Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.

F O R S C H E N L E H R E N F O R S C H E N L E H R E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 34 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 35 3.000 Nukleotide umfasst das menschliche Gen für TNF in etwa. Das Gen wurde 1985 bestimmt und befindet sich auf Chromosom 6. krosefaktor nun eben auch nicht mehr bei der Abwehr von Erregern zur Verfügung steht. Deshalb zeigen Patienten, die TNF-Blocker einnehmen, eine erhöhte Infektionsanfälligkeit.“ ÜBERRASCHENDE ENTDECKUNG An diesem Punkt setzt die Forschungsarbeit der Erlanger Gruppe an. „Wir möchten die mo- lekularen Wirkungsmechanismen von TNF besser verstehen, um herauszufinden, ob man bei einer Therapie mit TNF-Blockern nicht zu- sätzlich ein anderes Zahnrad anhalten kann. Mit dem gleichen positiven Ergebnis, aber ohne die negativen Nebenwirkungen“, erklärt PD Schleicher. Dafür forscht die Arbeits- gruppe mithilfe von Leishmania, einem durch Sandmücken übertragenen Erreger. Als Ver- suchsmodell wurde eine speziell gezüchtete Maus ausgewählt, in deren Organismus der Botenstoff TNF nicht vorhanden ist. Nachdem das Tier mit dem Parasiten infiziert wurde, stellten die Wissenschaftler wie erwartet fest, dass das Immunsystem den Erreger nicht er- folgreich abwehren konnte. „Überrascht hat uns allerdings, dass wir – obwohl TNF fehlte! – im infizierten Gewebe genauso viel NOS2 fanden wie im Kontrollgewebe, was dafür sprach, dass die Makrophagen auch ohne TNF potent aktiviert worden waren. Dieser Beobachtung zufolge müsste also auch ohne TNF genügend Stickstoffmonoxid gebildet werden, um die Parasiten abzutöten.“ Warum wurden die Parasiten also nicht dezimiert und konnten sich stattdessen sogar vermeh- ren? An dieser Stelle kam die Erlanger Ar- beitsgruppe zunächst nicht weiter – obwohl sie verschiedene molekulare Abläufe akri- bisch unter die Lupe nahm. In der Diskussion mit Heinrich Körner von der University of Tasmania (Australien) entwickel- te sich schließlich die Idee, dass TNF noch einen weiteren Effekt hat: Es hemmt einen wichtigen Gegenspieler von NOS2, nämlich das Enzym Arginase 1. Die Arginase, die übli- cherweise vom Botenstoff Interleukin-4 akti- viert wird, verwendet für ihre Enzymreaktion denselben Ausgangsstoff, die Aminosäure L-Arginin, wie NOS2. Beide Enzyme konkurrie- ren also um dasselbe Substrat und können sich, wenn sie gleichzeitig im Makrophagen vorhanden sind, in ihrer Reaktion gegenseitig behindern. Tatsächlich fanden die Mitarbeiter im Labor deutlich erhöhte Mengen von Argi- nase 1 im infizierten Gewebe, wenn TNF fehl- te. „Durch die Arginasereaktion wurde sehr viel vom Ausgangsstoff L-Arginin verbraucht. Infolge dieses Substratmangels konnte NOS2 nur noch sehr geringe Mengen des Stickstoffmo- noxids bilden. Dadurch unterblieb eine effizien- te Abtötung der Parasiten, die sich dann stark vermehren konnten“, erklärt PD Schleicher. Mit diesen Untersuchungen gelang es der Erlanger Arbeitsgruppe, ein bisher unbekann- tes Wirkprinzip von TNF nachzuweisen: Der Botenstoff sorgt dafür, dass dem für die Ab- wehr wichtigen NOS2 genügend Ausgangs- material für seine Reaktion zur Verfügung steht, indem er den NOS2-Gegenspieler Argi- nase unterdrückt (s. Abb. S. 32). „Unabhän- gig von unseren Forschungsarbeiten und zeit- gleich mit uns belegte die US-amerikanische Arbeitsgruppe von Peter Murray dieses TNF- Wirkprinzip im Tumormodell. Das war eine schöne Bestätigung, zumal wir seit Jahren zum Thema Arginase 1 kooperieren“, be- richtet Christian Bogdan. SUCHE NACH NEUEN ANTWORTEN Mit dieser gesicherten Erkenntnis verfolgen die Erlanger Forscher nun neue Ansätze. „Zum einen untersuchen wir in Zusammenarbeit mit den Ärzten der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie, ob sich die Ergebnisse aus dem Tiermodell überhaupt auf den Organismus des Menschen übertra- gen lassen“, sagt PD Schleicher. „Zum anderen gehen wir den Fragen nach, über welche mole- kularen Mechanismen TNF die Arginase regu- liert und ob es noch weitere Wirkprinzipien von TNF gibt. Wir sind bewusst breit aufgestellt.