Jahresbericht 2015 | 2016: Medizin. Menschen. Momente.
FM U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 5 | 2 0 1 6 29 H E L F E N H E I L E N „Palliativmedizin ist nicht nur Trauer und Tod. Es gibt auch die humorvollen, zuversichtlichen Momente, die wir keinemMenschen verbieten dürfen.“ Andreas Frenzel, Psychologe im Kinderpalliativteam In Dila Sus roter Patientenakte liegt ein „Notfallplan“ – eine Art Patientenverfügung, die die Eltern mit dem Kinderpalliativteam abgestimmt und die sie unterzeichnet haben. Sie hält fest, wie die Schmerzen, Unruhe, Krämpfe und Atemnot ihrer Tochter gelindert werden sollen, und er bestimmt: Wenn Dila Su entscheidet, zu gehen, soll sie nicht wiederbelebt werden. Sie soll nicht intubiert und beatmet in eine Klinik kommen. „Das würde ihr Leiden nur verlängern“, erklärt Chara Gravou-Apostolatou. Obwohl Dila Sus Leben viel zu früh enden wird, betont die Kinderärztin: „Wir begleiten das Leben, nicht das Sterben. Die Eltern und ihr krankes Kind sollen in der verbleibenden Zeit nicht allein sein und die beste Lebensqualität erfahren, die möglich ist. Ohne Angst zu haben, etwas falsch zu machen.“ Wie die vielen anderen Eltern ist auch Derya S. dank der vielen regelmäßigen Hausbesu- che und der Anleitung durch das Erlanger Kinderpalliativteam sicherer geworden in der Versorgung ihrer zweiten Tochter. Zwischen der Familie und den Besuchern aus Erlangen ist Vertrauen gewachsen. Andreas Frenzel möchte wissen, wie es Dila Sus Schwester Defne Nil mit der Situation geht. Wie immer zeigt die Fünfjährige dem Psychologen ihr Prinzessinnen-Zimmer, präsentiert Filme und Bücher und die neue Discokugel, die ihr Vater für sie aufgehängt hat. Ab und an läuft Defne ins Wohnzimmer, beugt sich über Dila Sus Babyschale und streichelt der kleinen Schwester vorsichtig übers Gesicht. „Sie sagt manchmal: ‚Ich will nicht, dass sie stirbt‘“, erzählt Derya S. „Ich antworte dann: ‚Das will ich auch nicht. Aber wir müssen es akzeptieren. Und die Zeit genießen, in der sie noch bei uns ist.‘“ FREUDE UND TRAUER IN EINEM HAUS In wenigen Tagen wird Defne Nil sechs Jahre alt. Drei Tage lang will die türkischstämmige Familie mit allen Verwandten groß feiern. „Wir geh’n ins Tucherland!“, jauchzt Defne, während sie am Arm ihres Vaters hängt, der gerade nach Hause gekommen ist. Andreas Frenzel und Dr. Gravou-Apostolatou ziehen sich für heute zurück. „Wir bleiben in Kontakt“, verabschiedet sich der Psychologe. Im Flur fällt der Blick auf den schmalen Schrank mit den beiden goldenen Rahmen: Defne Nil und Dila Su, die Fuß- und die Handabdrücke der zwei Schwestern in Gips. Unter dem Namen der Jüngeren ist der feine Umriss eines Herzens eingeprägt. „Dila“ bedeutet „die Herzliche“ auf Persisch. Für das Mädchen, das in Liebe lebt – und in Liebe gehen wird. Jede Woche sprechen die Mitglieder des Kinderpalliativteams über jeden einzelnen ihrer Patienten. Auch die Teammitglieder müssen regelmäßig innehalten und das Geschehene verarbeiten. 160 Tsd. Mehr als 160.000 Kilometer hat das SAPPV-Team bei seinen Hausbesuchen bis heute zurückgelegt. Wöchentlich kommen 600 weitere Kilometer dazu.
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