Jahresbericht 2016 | 2017: Medizin. Menschen. Momente.

U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 6 U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 6 | 2 0 17 7 H E L F E N H E I L E N H E L F E N H E I L E N FM psychosozial – von der Diagnose über die Therapie und die Verlaufskontrolle bis hin zu der Frage, wie wir die Entwicklung des Kindes unterstützen können, und wie wir seine Inte- gration in den Kindergarten, die Schule und später in die Ausbildung und den Beruf am besten fördern und erleichtern.“ Neben allen Formen von Epilepsie behandeln die Experten des SPZ unter anderem auch Patienten mit Spina bifida, einer angeborenen Fehlbildung der Wirbelsäule, sowie Kinder und Jugend- liche mit neuromuskulären Erkrankungen und zerebralen Bewegungsstörungen, mit Multipler Sklerose (MS) und Mukoviszidose. Darüber hinaus ist das SPZ Anlaufstelle in allen Fäl- len, in denen das Kindeswohl gefährdet ist. Oft ist es eine Herausforderung für Ärzte und Eltern, die Nebenwirkungen der Medikamente von den Begleiterkrankungen einer kindlichen Epilepsie abzugrenzen – etwa von Verhaltens- und Entwicklungsstörungen oder Einschrän- kungen der Aufmerksamkeit und der Sprach- entwicklung. „Ich bin überzeugt, hier hilft nur ein informatives und verständnisvolles Gespräch“, betont Prof. Trollmann. „So nehmen wir den Betroffenen auch ein Stück weit die Angst.“ Als Alternative zu Medikamenten kommen für einige Patienten auch epilepsiechirurgische Eingriffe infrage – nämlich dann, wenn durch EEG-Monitoring und MRT-Diagnostik der An- fallsursprung exakt lokalisiert werden kann. Im SPZ des Uni-Klinikums Erlangen werden Patienten wie Dominik von Kinderneurologen und -psychiatern, Gesundheits- und Kinder- krankenpflegern, Psychologen, Ergothera- peuten, Sozialpädagogen, Logopäden und Physiotherapeuten betreut. „Wir unterstützen Familien von Anfang an interdisziplinär“, sagt Prof. Trollmann. „Ärztlich, psychologisch und Das Elektroenzephalo- gramm (EEG) gehört zu den wichtigsten Dia- gnostikverfahren in der Kinderneurologie. Die Technik erlaubt die Ab- leitung sogenannter Potenzialschwankungen, die durch die Aktivität der darunterliegenden Gehirnstrukturen her- vorgerufen werden. Die Ableitungen erfolgen im Wachzustand, während des Schlafens oder als Video-EEG-Langzeitauf- zeichnung über 24 Stunden hinweg. 3.900 Patienten werden pro Jahr im Erlanger SPZ behandelt. „ Wir unterstützen Familien von Anfang an interdisziplinär – ärztlich, psychologisch und psychosozial.“ Prof. Dr. Regina Trollmann, Sprecherin des Sozialpädiatrischen Zentrums DIE KRANKHEIT IM RUCKSACK Schon in den ersten Diagnosegesprächen können sich Eltern auch psychologisch be- gleiten lassen. „Eine schwere Diagnose ver- setzt eine Familie in Unruhe und schürt Zu- kunftsängste“, sagt Andreas Frenzel, Di- plom-Psychologe im SPZ. „Wir verharmlosen nichts, sondern wir sagen: Ja, diese Krankheit ist gravierend. Aber der Alltag ist trotzdem lebbar. Schauen wir, wie.“ Und so ergründen die Psychologen das soziale Netzwerk der Betroffenen, fragen nach Geschwistern, Groß- eltern oder Paten und suchen gemeinsam mit den Familien nach Ressourcen, die sie ausschöpfen können. „Gerade bei schweren Erkrankungen wie Epilepsie oder MS, die eine regelmäßige Medikamenteneinnahme und eine medizinische Überwachung im Alltag er- fordern, betonen wir immer wieder: Die Be- handlung lässt sich nur umsetzen, wenn wir trotz allem die Wünsche, Sehnsüchte und Fähigkeiten der Kinder berücksichtigen. Oft müssen wir Kompromisse finden und dem Heranwachsenden erlauben, so selbstbe- stimmt wie möglich zu bleiben“, erklärt Andreas Frenzel. Auch der 15-jährige Tobias sieht nicht immer ein, dass er sich sein MS-Medikament jeden Abend aufs Neue spritzen muss. „Die Krank- heit, die Ärzte und alles, was damit zu tun hat, sind für ihn ein rotes Tuch“, berichtet seine Mutter. Festgestellt wurde die chronisch- entzündliche Erkrankung des zentralen Ner- vensystems, als Tobias gerade zwölf war. Mit Doppeltsehen fing es an. Irgendwann sank die Sehkraft des Jungen auf unter 20 Prozent pro Auge. Ein MRT brachte Gewissheit: Multiple Sklerose. „MS stellen wir sehr häufig in der Pubertät fest. Das kann für einen Jugendlichen in dieser Phase natürlich traumatisch sein“, erklärt Regina Trollmann, die auch Tobias min- destens alle sechs Monate im SPZ untersucht. Bei jungen Patienten verläuft die MS akuter als bei Erwachsenen. Die Schübe kommen häufiger, Störungen des Sehens, der Koordina- tion und der Motorik treten oft gleichzeitig auf. Um bei Tobias spätere kognitive Beeinträchti- gungen zu vermeiden und den Sehnerv nicht weiter in Mitleidenschaft zu ziehen, war es entscheidend, dass der Junge frühzeitig eine immunmodulierende Dauertherapie bekam. Aber, so erläutert Andreas Frenzel: „In der Pubertät geht es um Unabhängigkeit. Da ist eigentlich kein Platz für Medikamente, Klinik- aufenthalte und besorgte Eltern.“ Doch eine Krankheit wie Multiple Sklerose lässt sich die Frage nicht gefallen, ob ohne sie alles besser wäre. Sie ist gekommen, um zu bleiben. An- dreas Frenzel vergleicht die Diagnose deshalb gern mit einem Rucksack, den der Jugend- liche schultern muss. „Jemand, der durch den Himalaja wandert, tut das ja auch nicht ohne Ausrüstung“, verdeutlicht der Psycho- loge und fragt Patienten wie Tobias: „Was ist dir wichtig? Wie willst und wie kannst du jetzt leben – mit der Krankheit im Rucksack?“ Prof. Trollmann sieht sich eine MRT-Aufnahme am Bildschirm an. Gerade bei Kindern mit MS sind Entzündungsherde oft ausgeprägter als bei Erwachsenen. Die Magnetresonanztomo- grafie dient hier als sensitive Methode zur Früherkennung von Läsionen.

RkJQdWJsaXNoZXIy ODIyMTAw