Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.
Die Kinderurologin Dr. Eva Harlander-Weikert und ihr kleiner Patient proben die Sonografie an einer Stoffente. „Wenn die das schafft, schaffst du das schon lange!“ Die neue kinderurologische Station des Uni-Klinikums Erlangen hat zwölf Betten. Dank des Umzugs ins Gebäude der Kinderklinik im März 2016 sind andere pädiatrische Einrichtungen, mit denen die Kinderurologen eng zusammenar- beiten, nun greifbar nah: die Kindernephrologie, das Sozialpädiatrische Zentrum, die Kinder- und die Neo-Intensivstation, die Endo- krinologie, die Radiologie und die Nuklearmedizin. U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 38 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 39 H E L F E N H E I L E N H E L F E N H E I L E N Vom Blasentraining bis zur neuen Niere: Die Ärzte und Pflegekräfte der Kinderurologie therapieren mit und ohne Medikamente, mit und ohne OP. IN TROCKENEN TÜCHERN esen und Kopfrechnen, Englisch- Vokabeln, Rolle vorwärts: All das lernen Kinder spätestens in der Grundschule. Das Fach „Richtig auf die Toilette gehen“ wird nicht unterrichtet. Dabei müssen Heranwachsende oft erst lernen, ihre Blase zu kontrollieren. „Bis zum Ende des fünften Lebensjahres nässt noch jedes dritte Kind gelegentlich im Schlaf ein. Bis zu diesem Alter ist das in der Regel nicht besorgniserregend“, erklärt Dr. Karin Hirsch-Koch, Leiterin der Sektion Kin- derurologie in der Urologischen und Kinder- urologischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Bernd Wullich) des Uni-Klinikums Erlangen. Krank- heitswert kann das Einnässen haben, wenn auch Kinder über fünf Jahre nachts noch mindestens zweimal monatlich Harn verlie- ren. Je älter die Jungen oder Mädchen sind, desto stärker belastet das Bettnässen einer- seits die Betroffenen, die beim Schulausflug Angst haben, einmal mehr auf einem feuch- ten Laken aufzuwachen, und andererseits die Eltern, die daheim mit dem Wäschewech- sel nicht nachkommen und sich wünschen, alles wäre – im wahrsten Sinne des Wortes – endlich in trockenen Tüchern. „Ebenso bedrückend ist es, wenn junge Pa- tienten tagsüber Urin verlieren, ohne es zu wollen“, berichtet Dr. Hirsch-Koch. In den we- nigsten Fällen hat die kindliche Inkontinenz organische Ursachen, die eine Operation erfordern: Harnröhrenklappen, die den Harn- fluss behindern, Fehlbildungen der Blase und der Nieren oder angeborene neurogene Er- krankungen zum Beispiel. Mehrheitlich ist die kindliche Inkontinenz „funktionell“: Ein Teil der Kinder leidet an einer überaktiven Blase, der Overactive Bladder (OAB). OAB-Pa- tienten verspüren einen ständigen Harndrang und entleeren ihre Blase sehr oft – freiwillig oder unfreiwillig. Andere Kinder schieben den Toilettengang auf, „zum Beispiel weil sie durch Spielen oder Fernsehen abgelenkt sind, weil sie den Unterricht nicht stören wollen oder sich vor der Toilette ekeln“, weiß Dr. Hirsch-Koch. Weiterhin beobachten die Kinderurologen das Phänomen der dyskoor- dinierten Miktion. Karin Hirsch-Koch erklärt: „Das heißt, dass das Kind seine Beckenbo- denmuskulatur beim Wasserlassen anspannt und die Miktion damit immer wieder unter- bricht. So bleibt Restharn in der Blase. Der führt zu Harnwegsinfektionen, bis hin zur Nie- renbeckenentzündung.“ All diese funktionel- len Blasenentleerungsstörungen können ohne eine Operation und ohne Medikamente be- handelt werden: in der Blasenschule der Kinderurologie. SIEBEN BECHER AM TAG Unterrichtet wird in der Blasenschule seit 2012 – und zwar von zwei Urotherapeutinnen. Vor der „Einschulung“ führen die Kinder ge- meinsam mit den Eltern 14 Tage lang Proto- koll über ihre Trink- und Miktionsgewohnhei- ten. Ausgerüstet mit dem Lieblingsgetränk geht es dann zum Diagnostiktag in die Er- langer Kinderurologie. „Einer unserer fünf Ärzte führt ein Anamnesegespräch und unter- sucht das Kind oder den Jugendlichen, um auszuschließen, dass das Einnässen orga- nisch bedingt ist“, sagt Therapeutin Sonja Rotter. Deutet alles auf eine funktionelle Ent- leerungsstörung hin, kommen Mädchen und Jungen ab sieben Jahren in die Blasen- schule. Auf dem Stundenplan stehen: Körper- wahrnehmung, Trinkverhalten und Ernährung, Blasenentleerung, Hygiene und Emotionsma- nagement innerhalb der Familie. „Wenn die Blase immer voller wird, nimmt sie irgendwann das Telefon und ruft den Hirni an“, erklärt Sonja Rotter die Verbindung zwischen Harnblase und Gehirn. „Hirni gibt euch dann das Signal: ‚Du musst jetzt aufs Klo!‘ Aber vielleicht kann die Blase damit auch noch etwas warten – was denkt ihr?“ L
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