Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.

SINNVOLLE AKADEMISIERUNG Derzeit unterliegen einige Gesundheits- und Pflegeberufe einem Veränderungsprozess. Der demografische Wandel hin zu einer immer äl- ter werdenden Gesellschaft und auch epide- miologische Verschiebungen erfordern ande- re Maßstäbe in der Gesundheitsversorgung. „Der Wissenschaftsrat geht davon aus, dass Logopäden, Pflegefachkräfte, Hebammen und Ergotherapeuten zunehmend komplexere Aufgaben erfüllen müssen und sich in multi- professionellen Teams organisieren werden. Eine Weiterentwicklung der klassischen Ausbildung reicht da bei Weitem nicht aus“, betont Prof. Dr. Christopher Bohr, Studien- gangsleiter und Oberarzt der Erlanger HNO- Klinik. „Wir brauchen eine nachhaltige Aka- demisierung in Form eines grundständigen Studiengangs, um auch künftig eine profes- sionelle Patientenversorgung sicherzustellen.“ THEORIE UND PRAXIS ENG VERKNÜPFT Grundständig bedeutet, dass für das Studium keine Ausbildung vorausgesetzt wird. Deshalb beinhaltet der Logopädie- studiengang sowohl theoretische als auch praktische Elemente, die über sieben Se- mester wie folgt verteilt sind: In einer zwei Lea Strehler und Kilian Landsberger bei einer Therapieübung: Myo- funktionelle Störungen (Ungleichgewicht der Muskulatur im Mund- Gesichtsbereich) las- sen sich verbessern, indem man die Zunge durch einen Ring schiebt, um sie schmal- zustellen. Dadurch fällt das Schlucken leichter. 16 Studenten nehmen jedes Wintersemester ihr Logopädiestudium in Erlangen auf. und der Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. Hein- rich Iro) des Uni-Klinikums Erlangen neue Wege hin zur Akademisierung gegangen. „Nach dem Abi war für mich klar, dass ich auf jeden Fall studieren will“, erklärt Kilian Landsberger. „Zur Logopädie kam ich durch einen familiären Schicksalsschlag: Mein Opa hatte einen Schlaganfall. Die Probleme, die er danach mit dem Sprechen hatte, bekam er mithilfe einer Therapie beim Logopäden gut in den Griff“, so der 23-Jährige weiter. Kilian Landsberger und Lea Strehler sind Studenten und Berufsfachschüler gleichermaßen. Grund dafür ist, dass sich der Studiengang in einer Modellphase befindet. „Der praktische Teil der Ausbildung zum Logopäden ist gleich ge- blieben, geändert hat sich aber die Theorie“, erklärt Sabine Degenkolb-Weyers, Leiterin der Erlanger Logopädieschule. „Die Studie- renden erhalten einen tief greifenden Zugang zur Forschung. Die Patientenversorgung wird dadurch deutlich evidenzbasierter.“ LL Semester umfassenden Grundlagen- und Orientierungsphase erwerben die Studenten relevante Theoriekenntnisse sowie Metho- denkompetenzen im Bereich Diagnostik und Therapie. In der Gruppe üben sie das Er- lernte und erlangen Sicherheit, bevor sie ab dem zweiten Semester selbst mit Patienten zusammenarbeiten. Regelmäßige Hospita- tionen bei Kommilitonen höherer Semester gehören ebenso dazu. Ab dem dritten Se- mester schließt sich die Bachelorphase an, in der die Studenten zunehmend eigenständig unter Ausbildungssupervision therapieren und auf ihren Abschluss vorbereitet werden. UND WAS KOMMT DANN? Lea Strehler legte bereits die staatliche Ab- schlussprüfung, die am Ende des sechs- ten Semesters erfolgt, ab und verfasste im Anschluss daran ihre Bachelorarbeit. Im März 2017 hat sie sie erfolgreich verteidigt und damit den akademischen Grad Bachelor of Science (B. Sc.) erlangt. Der 24-Jährigen ist es nun wichtig, Berufserfahrung zu sam- meln: „Wer in einer Logopädiepraxis arbeitet, darf trotz akademischem Abschluss aber nicht auf mehr Gehalt hoffen – leider. Alle verdienen hier ähnlich.“ Die Vorteile eines Studiums überwiegen in ihren Augen den- noch deutlich. „Für uns sind Therapien ganz anders möglich, weil wir Studien differenzier- ter lesen und sie stärker in die Behandlung unserer Patienten einbeziehen. Es geht auch um die Evaluation und die Entwicklung von Diagnoseverfahren und Therapiekonzepten“, erklärt Lea Strehler. „Ein Studium bietet einfach mehr Futter als eine Ausbildung.“ Kilian Landsberger, der im fünften Semester studiert, ist gerade in einer Findungsphase: Er will sich auf ein bis zwei Störungsbilder spezialisieren und wägt ab, ob er nach dem Studium ebenfalls in einer Praxis arbeiten möchte oder ob es ihn eher in die Wissenschaft zieht: „Forschung, Lehre, Praxis – die Möglichkeiten sind sehr viel- fältig“, so der 23-Jährige aus Neumarkt. Das Logopädiestudium in Erlangen ist sehr begehrt: Auf 16 Plätze, die jedes Winterse- mester zur Verfügung stehen, kommen circa 280 Bewerbungen. Aus der überschau- baren Kursgröße ergibt sich ein aus- gezeichnetes Be- treuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Studenten. „Man kennt sich. Die Atmosphäre ist sehr familiär“, sagen Lea Strehler und Kilian Landsberger. Das spürt auch Susanne Abu-Zalam. Auf Empfehlung eines Bekannten hatte sie sich nach ihrem Schlaganfall an die Logo- pädieschule gewandt, um ihre Aphasie dort von Studenten therapieren zu lassen. Ihre Sprachstörung hat sich seitdem erheblich verbessert. Gespannt lauschen die Studenten des Unter- kurses ihrer Dozentin Antje Krüger, die ver- schiedene Sprechstö- rungen erläutert. Weitere Informationen zum Studiengang Logopädie: www.bfs-logopaedie.fau.de „Wir brauchen eine nachhaltige Akademisierung in Form eines grundständigen Studiengangs, um auch künftig eine profes- sionelle Patientenversorgung sicherzustellen.“ Prof. Dr. Christopher Bohr, Leiter des Logopädiestudiengangs und des Bereichs Phoniatrie und Pädaudiologie F O R S C H E N L E H R E N F O R S C H E N L E H R E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 50 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 51

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