Jahresbericht 2019 | 2020: Medizin. Menschen. Momente.

lles begann mit einem Fachauf­ satz über Nanopartikel in der Krebsforschung, der Prof. Dr. Christoph Alexiou 1996 in die Hände fiel – mit den winzigen Teilchen beschäftigt er sich noch heute. Seit 2009 ist Prof. Alexiou Leiter der Sektion für Experimentelle Onkologie und Nanome­ dizin der Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie; 2019 feierte die Sektion ihr zehnjähriges Jubiläum. Ein interdiszipli­ näres Team aus Biologen, Nanotechnologen, Chemikern und Pharmazeuten arbeitet hier eng zusammen, um das große gemeinsame Ziel zu erreichen: die Grundlagenforschung ans Patientenbett zu bringen. Anfangs stand vor allem der Bereich Onko­ logie im Mittelpunkt der Forschung. Beim Magnetischen Drug Targeting werden winzige magnetisierbare Eisenoxidteilchen (sog. SPIONs) mit Chemotherapeutika beladen und mithilfe eines Magneten punktgenau im Tumor angesammelt. Die Partikel bringen den Wirkstoff also exakt dorthin, wo er be­ nötigt wird; gleichzeitig verringern sich die Nebenwirkungen für den Patienten. Um die Teilchen besonders präzise positionieren zu können, wurde pünktlich zum Jubiläum ein hochmoderner Magnetroboter angeschafft. Der Magnet im Interventionsraum konnte nur manuell verstellt werden; mit dem Ro­ boter lässt sich das Magnetfeld nun deutlich akkurater steuern, denn er führt seine Bewe- gungen weit feinfühliger aus als die mensch- liche Hand. „Unser Ziel war es, die Körper- region mit dem Magneten exakt, reproduzier- bar und bildgesteuert anzufahren“, erklärt Prof. Alexiou. Künstliche Intelligenz gibt dem Roboter dabei einen Weg vor, der den Ma- gneten punktgenau an sein Ziel führt. VIELFÄLTIGE EINSATZMÖGLICHKEITEN In den vergangenen zehn Jahren kamen zwei Forschungsbereiche besonders nah an die Vision heran, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Patientenversorgung zu übertragen: Eisenoxidnanopartikel zum einen für die Im- muntherapie bei Krebserkrankungen und zum anderen als Kontrastmittel in der Bild­ gebung. „Mit ausreichenden finanziellen Mitteln könnten SPIONs bereits in zwei Jahren bei der Kernspintomografie zur klinischen Anwendung kommen“, versichert Prof. Alexiou. In der Immunonkologie gehen die Wissen­ schaftler z. B. gegen sogenannte kalte Tumo- ren vor: Diese lassen sich aufgrund der ge- ringen Menge bestimmter Immunzellen – der T-Lymphozyten –, die sie in sich tragen, schlechter behandeln als Zellwucherungen, die eine hohe Konzentration dieser Immun­ zellen aufweisen. Also sollen T-Lymphozyten mit Eisenoxidnanopartikeln beladen werden, mittels Magnetkraft in den Tumor wandern und sich dort anreichern. In bereits abgeschlossenen Laborstudien konnten die Forscher zeigen, dass das Kon­ zept funktioniert. „Gern würde ich Patienten, bei denen die Schulmedizin bislang an ihre Grenzen stößt, natürlich sagen: ‚Ja, wir helfen Ihnen!‘, aber wir besitzen leider noch keine Zulassung für den Einsatz unserer Partikel am Menschen“, erklärt Prof. Alexiou. „Eines ist jedoch klar: Wir sind auf dem richtigen Weg, uns fehlt nur noch der letzte Schritt zum Patienten.“ Und welche Vision hat der SEON- Leiter für die nächsten zehn Jahre? „Zum 20-jährigen Jubiläum würde ich gern verkün- den, dass wir Nanopartikel für verschiedene therapeutische und diagnostische Zwecke in der Klinik anwenden. Bis dahin wollen wir ausbauen, was wir schon erreicht haben, und die Übertragung ans Patientenbett weiter vorantreiben.“ Die Eisenoxidnano- partikel, mit denen der SEON-Leiter Prof. Dr. Christoph Alexiou arbei- tet, sind etwa 500-mal kleiner als der Durch- messer eines Haars. Das entspricht etwa der Grö- ße eines Tischtennisballs im Verhältnis zur Erde. A AS 30 nm Ein Nanometer ent- spricht dem Millionstel eines Millimeters. Etwa 30 nm klein ist einer der Eisenoxidpartikel, die mit Wirkstoffen beladen oder als Kon- trastmittel eingesetzt werden. F O R S C H E N L E H R E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 9 | 2 0 2 0 43

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