Spitzenmedizin aus dem Uni-Klinikum Erlangen | Sonderseiten Fränkischer Tag

12 | V or allem wenn Kinder und Jugendliche an Krebs erkranken, ist der Schock groß und der Wunsch nach Heilung bestimmt alles. Tat- sächlich verbessern sich die Prognosen dank neuer erapien stetig: Mehr als 80 Prozent der jungen Krebspatienten überleben heute ihre Erkrankung und können danach ein fast normales Leben führen. Die Experten des onkologischen Spitzenzentrums Comprehensive Cancer Center Erlangen-EMN am Uni-Klinikum Erlangen blicken aber schon weiter voraus – auf den drohenden Verlust der Fruchtbar- keit (Fertilität) durch eine Strahlen- oder Chemo- therapie. „Wir verfügen heute über verschiedene Maßnahmen, um die Fruchtbarkeit rechtzeitig zu schützen“, erläutert Prof. Dr. Ralf Dittrich, Repro- duktionsmediziner in der Frauenklinik (Direktor: Prof. Dr. Matthias W. Beckmann) des Uni-Klinikums Erlangen. „Während wir hier für Jugendliche in der Pubertät schon viel Erfahrungen haben, müssen wir diese für präpubertäre Jungen und Mädchen noch weiter sammeln.“ Mutter trotz Krebs Einem Team um Klinikdirektor Prof. Beckmann und Prof. Dittrich gelang es 2011, einer jungen Frau ihr eigenes Eierstockgewebe zu retransplantieren. Die Ärzte hatten ihr das funktionierende Gewebe vor ihrer Krebstherapie entnommen und es tiefgefro- ren. Nach der erfolgreichen Brustkrebsbehandlung konnte die 33-Jährige so eine gesunde Tochter zur Welt bringen. Seither setzten die Gynäkologen am Uni-Klinikum Erlangen 60 Krebspatientinnen das ihnen zuvor entnommene Ovarialgewebe wie- der ein. Das Universitäts-Fortpflanzungszentrum Franken (UFF) am Uni-Klinikum Erlangen ist heute deutschlandweit eines der größten Zentren für die Retransplantation von Eierstockgewebe. Hilfe in der Pubertät Anders als bei Erwachsenen ist der Fertilitätserhalt bei Jugendlichen komplizierter. „Einige Techniken können wir bei Mädchen nicht anwenden, etwa we- gen ihres Reifezustands oder weil wir nur ein kleines Zeitfenster für die Behandlung haben“, bedauert Prof. Dittrich. „Die Kryokonservierung von Ovari- algewebe ist aber auch bei Mädchen gut geeignet, weil ihre Eierstöcke viele Eizellen enthalten und die Chancen für eine erfolgreiche Retransplantati- on groß sind. Das gelingt auch bei präpubertären Mädchen.“ Entscheidender Vorteil des Verfahrens: „Eine Kryokonservierung kann ohne medikamen- töse Vorbehandlung und unabhängig vom Zyklus rasch vorgenommen werden“, betont der Erlanger Spezialist. Präpubertäre Jungen als Sonderfall Krebskranke Männer und Jungen können zum Schutz ihrer Fruchtbarkeit Spermien einfrieren lassen. Präpubertäre Jungen bilden allerdings noch keine Spermien. Für sie kommt die Kryokonservie- rung von unreifem Hodengewebe infrage. Dieses Gewebe soll später dazu dienen, aus den Spermien- Stammzellen Spermien zu züchten. „Das Verfahren ist noch experimentell, aber aussichtsreich“, sagt Dr. Brigitte Schwaiger, Ärztin in der Urologischen und Kinderurologischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Bernd Wullich) des Uni-Klinikums Erlangen. Die Erlanger Urologie hat sich deshalb dem 2012 in Münster ge- gründeten Netzwerk „Androprotect“ angeschlossen. „Mit Androprotect wollen wir krebskranken Jungen eine Perspektive zum Schutz ihrer Fertilität bieten“, sagt Dr. Schwaiger. „Wir wollen sie und ihre Eltern intensiv und strukturiert beraten und aufklären – und das in einer meist lebensbedrohlichen Situation, in der wir nur begrenzt Zeit haben, zu handeln.