Spitzenmedizin aus dem Uni-Klinikum Erlangen | Sonderseiten Fränkischer Tag
10 | D ass ihr Sohn mit einer Lippenspalte geboren wird, haben Tim und Anja R. nicht gewusst. Dass ein erhöhtes Risiko dafür besteht, war ihnen jedoch bereits während der Schwan- gerschaft klar – denn auch Tim R. kam mit einer Lippenspalte auf die Welt. „Wenn ein Elternteil Spaltträger ist, liegt eine genetische Veranlagung vor, die bei Kindern eine ähnliche Fehlbildung her- vorrufen kann“, erklärt Prof. Dr. Dr. Marco Kesting. Der Direktor der Mund-, Kiefer- und Gesichtschi- rurgischen Klinik leitet mit Prof. Dr. Lina Gölz, Direktorin der Zahnklinik 3 – Kieferorthopädie, das interdisziplinäre LKG-Zentrum des Universi- tätsklinikums Erlangen. In der hier angebotenen Spezialsprechstunde für Neugeborene und Säug- linge ließ sich das Ehepaar bereits zu Beginn der Schwangerschaft beraten. Umfassende Begleitung von Eltern Etwa eins von 500 Kindern kommt mit einer LKG-Spalte zur Welt. Aktuell behandelt das Erlanger LKG-Zentrum mehr als 180 Patienten mit einem langjährig erprobten Behandlungskon- zept. „Vom Behandlungsbeginn unmittelbar nach der Geburt bis zum Behandlungsende nehmen wir uns viel Zeit. Somit können sich die Eltern in Ruhe mit der überraschenden Situation arran- gieren und ihre Ängste abbauen“, betont Prof. Gölz. „Als LKG-Zentrum für die Region Coburg, Bayreuth und Bamberg informieren uns die dortigen Kliniken umgehend, wenn eine Spalt- geburt auftritt und verweisen die Eltern an uns weiter.“ In den ersten Gesprächen versucht das Team des interdisziplinären Zentrums vor allem, die Verunsicherung zu nehmen und Fehlinforma- tionen aufzuklären. Prof. Kesting: „Die Diagnose ‚LKG-Spalte‘ fasst zahlreiche Formen dieser Fehlbildung zusammen, auch wenn es sich nur um eine isolierte Lippenkerbe oder um eine ein- seitige Gaumenspalte handelt. Die Ausprägung der Spaltbildung ist ebenfalls bedeutsam für den weiteren Behandlungsverlauf.“ Interdisziplinäre Behandlung Mit dem inzwischen vielfach erfolgreich umge- setzten Behandlungskonzept begleiten die Ärzte und die anderen Mitarbeiter des LKG-Zentrums und der beteiligten Kliniken die Patienten und ihre Familien häufig von der Schwangerschaft bis ins junge Erwachsenenalter. „Dennoch betrachten wir jedes Kind anhand seiner individuellen Kriterien“, erläutert Lina Gölz. Dank der interdisziplinären Vernetzung innerhalb des Erlanger Uni-Klinikums profitieren die Patienten vom gesamten Spektrum modernster Diagnostik- und erapiemöglich- keiten. Das LKG-Zentrum beteiligt neben der Kieferorthopädie und der MKG-Chirurgie auch die Logopädie sowie die Phoniatrie und Pädaudiologie der Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschi- rurgie an der Behandlung; außerdem das Univer- sitäts-Perinatalzentrum Franken, die Kinder- und Jugendklinik und das Humangenetische Institut. Gesunde Entwicklung des Babys Ziel ist, dass sich Kinder mit Spaltfehlbildungen von Geburt an möglichst unbeeinträchtigt entwi- ckeln können. Dazu gehört zum Beispiel auch eine Stillberatung, weil sich nicht jede Hebamme im Umgang mit einem Spaltträger-Baby auskennt. Prof. Gölz: „Unser LKG-Zentrum ist sehr gut vernetzt. Wir unterstützen neben den Eltern auch die Pflegekräfte und Hebammen vor Ort.“ Anja und Tim R. werden mit ihrem Sohn in den nächsten Jahren noch einige Male zum Erlanger LKG-Zentrum fahren, um die kieferorthopädische Behandlung erfolgreich abzu- schließen. „Die kleine OP-Narbe an seiner Oberlippe ist zwar noch deutlich zu sehen, wird aber innerhalb weniger Jahre verschwinden“, weiß Prof. Kesting, der gemeinsam mit Prof. Gölz den wichtigsten Grund- satz ihres Behandlungskonzepts wiederholt: „Geduld ist das A und O – erst bei den Eltern und später bei den heranwachsenden Patienten. Wenn wir die nöti- ge Zeit haben, lässt sich jede Form einer LKG-Spalte mit all ihren Konsequenzen wirksam behandeln und so gut wie unsichtbar machen.