“ Angesichts der stetig wachsenden Zahl von Menschen mit chronisch-entzündlichen oder Autoimmunerkrankungen hat die Arbeitsgrup- pe ein praxisnahes Ziel: herauszufinden, wie man medikamentös die Überreaktion des Immunsystems unterbinden und dabei gleich- zeitig die Infektionsabwehr des Patienten erhalten kann. phagen, die den Botenstoff nach Stimulation auch selbst produzieren können. Makropha- gen sind Fresszellen des Immunsystems, die eingedrungene Erreger umfließen, ins Zell- innere aufnehmen und letztlich über verschie- dene Wege zerstören. TNF aktiviert im Zu- sammenspiel mit einem weiteren Botenstoff, dem Interferon gamma, einen dieser Wege zur Beseitigung von Erregern, indem es in Ma- krophagen das Enzym Stickstoffmonoxidsyn- thase Typ2 (NOS2) und dessen Bildung von Stickstoffmonoxid (NO) anregt, das toxisch auf Erreger wirkt (s. Abb. S. 32). Hier findet sich im Übrigen die Lösung für William Coleys Rätsel: Das Immunsystem seines Patienten bekämpfte die injizierten Bakterien. Dabei wurden unzählige Makrophagen aktiv, die TNF freisetzten. Da der multifunktionale Bo- tenstoff nun also in erhöhter Dosis im Körper des Kranken zirkulierte, führte er zu einem signifikanten Absterben der Tumorzellen. Neben diesen positiven Aspekten im Kampf gegen den Krebs und in der Infektionsabwehr haben die Wissenschaftler TNF im Zusammen- hang mit anderen Krankheiten inzwischen aber auch negative Eigenschaften nachge- wiesen: Der Botenstoff befeuert u. a. Entzün- dungen und Autoimmunerkrankungen. Bei den Betroffenen richtet sich das Immunsystem dann quasi gegen den eigenen Organismus und greift körpereigene Zellen grundlos an. Die Folgen sind ständige Schmerzen oder immer wiederkehrende Krankheitsschübe. „Als man die Rolle von TNF in andauernden Entzün- dungsprozessen erkannte, versuchte man, dieses Zahnrad anzuhalten“, sagt Prof. Bogdan. „Mit Erfolg: Sogenannte TNF-Blocker erzielen gute Ergebnisse und eine deutliche Verbes- serung der Lebensqualität, beispielsweise bei Menschen mit Rheumatoider Arthritis oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Wie wir jetzt wissen, allerdings mit der Ein- schränkung, dass der gehemmte Tumorne- PD Dr. Ulrike Schleicher und Prof. Dr. Christian Bogdan leiten die Arbeits- gruppe „Innate Immunity and Leishmaniasis“ und waren federführend verant- wortlich für die Veröffent- lichung der Forschungser- gebnisse in der interna- tionalen Fachzeitschrift „Cell Reports“ (Ausgabe 15 vom 03.05.2016). Mithilfe eines speziellen Lichtmikro- skops, dem konfokalen Fluoreszenz- mikroskop, untersucht Doktorandin Katrin Paduch, Master of Science Biochemistry and Molecular Biology, das Vorhandensein des Enzyms Arginase 1 und der NOS2 sowie von Stickstoffmonoxid in infizierten Zellen oder in infiziertem Gewebe. Die gleichzeitige Anfärbung mehrerer intrazellulärer Komponenten auf ein und demselben Gewebeschnitt stellte anfangs eine große Heraus- forderung dar. Für die Zellkulturexperi- mente züchtet Andrea Debus, biologisch-tech- nische Assistentin, aus Knochenmark gewonnene Makrophagen auf einer Teflonmembran. BM 30% Etwa 30 Prozent der rheumatologisch be- treuten Patienten wer- den in Deutschland heutzutage mit TNF- Blockern behandelt. 21 µm sind Makrophagen un- gefähr groß. Das sind 0,021 mm.

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