Spitzenmedizin aus dem Uni-Klinikum Erlangen | Sonderseiten Fränkischer Tag

| 7 W er an Krebs denkt, der hat auch gleich die Chemotherapie im Kopf. Anfang der 1940er-Jahre zum ersten Mal klinisch eingesetzt, revolutionierte sie die Krebsbehandlung und ist bis heute – in weiterentwickelter Form – die etablierteste erapieoption. Für den Körper ist die Medikamentenbehandlung anstrengend, denn sie wirkt systematisch, also auf den gesamten Orga- nismus und bringt damit oft Nebenwirkungen wie Übelkeit, Mundschleimhautentzündungen und Haarausfall. Die Chemotherapie wirkt nach dem Rasenmäher-Prinzip: Zweifelsohne greift sie das „Un- kraut“, also das Tumorgewebe, an, erwischt in ihrer Grobheit aber auch gesunde Zellen. Diesen era- piee ekt gibt es nicht nur bei Krebs, sondern auch bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen: Um Rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn oder Psoriasis zu behandeln, erhalten Patienten zum Beispiel Im- munsuppressiva, die das überaktive Immunsystem drosseln sollen. Auch hier wirken die Medikamente auf viele Körperzellen: Das Immunsystem beruhigt sich zwar, wird im Umkehrschluss aber angreifbarer für Infektionen von außen. Nagelschere statt Rasenmäher Ärzte wünschen sich eine Entwicklung hin zu gezielteren erapien – zur akkurat stutzenden Nagelschere gegen das Unkraut, wenn man so will. Präzisionsmedizin heißt daher das zentrale Schlag- wort der heutigen Medizinforschung. Die Diagnostik soll eindeutiger und schneller werden und erapi- en nur dort wirken, wo auch die Erkrankung sitzt. An diesem Ziel arbeiten Mediziner im Deutschen Zentrum Immuntherapie (DZI) am Universitätsklini- kum Erlangen. Hier vernetzen sich Rheumatologen, Immunologen, Onkologen, Internisten und Haut- ärzte, um gemeinsam zu forschen und Patienten mit kombinierter Erfahrung zu behandeln. Als Sprecher stehen dem interdisziplinären und deutschland- weit einzigartigen Zentrum vor: Prof. Dr. Markus F. Neurath, Direktor der Medizinischen Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinolo- gie, und Prof. Dr. med. univ. Georg Schett, Direktor der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie, des Uni-Klinikums Erlangen. Das Immunsystem aufrüsten „Fokus unserer Arbeit ist die Neu- und Weiterent- wicklung verschiedener Immuntherapien“, erklärt Prof. Neurath und nennt drei Beispiele aus der aktu- ellen Forschung: „Wir setzen etwa auf die sogenann- ten Checkpoint-Inhibitoren. Tumorzellen sind nicht dumm: Um sich ungestört im Körper vermehren zu können, legen manche von ihnen das Immunsystem lahm. Checkpoint-Inhibitoren können die körperei- gene Abwehr wieder wachrütteln, damit sie selbst- ständig gegen eine Erkrankung vorgeht.“ Zweitens untersuchen die Forscher zellbasierte erapiean- sätze, die auf jeden Patienten maßgeschneidert sind. Dafür werden T-Lymphozyten aus seinem Blut iso- liert und mit zusätzlichen Oberflächen-Rezeptoren bestückt. So aufgerüstet erkennt das Immunsystem Tumorzellen besser und kann gezielt gegen sie vorgehen. „Drittens“, fährt der DZI-Sprecher fort, „setzen wir gentechnisch hergestellte Antikörper ein. Diese Biologika haben besonders die Behand- lung von chronisch-entzündlichen Erkrankungen nach vorne gebracht. Prinzipiell wirken Biologika wie Immunsuppressiva, doch sie hemmen nicht das gesamte Immunsystem, sondern fangen nur die Botensto e ab, die eine Entzündung auslösen würden.“ IT-Experten mit im Boot Neben der Neu- undWeiterentwicklung der Immun- therapien wollen die DZI-Forscher auch neue Diagno- severfahren etablieren. Denn je früher eine Erkrankung nachgewiesen wird, desto besser stehen auch die Heilungschancen. „Zusätzlich bedienen wir uns digitaler Gesundheitstechnologien“, erklärt Prof. Schett. „In Erlan- gen haben wir das MIRACUM-Konsortium, einen bun- desweit agierenden IT-Forschungsverbund, gleich vor Ort. Mithilfe der Kollegen nutzen wir die anonymisierten Gesundheitsdaten unserer Krebs- und Entzündungspa- tienten wissenschaftlich, vergleichen sie undmachen die Informationen auch für die Zukunft nutzbar.