Jahresbericht 2017 | 2018: Medizin. Menschen. Momente.
A lles beginnt mit einem gemüt- lichen Beisammensitzen. Man tauscht sich aus und plaudert bei einer Tasse Kaffee oder Tee. Dann wird es still. Nur die ruhige Stimme von Therapieleiter Stefan Fuchs ist zu hören: „Wer möchte, kann jetzt seine Augen schließen. Richtet eure Aufmerksamkeit nun auf eure Atmung. Nehmt einfach wahr, wie die Luft in euren Körper strömt und wie- der heraus. Kommt an in diesem Moment.“ Für einige Minuten führt er die Gruppe durch eine Achtsamkeitsmeditation, die fester Be- standteil der Therapie ist. Das Gedanken- karussell, das sich bei vielen oft endlos dreht, wird langsamer und stoppt im besten Fall. Damit sind gute Voraussetzungen für das anschließende Bouldern geschaffen. Nach einer kurzen Aufwärmrunde geht es an die Wand. KEIN PLATZ FÜR GRÜBELSCHLEIFEN Die Nachsorgegruppe der Boulder-Therapeu- ten Stefan Fuchs und Stefan Först trifft sich einmal wöchentlich in einer Erlanger Boul- der-Halle. So unterschiedlich die Teilnehmer auch sind, eines haben sie alle gemeinsam: Sie leiden an Depressionen und sind deshalb zur Behandlung in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Johannes Kornhuber) des Uni-Klinikums Erlangen. In Deutschland leiden etwa zehn Prozent der Menschen unter depressiven Symptomen. Bei circa 15 Prozent aller Frauen und bei acht Prozent aller Männer wird im Laufe ihres Lebens eine Depression diagnos- tiziert. Aus der Abwärtsspirale, die typisch für eine Depression ist, kommen die Betroffenen ohne therapeutische Begleitung nicht heraus. In der Psychiatrie des Uni-Klinikums Erlangen können Patienten nicht nur bewährte Metho- den wie Gesprächs- und Verhaltenstherapien wahrnehmen, sondern auch durch Bouldern einen Weg aus ihrer Depression finden. „Es ist bekannt, dass Sport sehr gut gegen De- pressionen hilft. Speziell beim Bouldern kom- men viele verschiedene Faktoren zusammen, die sich positiv auswirken“, erklärt Stefan Först. „An der Wand muss man sich konzen- trieren, die Außenwelt vergessen und im Hier und Jetzt ankommen, man muss bewusst handeln – sonst fällt man runter. Für Grübel- schleifen ist da kein Platz.“ Bouldern ist für Menschen mit Depressionen deshalb oft besser geeignet als beispielsweise Ausdauer- sportarten wie Joggen oder Schwimmen, bei denen das Nachdenken über Vergangenes und die Zukunft häufig weitergeht. Zudem ruft das Bouldern unweigerlich Gefühle her- vor: etwa Angst vor der Höhe und vor dem Fallen oder Stolz und Freude beim Abschluss einer Route. Für Menschen mit Depressio- nen, die ihre Innen- und Gefühlswelt oft als leer wahrnehmen, sind diese emotionalen Erfahrungen enorm wichtig. U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 17 | 2 0 1 8 17 L E B E N B E W E G E N 10 % In Deutschland leiden etwa zehn Prozent der Menschen unter depressiven Symp- tomen. „An der Wand muss man sich konzen- trieren, die Außenwelt vergessen und im Hier und Jetzt ankommen, man muss bewusst handeln – sonst fällt man runter. Für Grübelschleifen ist da kein Platz.“ Stefan Först, Boulder-Therapeut
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