Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.
U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 5 H E L F E N H E I L E N 4 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 H E L F E N H E I L E N E Der Informationsbe- darf angesichts einer schweren Diagnose ist riesig. Ausführliche Aufklärungsgespräche – hier mit der Familie des epilepsiekranken Dominik – sind Prof. Trollmann deshalb wichtig. Oft zieht die Sprecherin des SPZ auch Psychologen, Sozialpädagogen oder Ergotherapeuten mit hinzu. Ein Ergotherapeut des SPZ testet spielerisch die feinmotorischen, mentalen und sprachlichen Fähigkeiten von Dominik: Wie hat sich der Zweijährige angesichts seiner Epilepsie entwickelt? Im Sozialpädiatrischen Zentrum des Uni-Klinikums Erlangen helfen Ärzte und ein psychosoziales Team Kindern und Jugend- lichen mit schweren neurologischen Erkrankungen und Be- hinderungen. In der seit 20 Jahren bestehenden Einrichtung werden seit Mitte 2017 auch alle Formen von kindlichen Epilepsien und Multipler Sklerose interdisziplinär behandelt. BEGLEITER VON ANFANG AN ine normale Kindheit – die wollen Dominiks Eltern ihrem Sohn er- möglichen, so gut es eben geht. Der Junge kam gesund zur Welt. Als er vier Monate alt ist und ge- rade seine zweite Impfung hinter sich hat, zucken die Muskeln seiner Arme und Beine zum ersten Mal unkontrolliert zusammen. Dann versteift sich der kleine Körper zu einem 15-minütigen Krampf. Der Junge wird bewusst- los, hat Atemaussetzer. Dominiks Mutter ruft sofort den Notarzt, der das Kind ins Uni-Klini- kum Erlangen bringt. Wieder zu Hause geht sechs Wochen lang alles gut – dann der nächste Anfall. In den folgenden Monaten be- obachtet Katrin H. an ihrem Sohn immer wie- der leichte Zuckungen. „Als würde er erschre- cken“, sagt sie. Anfangs fallen die Symptome nur der Mutter auf. Doch sie werden stärker, bis Dominik irgendwann minutenlang halb- seitig gelähmt ist. Die Diagnose lautet Epi- lepsie. Doch die genaue Form der Krankheit liegt zu diesem Zeitpunkt noch im Dunkeln. SPEZIALISTEN FÜR DAS SELTENE Im Januar 2016 dann stellen die Neuropä- diater des Uni-Klinikums fest: Der Junge hat das Dravet-Syndrom – eine schwere, sehr sel- tene Form von Epilepsie. Nur etwa eines von 40.000 Kindern erkrankt daran. „Das Dravet- Syndrom ist ein Gendefekt. Wir können die Diagnose heute relativ rasch mit einer mole- kulargenetischen Untersuchung sichern“, erklärt Prof. Dr. Regina Trollmann, Leiterin der Abteilung Neuropädiatrie und Sprecherin des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) in der Kinder- und Jugendklinik des Uni-Klinikums. Im Erlanger SPZ werden Kinder mit Entwick- lungsstörungen, chronischen Erkrankungen und Behinderungen von Geburt an und manchmal bis ins Erwachsenenalter ambulant begleitet – auch Epilepsiepatienten wie Domi- nik. „Beim Dravet-Syndrom ist das SCN1A-Gen mutiert“, erklärt Regina Trollmann. „Deswegen funktioniert ein bestimmter Ionenkanal, der den Informationsfluss zwischen den Nervenzel- len des Gehirns reguliert, nicht oder nur unzu- reichend. Die gestörte Informationsübermitt- lung trägt zu den epileptischen Anfällen bei.“ Bestimmte Antiepileptika können die Dravet- Epilepsie verschlimmern. Deshalb ist es wich- tig, die Ursachen der Krampfanfälle – näm- lich die Genmutation – so früh wie möglich differenzialdiagnostisch zu ermitteln. Bei Dominik ist das gelungen. „Im SPZ klären wir alle Familien sehr ausführlich über die jeweils verfügbaren Medikamente auf – über den Nut- zen ebenso wie über die Nebenwirkungen“, sagt Prof. Trollmann. Für die medikamentöse Behandlung junger Epilepsiepatienten werden heute Antiepileptika der „neueren Generation“ eingesetzt. Diese Mittel sind häufig besser ver- träglich, erlauben Kombinationstherapien und können die Prognose bei bestimmten Epilepsiesyndromen verbessern.
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