Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.

MS Prof. Dr. Beate Winner, Sprecherin des neu gegründeten Zentrums für Seltene Erkrankun- gen Erlangen (ZSEER) und Leiterin der Stammzellbiologischen Abteilung, war es ein großes Anliegen, die Fachkompetenzen zu seltenen Erkrankun- gen am Uni-Klinikum Erlangen zu bündeln und damit ein starkes Zentrum zu schaffen – für Patienten heute und morgen. sich die heute 57-Jährige, zu diesem Zeit- punkt bereits widerwillig am Gehstock, erst von einem Neurologen in Roth, dann von einem weiteren in Regensburg untersuchen – jeweils ohne Ergebnis. „Mein Bruder war inzwischen am Uni-Klinikum Erlangen in Be- handlung und riet mir, mich hier ebenfalls vorzustellen.“ In der Hugenottenstadt lernte sie 1998 die Spezialisten PD Kohl und Prof. Dr. Dieter Heuß, Oberarzt der Neuro- logischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Schwab) kennen. Dank der umfassenden Er- fahrung der beiden Mediziner und der Möglichkeit, eine Erbgutanalyse durch- zuführen, stand die Diagnose bald fest: Hereditäre Spasti- sche Spinalparalyse (HSP), eine erbliche und fortschreitende Muskelsteifheit und -lähmung, die sich insbe- sondere an den Beinen äußert und zu einer Gangstörung führt. Endlich wusste Edeltraud Mödl über ihre Krankheit Bescheid. Doch bis es so weit war, erlebte sie eine schwere Zeit. „Nicht zu wissen, woran man leidet und dabei zusehen zu müssen, wie die Symptome rasant schlimmer werden, bis ich schließlich im Rollstuhl saß, war so belastend, dass ich irgendwann eine Depression bekam“, er- innert sie sich. „Aber auch mit der Diagnose wurde es nicht leichter. Plötzlich musste ich mich damit befassen, eine Erkrankung zu haben, die so selten ist, dass es für sie weder eine Therapie noch eine Erklärung gibt.“ Tatsächlich ist es den Medizinern bis- her nur möglich, mit medikamentösen und physiotherapeutischen Maßnahmen die Folgekomplikationen der HSP einzudämmen. URSACHEN WEITERHIN UNGEKLÄRT PD Kohl befasst sich seit vielen Jahren mit neuromuskulären Erkrankungen wie HSP sowie mit seltenen Formen des Parkinsons und mit der Huntington-Krankheit. „Die Pro- bleme um HSP sind typisch für viele seltene Erkrankungen“, beschreibt der Neurologe und Bewegungserkrankungsspezialist. „Um ein Leiden erforschen zu können, benöti- gen wir Patienten als Studienteilnehmer. Gibt es diese aber nur vereinzelt, kommt auch die Forschung nur schwerfällig voran. Im Umkehrschluss erklärt das den Leitge- danken der deutschen Zentren für Seltene Erkrankungen ‚Forschen hilft heilen‘.“ Da seltene Erkrankungen in vier von fünf Fällen vererbt werden, ist das Humange- netische Institut (Direktor: Prof. Dr. André Reis) des Uni-Klinikums Erlangen fest in die Arbeit eingebunden. „Die Kollegen unter- stützen uns zum einen in der diagnostischen Erbgutanalyse und zum anderen bei der genetischen Beratung im Hinblick auf einen Kinderwunsch.“ Auch HSP ist ein solcher Fall. Das Risiko, die für die Krankheit ver- antwortliche Genmutation an seinen Nach- wuchs weiterzugeben, liegt bei 50 Prozent. Edeltraud Mödl hat drei Kinder. Ihre zwei Töchter sind gesund, der Sohn aber ist an HSP erkrankt. „Er war erst vier Jahre alt, als wir ihn haben testen lassen, und er konnte deshalb rechtzeitig mit einer Physiotherapie beginnen“, sagt die Mutter. „Heute spielt er Fußball, und von der Krankheit ist kaum etwas zu bemerken. Ich hoffe, das bleibt so.“ ZENTREN ALS WEG IN DIE ZUKUNFT Uni-Kliniken bieten optimale Bedingungen, um seltene Erkrankungen zu erkennen und zu untersuchen, da hier eine unvergleichliche Dichte an Fachdisziplinen und erfahrenen Ärzten vorhanden ist, gepaart mit der direk- ten Anbindung zur medizinischen Forschung. „Die Zentrenbildung ist ganz wichtig“, betont Prof. Dr. Beate Winner. Sie ist die Sprecherin des neu gegründeten Zentrums für Seltene Erkrankungen Erlangen (ZSEER). In den ver- gangenen Jahren entstanden an den meisten deutschen Uni-Klinika derartige Zusammen- schlüsse. Das ZSEER setzt sich aus sechs Spezialzentren zusammen, die auf ausge- wählte Bereiche spezialisiert sind: seltene Bewegungserkrankungen, seltene Entwick- lungsstörungen, seltene neuromuskuläre Erkrankungen, tuberöse Sklerose, seltene immunologische Erkrankungen und die zystische Fibrose, auch Mukoviszidose ge- nannt. „Durch das ZSEER verstärkt sich die Vernetzung der Einrichtungen und wir schaffen bessere Strukturen für den Ablauf der Diagnostik und Behandlung“, sagt Prof. Winner. „Zusätzlich sind wir jetzt eine noch sichtbarere Kontaktstelle für unsere exter- nen Kollegen, die sich mit ungewöhnlichen Patientenfällen an uns wenden können. Auf diese Weise sollen seltene Erkrankungen in Zukunft schneller erkannt werden.“ STUDIENTEILNEHMER GESUCHT Wenn mehr Patienten mit seltenen Erkran- kungen den Weg ins Uni-Klinikum finden, profitiert auch die Forschung. Deshalb sind Mediziner wie Zacharias Kohl dankbar für jeden Betroffenen, der an Studien teil- nimmt – so wie Edeltraud Mödl. „Ich habe akzeptiert, dass es für mich in naher Zu- kunft keine Heilung geben wird“, sagt die Fränkin. „Aber wenn ich heute durch meine Forschungsunterstützung vielleicht mei- nem Sohn oder weiteren Erkrankten helfen kann, dann ist mir das genauso wichtig.“ 4 Mio. Menschen leiden in Deutschland an einer der rund 7.000 bisher bekannten seltenen Erkrankungen. „Durch das ZSEER verstärkt sich die Vernetzung der Ein- richtungen und wir schaffen bessere Strukturen für den Ablauf der Diagnostik und Behandlung.“ Prof. Dr. Beate Winner, Sprecherin des Zentrums für Seltene Erkrankungen Erlangen Fokus: DNS Obwohl es viele mögliche Auslöser für seltene Erkrankungen gibt, über- wiegen jene, die von Mutationen im Erbgut herrühren. In einigen Fällen, wie der HSP, werden diese Veränderungen dominant vererbt, d. h. sie werden mit einem Risiko von 50 Prozent an den Nachwuchs weitergegeben. Andere seltene Er- krankungen treten rezessiv auf und können mehrere Generationen ohne ein Auftreten überspringen. U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 14 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 15 H E L F E N H E I L E N H E L F E N H E I L E N

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