“ GESUNDHEITSSERIE – UNSER SCHWERPUNKTTHEMA IM APRIL: DEUTSCHES ZENTRUM IMMUNTHERAPIE Entfesseltes Immunsystem Die Krebs- und Entzündungstherapie der Zukunft ist wie ein maßgeschneidertes Hemd: in Handarbeit entwickelt und absolut passgenau. Um Patienten mit Krebs oder einer chronisch-entzündlichen Erkrankung so treffsicher zu behandeln, vernetzen sich Erlanger Mediziner im bundesweit einzigartigen Deutschen Zentrum Immuntherapie. DREI FRAGEN AN Wie hilft die Immuntherapie heute schon? Noch vor zehn Jahren galt die Diagnose ‚malignes Melanom‘, also schwarzer Hautkrebs, als Todesurteil. Heute haben Patienten eine fünfzig- bis sechzigprozentige Chance auf Heilung. Das ist vor allem der rasanten Entwicklung moderner Immuntherapien in den vergangenen Jahren zu verdanken. Diesen Erfolg auszuweiten, ist nun unser Anspruch im DZI. Wie profitiert der einzelne Patient vom DZI? Zum einen bieten wir unseren Patienten unter bestimmten Voraussetzungen die Teilnahme an klinischen Studien an. Diese Behandlungen könn- ten denjenigen helfen, bei denen bisher keine andere erapie angeschlagen hat. Zum anderen ist das DZI als direkte Anlaufstelle gedacht – auch ohne Facharztüberweisung. Betro ene können über unsere Hotlines Kontakt aufnehmen und gegebenen- falls eine Zweitmeinung einholen. Wo ist das DZI am Uni-Klinikum Erlangen verortet? Wir arbeiten aus dem Internistischen Zentrum heraus. Dort stehen dem DZI rund 1.000 Quad- ratmeter für Sprechstunden und Behandlungen zur Verfügung. Gleich nebenan befindet sich außerdem das Translational Research Center, in dem klinische Forschung auf Spitzenniveau be- trieben wird. Die räumliche Nähe ist kein Zufall: Wir wollen die Wege zwischen Forschung und Klinik möglichst kurz und unkompliziert halten, um Fortschritte zu erzielen, die den Patienten schnell zugutekommen. Fotos: Michael Rabenstein/Uni-KlinikumErlangen Prof. Dr. med. univ. Georg Schett Sprecher des DZI und Direktor der Medizin 3 Deutsches Zentrum Immuntherapie Telefon: 09131 85-40333 (für Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen) und 09131 85-44944 (für Krebspatienten) Gesprächszeiten: Mo.–Fr., 8.00–12.00 Uhr www.dzi.live Ein Nobelpreisträger und viele Partner Das DZI entstand in Erlangen nicht über Nacht, sondern baut auf jahrelanger Erfahrung auf. Das Zentrum wurde im vergangenen Jahr von dem Medizin-No- belpreisträger Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Harald zur Hausen (Foto) eröffnet. Der einstige Direktor des Erlanger Virologischen Instituts – Klinische und Molekulare Virologie und ehemalige Vorstand des Deutschen Krebsforschungszent- rums war derjenige, der humane Papillomaviren als Verursacher von Gebärmutterkrebs erkannte. Dank der Forschung von Harald zur Hausen konnte eine Vor- sorgeimpfung entwickelt werden. Im DZI kooperieren neben Kliniken und selbstständi- gen Abteilungen sowie dem Comprehensive Cancer Center Erlangen-EMN auch externe Part- ner: das Medical Valley EMN, das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS, das Max-Planck- Institut für die Physik des Lichts, das künftige Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin und das bundesweit vernetzte MIRACUM- Konsortium. DEUTSCHES ZENTRUM IMMUNTHERAPIE Zusammenarbeit schon bei der DZI-Erö nung (v. l.): Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Schüttler, Dekan der Medizinischen Fakultät der FAU Erlangen-Nürnberg, Medizin-Nobelpreisträger Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Harald zur Hausen, die DZI-Sprecher Prof. Dr. med. univ. Georg Schett und Prof. Dr. Markus F. Neurath, FAU-Präsident Prof. Dr. Joachim Hornegger und Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro, Ärztlicher Direktor des Uni-Klinikums Erlangen. Melanie Schmitz

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