Jahresbericht 2018 | 2019: Medizin. Menschen. Momente.
EIN WASSERGLAS VOLL „Alle Patienten, die einen bariatrischen Ein- griff bekommen sollen, also eine Magenope- ration wegen ihres Übergewichts, brauchen vorab eine psychosomatische Evaluation. Denn die Betroffenen essen oft impulsiv, das heißt anfallsartig, als Folge von starken psychischen Belastungen“, erklärt Prof. Erim, Leiterin der Psychosomatik. „Jeder Patient muss deshalb psychotherapeutisch gut auf seine OP vorbereitet werden – ambulant oder sogar stationär. Eine Verhaltenstherapie ist für Frau Bauer und andere Patienten auch deshalb essenziell, weil sie auch nach dem Abnehmen darauf achten müssen, nicht wieder aus Frust zu essen.“ Moustafa Elshafei, Oberarzt der Chirurgie, sagt: „Von zehn Pa- tienten operieren wir am Ende zwei.“ Sonja Bauer war im Februar 2018 körperlich und seelisch bereit für ihre erste Operation: Ihr Magen sollte deutlich kleiner werden. „Durch die konservative, nicht-operative Therapie im Vorfeld haben wir Frau Bauers OP-Risiko gesenkt. Trotzdem: Mit über 180 Kilo war sie immer noch eine Hochrisikopatientin“, er- klärt Moustafa Elshafei. In einem zweistündi- gen Eingriff musste er viel Fett aus der freien Bauchhöhle entfernen, um den Magen frei- zulegen. Über die Jahre war das Verdauungs- organ auf ein Volumen von über zwei Litern angewachsen – normal ist ein Liter. Moustafa Elshafei trennte einen großen Teil des Ma- gens ab und formte einen schlauchförmigen Rest, der nur noch 200 Milliliter fasste – so viel wie ein Wasserglas. Der Effekt: Nach der OP war Sonja Bauer schon nach einer Toastscheibe satt. „Durch Entfernen des Fett- gewebes haben wir den Druck im Bauch re- duziert und erreicht, dass die Lymphe wieder besser in den Bauch zurückfließen kann, wo die Lymphknoten sie filtern“, erläutert Mous - tafa Elshafei. Sonja Bauers Blutzuckerwerte und die starke Elephantiasis an den Beinen besserten sich. Sie konnte die Dosis ihrer Blutdruckmedikamente halbieren, wechsel- te vom Rollatorsitz auf zwei Krücken und machte eine dreiwöchige Reha an der Földi- klinik – einer Fachklinik für Lymphologie im Schwarzwald. Mit ihrem Körper wurde auch das Gemüt der 48-Jährigen wieder leichter. Ende Januar 2019 wog sie noch 136 Kilo. DIE VERDAUUNG UMGEHEN Die Ernährungsmediziner und Sportwissen- schaftler im Hector-Center checkten Sonja Bauer erneut durch, überprüften Blutdruck und Fitness, die Mikronährstoffe und Vita- mine in ihrem Blut und maßen ihre Körper- zusammensetzung. „Anfang 2019 hatte sich das Verhältnis von fettfreier Masse und Körpergröße verbessert. Die Skelettmuskel- masse lag aber weiterhin unter dem Wert, der für Frauen in Sonja Bauers Alter normal ist“, erklärt Sportwissenschaftler Dr. Dejan Reljic. „Unsere Patienten sollen nicht nur abnehmen, sondern gleichzeitig fitter wer - den und Muskeln aufbauen.“ Während sich das Ernährungsteam die „inneren Werte“ ansieht, widmen sich die Ärzte der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik (Direktor: Sonja Bauer war jahrelang nicht mehr körper- lich aktiv, zuletzt konnte sie nicht einmal mehr eine Flasche Wasser aufschrauben. Mit Sportwissenschaftler Dr. Dejan Reljic begann sie mit leichten, anregenden Übungen. „In einer späteren Phase bekommen Patienten bei uns ein Ausdauer- und Krafttraining, das an ihre körperliche Konstitution angepasst ist“, erklärt Dr. Reljic. 80 Vor der Behandlung betrug der Body-Mass- Index von Sonja Bauer 80. Normal ist ein Wert zwischen 19 und 25. U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 8 | 2 0 1 9 8 H E L F E N H E I L E N
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