurologischer Tests von Tumorgewebe abzugrenzen. Die örtliche Betäubung eignet sich besonders dazu, Schmerzen nicht nur wäh- rend, sondern auch nach der OP zu behandeln. Sie wird deshalb häufig ergänzend zur Vollnarkose eingesetzt. Weil ängstliche Patienten unter Narkose eher Komplika- tionen entwickeln, wird das Stressniveau vor und während des Eingriffs so niedrig wie möglich gehalten. Dazu trägt auch die ausführliche, vertrauensvolle Aufklärung bei, die ein Narkosearzt vor jeder Operation durchführt. Dabei erfährt der Patient, welche techni- schen Möglichkeiten der Narkose es gibt, wie verschie- dene Anästhetika wirken, und natürlich wird er auch über potenzielle Zwischenfälle aufgeklärt. „Ohne eine schriftliche Einwilligung wäre ein ärztliches Handeln vonseiten der Anästhesisten gar nicht zulässig“, erklärt Prof. Schüttler. Es sei denn, der Patient ist bewusstlos (z. B. bei Notfällen) – dann muss der Anästhesist schnell und dessen mutmaßlichem Willen gemäß entscheiden. Sicher wie ein Charterflug „Niemand würde sich in ein Passagierflugzeug setzen, wenn er wüsste, dass der Pilot noch nie ein Flugsimula- tionstraining absolviert hat“, sagt Prof. Schüttler. Eben- sowenig möchte sich jemand einem unerfahrenen Anäs- thesisten anvertrauen. Deshalb trainieren die Narkose- ärzte des Uni-Klinikums Erlangen in der studentischen Aus- und der ärztlichen Weiterbildung an Simulatoren – lebensechten Modellen in Baby-, Kinder- oder Erwach- senenstatur. Die Puppen atmen und klagen über Kopf- schmerzen, ihre Haut läuft blau an, ihre Herzen schlagen und die Pupillen weiten sich. An solchen Full-Scale-Si- mulatoren kann die Arzt-Patienten-Interaktion sehr realitätsnah nachgeahmt werden. In der Anästhesiologi- schen Klinik des Uni-Klinikums Erlangen geschieht dies in einem eigenen Simulations- und Trainingszentrum – 1996 war es das erste in Deutschland. Neben Medizin- studenten nutzen es Fachärzte und Pflegekräfte für Schulungen in Narkose-, Notfall- und Intensivmedizin. Sie üben nach dem Schema „1-1-1“: Jeder Mitarbeiter der Anästhesie soll mindestens einmal im Jahr einen ganzen Tag lang im Simulationszentrum trainieren. Der echte Patient darf sich der Fähigkeiten des Anäs- thesisten dann umso sicherer sein. Der Arzt und mindes- tens eine Anästhesiepflegekraft begleiten den Kranken vom sanften Einschlafen bis zum schmerzfreien Aufwa- chen – und haben währenddessen alle wichtigen Vital- parameter im Blick. Am Monitoring-Display verfolgt der Anästhesist die Wirkung von Schmerz- und Narkosemit- teln; auf die Stirn des Patienten aufgeklebte EEG-Elekt- roden leiten kontinuierlich dessen Hirn- und Muskel- ströme ab und kontrollieren so die Narkosetiefe. „In un- serer Klinik achten wir zusätzlich peinlich genau darauf, dass die Körpertemperatur des Patienten durchweg zwischen 36 und 37 °C liegt“, versichert Prof. Schüttler. Denn Mediziner wissen heute, dass ein Auskühlen des bewusstlosen Körpers negative Folgen haben kann. Aus kritischen Situationen lernen Um den Risikofaktor des menschlichen Irrtums immer weiter zu minimieren, arbeiten die Erlanger Anästhe- sisten seit vielen Jahren mit dem Critical Incident Repor- ting System (CIRS) – der elektronischen Dokumentation von Beinahe-Zwischenfällen. Freiwillig und anonym trägt das OP-Personal im Nachgang kritische Situationen ein, beschreibt, wodurch sie zustande kamen, und schätzt die Gefährdung für den Patienten ein. Ein interprofessi- onelles Team der Anästhesie analysiert alle gemeldeten Fälle und leitet Verbesserungsmöglichkeiten ab. „Wir haben so gute Erfahrungen mit CIRS, dass das Tool nun auch in anderen Einrichtungen des Uni-Klinikums Erlangen implementiert werden soll“, sagt Prof. Schüttler. Ein weiterer Schritt hin zu noch mehr Patientensicherheit. n fm Notfall- und Narkoseszenarien mit Kindern erfordern ein spezielles Training. Im Simulations- und Trainingszentrum der Anästhesie werden die Mitarbeiter an realistischen Simulatoren geschult. UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN | 39
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