“ GESUNDHEITSSERIE – UNSER SCHWERPUNKTTHEMA IM JULI: LIPPEN-KIEFER-GAUMENSPALTEN Gebündelte Kompetenz korrigiert Gesichtsfehlbildungen Die Ursachen für das Entstehen von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKG-Spalten) sind bis heute noch nicht vollständig geklärt, trotzdem hat ihre Behandlung im LKG- Zentrum des Uni-Klinikums Erlangen lange Tradition. Die Experten begegnen den vielfältigen Ausprägungen der Fehlbildung erfolgreich mit interdisziplinärer Vernetzung. Fotos: FranziskaMännel undMichael Rabenstein/Uni-KlinikumErlangen Foto: MKG-Chirurgie/Uni-KlinikumErlangen Warum kommen manche Babys mit einer Spal- tenfehlbildung auf die Welt? Die genauen Auslö- ser sind noch äußerst unklar. Bisher konnten nur wenige Gene mit der Spaltentstehung in Verbindung gebracht werden. Die meisten Fälle sind jedoch multigenetisch komplex und folgen daher nicht den Mendelschen Vererbungs- regeln. Das bedeutet: Auch mit einem Elternteil als Spaltträger ist nicht vorhersagbar, ob die Kinder ebenfalls betro en sind. Zudem stehen Umweltfaktoren, wie das Rauchen und ein Mangel an Folsäure, unter Verdacht, Spaltenfehlbildungen zu begünstigen. Sie sind aber nicht der Auslöser. Hat die werdende Mutter Einfluss darauf, ob diese Fehlbildung entsteht? Nein, das ist eine Laune der Natur, die vielfa- che Ursachen haben kann. Deshalb wenden wir uns auch entschieden gegen jegliche Schuldzuweisungen gegenüber den Eltern eines Spaltträger-Babys. Wer bezahlt die Behandlung, und warum erstreckt sie sich über viele Jahre? Jede Behandlung einer LKG-Spalte wird von den Krankenkassen be- zahlt – egal, wie lange die erapie dauert. Das hängt von Form und Ausprä- gung der Spaltbildung ab. Bei einer reinen Lip- penspalte operieren wir zum Beispiel zwischen dem dritten und sechsten Lebensmonat. Wenn sich die Narbe anschließend gut ausbildet, bleibt es in der Regel bei diesem einen Eingri . DREI FRAGEN AN Prof. Dr. Lina Gölz und Prof. Dr. Dr. Marco Kesting Sprecher des LKG-Zentrums des Uni-Klinikums Erlangen Lippen-Kiefer-Gaumenspalten-Zentrum des Uni-Klinikums Erlangen Telefon: 09131 85-34221 www.lkg-zentrum.uk-erlangen.de WAS BEDEUTET NAM? Kerstin Bönisch Das sogenannte NAM (Nasoalveolar Molding) ist eine prächirurgische kieferorthopädische Behandlung, die nur bei sehr ausgeprägten Spaltformen angewendet wird, zum Beispiel bei beidseitiger LKG-Spalte. NAM setzt sich zusammen aus Alveolar Molding (das Formen des Kiefers/Gaumens mittels Gaumenplätt- chen) und Nasal Molding (das Formen des Nasenknorpels mittels Nasensteg, der an einem Gaumenplättchen angebracht wird). Das ca. zwei Zentimeter breite Gaumenplättchen wird bei einer größeren Gaumenspalte unmittelbar nach der Geburt eingesetzt. Es unterstützt den wachsenden Oberkiefer dabei, seine richtige Form anzunehmen, die Zunge in ihre reguläre Position zu bringen und die Spalte zu reduzie- ren. Es gibt durchaus Spalten wie die Lippen- oder die dezente Weichgaumenspalte, die weder ein Nasal Molding noch ein Alveolar Molding mittels Gaumenplättchen benötigen. Foto: Michael Rabenstein/Uni-KlinikumErlangen Glückliches Familienleben auch mit angeborener Lippenspalte – das Erlanger LKG-Zentrum unterstützt seine Patienten mit einem umfassenden Behandlungskonzept.
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