Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.
U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 40 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 41 H E L F E N H E I L E N H E L F E N H E I L E N FM NEUE BLASE, NEUE NIERE Nun sind die meisten Erkrankungen des Uro- genitaltrakts nicht allein durch Übung, nicht ohne Medikamente oder ohne eine Operation kurierbar, etwa wenn die Harnblase eines Kindes außen am Körper offenliegt. Oder: wenn die Nieren oder die ableitenden Harn- wege fehlgebildet sind, sich bei Jungen die Hoden im Bauchraum befinden und nicht im Hodensack, oder wenn sich Tumoren in den Nieren oder der Blase gebildet haben. Dann müssen Oberärztin Dr. Hirsch-Koch und ihr Team operieren. „In der Erwachsenenuro- logie geht es häufig um Tumorchirurgie“, sagt die Expertin. „Kinderurologen arbeiten im Gegensatz dazu überwiegend plastisch-re- konstruktiv.“ Karin Hirsch-Koch baut ganze Ersatzblasen aus dem Dick- oder Dünndarm- gewebe des Patienten auf. Aus Blind- oder Dünndarm formt die Ärztin einen Tunnel, über den sie die Blase mit dem Bauchnabel ver- bindet. Darüber kann der Patient dann mit- hilfe eines Katheters selbst Urin ablassen. Auch die sechsjährige Antonella und die zehn- jährige Ilayda nehmen Uro-Unterricht. An einem Tisch voller bunter Plastikbecher und Getränke übt Sonja Rotter heute mit den Mädchen, wie man richtig und ausreichend trinkt. „Wie viele solcher Becher solltet ihr denn an einem Tag trinken?“, fragt die Uro- therapeutin und gibt einen Tipp: „Es sind genauso viele, wie ihr auf dem Tisch seht.“ „Sieben!“, ruft Ilayda. „Und wann trinkt ihr am besten den ersten?“, fragt Sonja Rotter weiter. „Gleich morgens zum Frühstück“, sind sich die Mädchen einig. Diszipliniert weitere sechs Gläser zu leeren, kann für Kinder schwierig sein. „Wie wär’s, wenn du immer bei den Hausaufgaben einen Becher trinkst?“, schlägt Sonja Rotter Ilayda vor. Die Zehnjäh- rige ist einverstanden. „Ich muss mal“, hakt die kleine Antonella ein, bevor sie überhaupt den ersten Schluck genommen hat. Die The- rapeutin begleitet sie aufs „Zauberklo“: Ein spezielles Messgerät namens Uroflowmeter misst hier, wieviel Harn in welcher Zeit abge- geben wird. „Jetzt schauen wir uns mal deine Kurve an und gucken, ob etwas in deiner Blase geblieben ist“, sagt Sonja Rotter und fährt mit dem Ultraschallkopf über Antonellas Bauch. „Nur noch 15 Milliliter sind drin – das hast du wirklich gut gemacht!“ Trinken will gelernt sein: In der Blasenschule bringt Urotherapeutin Sonja Rotter Ilayda (l.) und Antonella bei, wie es richtig geht. Die beiden Mädchen versu- chen von nun an, jeden Tag sieben Becher zu trinken. 7 Nieren wurden 2016 in der Erlanger Kinderuro- logie erfolgreich transplantiert. Die Empfänger waren fünf Kinder im Alter von 7 bis 13 Jahren und zwei Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren. „ Eine große Niere an die winzigen Be- cken- oder Bauchgefäße eines Kindes anzuschließen und die Bauchdecke nach der OP wieder zu verschließen, ist herausfordernd.“ Dr. Karin Hirsch-Koch, Leiterin der Kinderurologie Zur OP-Bandbreite gehören auch Nierentrans- plantationen bei Kindern und Jugendlichen: Zurzeit warten in Deutschland 92 Kinder bis 16 Jahre auf eine Spenderniere – 9 davon allein in Erlangen. „Meistens verpflanzen wir die Nieren Erwachsener, weil natürlich – Gott sei Dank – gar nicht so viele Nieren von ver- storbenen Kindern verfügbar sind“, erklärt Dr. Hirsch-Koch. Die Herausforderung: große Niere, kleiner Empfänger. Das neue Organ wird in das Kleine Becken eingepflanzt und bei größeren Kindern etwa dort, wo sich die eigenen Nieren befinden. In einem Kinderkörper nimmt die Erwachse- nenniere viel Platz ein. „Eine große Niere an die winzigen Becken- oder Bauchgefäße eines Kindes anzuschließen und die Bauchdecke nach der OP wieder zu verschließen, ist he- rausfordernd“, erklärt Dr. Hirsch-Koch. „Außer- dem kann ein zu großes Spenderorgan Ge- fäße oder andere Organe komprimieren. Das führt möglicherweise zu Durchblutungsstö- rungen oder zum Funktionsverlust der ande- ren Organe.“ Deshalb nutzen die Erlanger Kinderuro- logen einen speziellen Messwert: Mit einer Röntgenaufnahme ermitteln sie beim Emp- fängerkind den Abstand zwischen dem zwei- ten Lendenwirbel und dem Unterrand der Iliosakralfuge: Länger darf die Spenderniere nicht sein. „Wir haben immer einen Mangel an größenkompatiblen Organen“, beklagt Dr. Hirsch-Koch. Zwei Jahre wartet ein Kind im Schnitt auf eine Niere. Unter-16-Jährige bekommen einen Wartelisten-Bonus. „So junge Patienten brauchen die Nierentrans- plantation besonders dringend, weil die Dialysepflicht ihre körperliche und seelische Entwicklung immens beeinträchtigen wür- de.“ Auch die Eltern oder nahe volljährige Verwandte dürfen eine Niere spenden. „Das hat den Vorteil, dass die Transplantation planbar ist“, verdeutlicht Karin Hirsch-Koch. Spender und Empfänger werden zeitgleich operiert. Wenn es die Gesundheit des Kindes zulässt, plädieren die Erlanger Kinderuro- logen aber trotzdem erst für die Verstorbe- nenspende. Dr. Hirsch-Koch begründet das so: „Kinder müssen nicht so lange auf eine Verstorbenenniere warten wie Erwachsene. Sollte das erkrankte Kind im Lauf seines Lebens eine zweite Transplantation be- nötigen, können wir ihm dann immer noch die Niere eines Verwandten einpflanzen.“ Oberärztin Dr. Karin Hirsch-Koch leitet die Kinderurologie. Sie operiert Kinder jeden Alters. Die Diagnosen reichen von der häufigen Reflux- krankheit bis hin zu seltenen Nieren- tumoren. Die Ultraschalldiagnostik ist das wichtigste bildgebende Verfahren, um Nieren, Harnwege und Blase zu untersuchen. Der Vorteil, gerade für kleine Patienten: Die Sonografie tut nicht weh, und sie können sogar zuschauen.
RkJQdWJsaXNoZXIy ODIyMTAw