Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.
eltenheit – ein Begriff mit zwei Seiten. Er kann etwas Gutes bedeuten, wenn eine Sache dadurch als speziell verstan- den wird, ausgefallen und sogar kostbar. Seltenheit kann aber auch problematisch sein, denn sie bedeutet ebenfalls rar, ungewöhnlich und vielleicht auch unbekannt. In der Medizin stellt sie Ärzte und Forscher vor Herausforderungen. Es gilt, in wenig erschlossenem und weit- gehend unbekanntem Terrain Ursachen zu finden und Therapien zu entwickeln. „Das größte Problem bei seltenen Erkrankun- gen ist das unzureichend verbreitete Wissen über ihre Existenz sowie über Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten“, erklärt PD Dr. Zacharias Kohl aus der Molekular-Neuro- logischen Abteilung (Leiter: Prof. Dr. Jürgen S Winkler) des Uni-Klinikums Erlangen. „Meist erkennen Mediziner mit weniger Erfahrung auf diesem Spezialgebiet keinen Zusammen- hang zwischen den auftretenden Symptomen. So dauert es aufgrund von Fehldiagnosen und -therapien leider durchschnittlich sieben Jahre, bis ein Patient Klarheit erhält. Durch die Zentrenbildung wollen wir diese Zeit- spanne zukünftig deutlich verkürzen.“ QUÄLENDE UNGEWISSHEIT In den Kopfkliniken des Uni-Klinikums Er- langen betreut PD Kohl Patienten mit Bewe- gungserkrankungen und hat sich dabei auf die Erforschung ihrer seltenen Ausprägungen spezialisiert. Eine seiner langjährigen Pa- tientinnen ist Edeltraud Mödl. „Meine ersten Symptome hatte ich 1997“, schildert sie. „Meinem Bruder fiel auf, dass ich seltsam lief, während ich selbst nur Probleme mit meinem Gleichgewicht bemerkte. Aber ich verdrängte diese frühen Zeichen, weil ich wusste, dass mein Bruder tatsächlich eine Bewegungserkrankung hatte.“ Doch die Beschwerden vermehrten sich. Deshalb ließ Kurze Strecken bewältigt Edeltraud Mödl noch ohne Gehhilfe, auch wenn es ihr sehr schwer fällt. Bei regel- mäßigen Ganganalysen beobachtet PD Kohl, ob sich der Zustand seiner Patientin verschlechtert. Heilen kann er ihre Lähmung nicht, aber Folgeerscheinungen wie Sehnenver- kürzungen vermeiden. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen an ihr leiden. Betroffene erleben meist nicht nur eine belastende Irrfahrt auf der Suche nach der richtigen Diagnose, sondern müssen am Ende oft auch akzeptieren, dass die Krankheitsursachen und wirkungsvolle Therapien noch unbekannt sind. Die Bildung interdisziplinärer Spezialistenteams ist des- halb ein wichtiger Schritt – so wie das jetzt gegründete Zentrum für Seltene Erkrankungen Erlangen (ZSEER) am Uni-Klinikum Erlangen. FORSCHEN HILFT HEILEN Ein heterogenes Feld Insgesamt sind bisher rund 7.000 unterschiedliche seltene Krankheits- bilder bekannt. Das bedeutet niedrige Fallzahlen und damit schwer ermittel- bares Wissen über Ursachen, Sympto- me und Therapien. Hochkompetenz- zentren wie das ZSEER sollen künftig bessere Versorgungsstrukturen schaf- fen und die Diagnostik beschleunigen. „Plötzlich musste ich mich damit be- fassen, eine Erkrankung zu haben, die so selten ist, dass es für sie weder eine Therapie noch eine Erklärung gibt.“ Edeltraud Mödl, Patientin mit Hereditärer Spastischer Spinalparalyse U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 12 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 13 H E L F E N H E I L E N H E L F E N H E I L E N
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