Jahresbericht 2017 | 2018: Medizin. Menschen. Momente.
on Zytomegalie hören die meisten Frauen zum ersten Mal, wenn sie schwanger sind. Aus gutem Grund: Während die Infektion bei gesunden Menschen nur relativ geringe Beschwerden verursacht und oft sogar unbemerkt verläuft, kann sie für das ungeborene Leben gefährlich werden. Die werdende Mutter kann sich mit Zytomegalie anstecken und das Virus auf den Fötus übertragen: 0,3 bis 1,2 Prozent der Neuge- borenen sind infiziert – so viele wie bei keiner anderen Virusinfektion. In etwa 15 Prozent der Fälle zeigen die infizierten Säuglinge tat- sächlich Krankheitssymptome; 10 bis 20 Prozent der betroffenen Kinder versterben und ein hoher Anteil leidet an Folgeschäden, sehr häufig an Taubheit. Auch für Menschen mit einem schwachen Immunsystem, etwa Krebspatienten, ist das Cytomegalovirus lebensbedrohlich. Bislang gibt es keine Impfung gegen das Virus, aller- dings antivirale Medikamente, die jedoch in vielen Fällen starke Nebenwirkungen hervor- rufen oder die Gefahr mit sich bringen, resis- tente Viren zu erzeugen. Das will Prof. Dr. Manfred Marschall, Forschungsgruppenleiter im Virologischen Institut – Klinische und Molekulare Virologie des Uni-Klinikums Erlangen, ändern. Mit dem Ziel, ein neues antivirales Medikament zu entwickeln, beziehungsweise ein Mittel mit bisher ungenutzten Wirkmechanismen, erprobt er mit seinem Team ganz spezielle Angriffspunkte im Vermehrungszyklus des Cytomegalovirus. „Infektionen mit humanen Herpesviren, wie dem Cytomegalovirus, äh- neln in mehrfacher Hinsicht den molekularen Vorgängen bei Krebserkrankungen: In beiden Fällen werden Gewebezellen zum Eintritt in die Zellteilungsphasen angeregt, Signalab- läufe in den Zellen überreguliert und Proteine in ihrer Funktion fehlgeleitet“, sagt Manfred Marschall. NEUER, VIELVERSPRECHENDER ANSATZ Um die Cytomegalovirus-Infektion besser therapieren zu können, setzt der Forscher deshalb auf die Funktionsweise bestimmter Krebsmedikamente: Viele Arzneimittel, die Ärzte gegen Tumoren einsetzen, wirken auf Basis sogenannter Kinase-Inhibitoren und blockieren überregulierte Signalabläufe in den Tumorzellen. In bestimmten Fällen hemmt die Therapie zelluläre Proteinkinasen, die für das Wachstum der Krebszellen verantwort- lich sind. In Bezug auf das Cytomegalovirus konnte Manfred Marschall zeigen, dass die viruseigene Proteinkinase pUL97 den zellulä- ren Kinasen bei Krebserkrankungen ähnelt. Im Rahmen der von der Wilhelm-Sander- Stiftung, der Bayerischen Forschungsstiftung und der Deutschen Forschungsgemein- schaft unterstützten Forschungsarbeit ana- lysierte das Erlanger Wissenschaftsteam die Cytomegalovirus-Proteinkinase pUL97 grundlegend: funktionell, strukturell und in ihrer Wechselwirkung mit der Zielzelle. „Um mögliche Inhibitoren zu finden, haben wir zunächst den Aufbau der viralen Protein- kinase und ihr Zusammenwirken mit der Wirts- zelle im Detail bestimmt“, sagt Prof. Marschall. Eine Gruppe von Wirkstoffen – sogenannte Quinazolin-Moleküle –, die das Team bereits genau untersucht hat, ist so gut geeignet, dass sich daraus ein antivirales Medikament entwickeln ließe. „Wir haben gezeigt, dass die Methode funk- tioniert, und mehrere Prototypen entwickelt. Nun ist weitere Unterstützung durch Indus- triepartner und akademische Kooperationen gefragt, um ein marktreifes Medikament zu realisieren“, hebt Manfred Marschall hervor. Eine wichtige Mission, denn auch gegen an- dere herpesvirale Infektionen wie das Epstein- Barr- oder das Varizella-Zoster-Virus haben Mediziner bei der antiviralen Therapie bislang noch keine ausreichend wirksamen Medika- mente zur Hand. V MK 1,2 % Zytomegalie betrifft 0,3 bis 1,2 Prozent aller Neugeborenen. Damit ist sie die häufigste Virusinfektion während der Schwangerschaft. „Wir haben gezeigt, dass die Methode funktioniert, und mehrere Prototypen entwickelt. Nun ist weitere Unterstützung durch Industriepartner gefragt, um ein marktreifes Medikament zu realisieren“, sagt Prof. Marschall. F O R S C H E N L E H R E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 17 | 2 0 1 8 49
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