“ Erfolgreiches Mediziner-Netzwerk Wie erfolgreich solche Netzwerke sind, zeigt ein Gesetzesbeschluss vom 10. Mai 2019: Demnach fallen nun die Kosten für die Kryokonservierung für krebskranke Kinder, Jugendliche, Frauen (bis 40 Jahre) und Männer (bis 50 Jahre) in die Leis- tungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. Die Arbeit des medizinischen Netzwerks FertiPRO- TEKT, das Experten des Uni-Klinikums Erlangen 2006 mit initiierten, und die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs trugen maßgeblich zu diesem Gesetzesentwurf bei. Bislang mussten Krebskranke, die sich für fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen entschieden, die Kosten dafür kom- plett selbst tragen. GESUNDHEITSSERIE – UNSER SCHWERPUNKTTHEMA IM SEPTEMBER: FRUCHTBARKEIT NACH DER KREBSTHERAPIE Eltern werden – trotz Krebs Dank moderner Therapien haben Krebspatienten heute gute Überlebenschancen. Doch die Behandlung hinterlässt ihre Spuren: Viele Betroffene sind hinterher unfruchtbar. Mediziner des Uni-Klinikums Erlangen ermöglichen ihnen trotzdem eine Familiengründung. DREI FRAGEN AN Wie hoch ist das Risiko für Kinder und Jugendliche, durch eine Krebstherapie unfruchtbar zu werden? Das ist individuell unter- schiedlich und abhängig von der erapie. So bergen einige chemotherapeutische Medika- mente ein hohes Risiko dafür, die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen. Gleiches gilt für die gezielte Becken- und die Ganz- körperbestrahlung. Ist es sinnvoll, schon bei Jugendlichen langfristige Maßnahmen anzusprechen? In jedem Fall, weil die Möglichkeit und Entscheidung, eine Familie zu gründen, ein existenzielles ema für jeden Menschen ist. Zudem bietet das Gespräch über Sexualität und Fertilität gerade onkologisch erkrankten Jugend- lichen die Chance, den Blick auf die Zeit nach der erapie zu richten und so ihre Ho nung auf Heilung zu stärken. Was bedeuten Maßnahmen zum Fruchtbarkeitserhalt für den Beginn der Krebstherapie? Die derzeit etablierten Maßnahmen zum Fertilitätserhalt durch Kryokonservierung sind schnell umsetzbar. Das ist wichtig, weil gerade Kinder und Jugendliche häufig von Erkrankungen des blutbildenden Systems betro en sind. Da duldet die Krebstherapie keinen Aufschub. Foto: Michael Rabenstein/Uni-KlinikumErlangen Prof. Dr. Ralf Dittrich Prof. Dr. Ralf Dittrich, wissenschaftlicher Leiter der Reproduktionsmedizin am Uni-Klinikum Erlangen Universitäts-Fortp anzungszentrum Franken (UFF) Telefon: 09131 85-33524 E-Mail: fk-uff@uk-erlangen.de www.reproduktionsmedizin.uk-erlangen.de Urologie des Uni-Klinikums Erlangen Telefon: 09131 85-33118 E-Mail: brigitte.schwaiger@uk-erlangen.de www.urologie.uk-erlangen.de DIE KRYOKONSERVIERUNG Kerstin Bönisch ... ist ein spezielles und methodisch anspruchsvolles Verfahren, um Zellen und Gewebe über lange Zeiträume für eine spätere Verwendung aufzubewahren. Dabei werden die Proben in spezielle Röhr- chen gefüllt und anschließend in –196 °C kaltem, flüssigem Sticksto eingefroren und gelagert. Ihnen werden unter anderem Frostschutzmittel zugesetzt, da Eiskristalle sonst die Zellorganellen zerstören würden. Das Zell- und Gewebematerial altert im gefrorenen Zustand nicht und befindet sich beim Auftauen in demselben Zustand wie bei der Entnahme. Die Bezeichnung Kryokonservierung leitet sich vom altgriechischen Wort „kryos“ ab, was „Kälte“ bedeutet. Foto: Michael Rabenstein/Uni-KlinikumErlangen Prof. Dr. Matthias W. Beckmann, Direktor der Erlanger Frauenklinik, im Beratungsgespräch mit einer Patientin über die Retransplantation von Eierstockgewebe. Foto: Michael Rabenstein/Uni-KlinikumErlangen

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