Jahresbericht 2018 | 2019: Medizin. Menschen. Momente.
it rotem Kopf schiebt sich Sonja Bauer keuchend auf einem Spe- zialrollator durch ihre Wohnung. Der Griff zur Kaffeetasse – für sie so anstrengend wie für andere zehn Liegestütze. Jeder Atemzug – für Sonja Bauer wie Luftholen auf dem Mount Everest, ohne Sauerstoffflasche. Die meiste Zeit ver - bringt sie in ihrem Bett. Aber selbst das Hin- legen schafft sie nicht mehr allein. Ohne Pfle - gedienst und die Hilfe einer Nachbarin kommt die Haßfurterin nicht mehr zurecht. „Dieses Gewicht ist über kurz oder lang mein sicherer Tod“, erkennt Sonja Bauer im Herbst 2017. Schon ihre Eltern waren dick, genau wie ihre Großeltern. „Meine Oma hat zwei Kriege er- lebt und immer gesagt: Kinder müssen dick sein. Dicke Kinder stehen für Gesundheit und Wohlstand“, erinnert sich Sonja Bauer. Ver- anlagung, Erziehung und das Anessen gegen negative Gefühle ließen sie so extrem zu- nehmen, dass sie buchstäblich bewegungs- unfähig wurde. DIE BISLANG SCHWERSTE PATIENTIN Mit der Adipositas kamen eine Herzinsuffi - zienz und Diabetes, eine Fettleber, Unterleibs- krebs, eine Lungenentzündung, eine Influenza und extremer Lymphstau in den Ober- und Unterschenkeln. Ende 2017 war Sonja Bauers Gewicht auf dem Höchststand, ihre Psyche ganz unten. Die ehemalige Altenpflegerin wünschte sich, wieder laufen zu können, Fahr- rad zu fahren oder schwimmen zu gehen, ge- sund zu werden. Mit diesen Zielen vor Augen entschied sie, sich im Adipositaszentrum des Uni-Klinikums Erlangen behandeln zu lassen. 224 Kilo – die heute 48-Jährige war die bis dato schwerste Patientin auf der Spezialwaage des Erlanger Adipositaszentrums. Allein ihre Beine wogen etwa 80 Kilo. Für Sonja Bauer und zukünftige Patienten mit Extremgewicht wurden Spezialbetten angeschafft, die meh- reren Hundert Kilo standhalten. „Wir haben für Frau Bauer eine stufenweise Therapie entworfen – mit konservativen und chirurgi- schen Bausteinen“, erklärt Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Ernährungsmedizinerin und Leiterin des Hector-Centers für Ernährung, Bewegung und Sport an der Medizinischen Klinik 1 – Gastro- enterologie, Pneumologie und Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr. Markus F. Neurath). Im Team mit den Kollegen der Psychosomati- schen und Psychotherapeutischen Abteilung (Leiterin: Prof. Dr. [TR] Yesim Erim), Adipositas- chirurgen der Chirurgischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Robert Grützmann), mit Internisten, Endokrinologen, Dermatologen, Gynäkologen und Plastischen Chirurgen möchte Prof. Zopf das Leben von schwer Übergewichtigen wieder leichter machen: „Bis zur geplanten OP sollte Frau Bauer deutlich abnehmen – mit eiweiß- reicher Ernährung, 800 Kalorien pro Tag und appetitzügelnden Hormonen. Dazu kam ein leichtes körperliches Training. Am Ende verlor sie so über 40 Kilo“, sagt Yurdagül Zopf. Sonja Bauers erste Erfolge wurden auch verhaltens- therapeutisch begleitet. „Ein Psychologe hat lange mit mir geredet“, erinnert sich die Haß- furterin an die ersten Wochen in Erlangen. „Ihn hat es nicht interessiert, dass ich dick bin. Er hat nicht mal wissen wollen, warum – das war schön.“ Ihr Leben lang hat Sonja Bauer meist nur Spott und Ablehnung er- fahren. Ihren Kummer schluckte sie hinunter – zusammen mit viel zu großen Mahlzeiten. Die Elephantiasis war schmerzhaft und forderte Sonja Bauers Herz- Kreislauf-System, denn die entstauenden Kompressionsverbände drückten große Mengen Lymphflüssigkeit zurück in den Blutkreislauf. M 40% Im Januar 2019 hatte Sonja Bauer ihr Ge- wicht schon um 40 Pro- zent von 224 auf 136 Kilogramm reduziert. „Zielgewicht sind unter 100 Kilo“, sagt Adipo- sitaschirurg Moustafa Elshafei. U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 8 | 2 0 1 9 7 H E L F E N H E I L E N
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