Sport, Handarbeiten oder eine Schwangerschaft können den Mittelarmnerven im Handgelenk in Bedrängnis bringen und ein Karpaltunnelsyndrom auslösen. In hartnäckigen Fällen operieren die Erlanger Handchirurginnen und -chirurgen mit einer speziellen Technik.
„Das geht seit 30 Jahren so“, seufzt Renate Hänfling. „Besonders nachts sind mir immer wieder die Hände eingeschlafen. Aber diese Taubheit hat auch im Alltag gestört – zum Beispiel beim Schreiben und Autofahren.“ Immer öfter fiel der heute 81-Jährigen der Kaffeefilter aus den Händen, die Ohrringe ließen sich nicht mehr anlegen, die Blusenknöpfe nicht mehr schließen. Irgendwie arrangierte sie sich mit den Beschwerden, die die Medizin Karpaltunnelsyndrom nennt. „Ich kenne eine ehemalige Schreibmaschinenkraft“, sagt Renate Hänfling, „die hat sich deswegen dreimal operieren lassen. Aber es kam immer wieder. Das hat mich auch zögern lassen.“ Früher tippte Renate Hänfling beruflich selbst unzählige Arztbriefe ab.
„Die Patientinnen und Patienten wachen oft nachts auf und müssen sich die eingeschlafenen Hände ausschütteln.“
Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch
Problematische Engstelle
Der Mittelarmnerv (Nervus medianus) passiert zusammen mit mehreren Sehnen den Karpaltunnel an der Innenseite des Handgelenks. Hat der Nerv dort zu wenig Platz, weil er z. B. durch entzündete, geschwollene Sehnenscheiden eingeengt wird, kann das ein Karpaltunnelsyndrom auslösen. Die Symptome sind Kribbeln, Taubheit und Schmerzen in Daumen, Zeige- und Mittelfinger, und mit der Zeit auch ein Kraftverlust in der Hand. Denn die Muskulatur des Daumenballens bildet sich in einem späten Stadium der Erkrankung allmählich zurück.
„Das Karpaltunnelsyndrom ist das häufigste Nervenkompressionssyndrom des Menschen“, erklärt Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch, Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „Es ist oft so wie bei Frau Hänfling: Die Patientinnen und Patienten wachen nachts auf und müssen sich die eingeschlafenen Hände ausschütteln. Frauen betrifft das wesentlich häufiger als Männer – vermutlich weil ihr Karpaltunnel von Natur aus einen kleineren Querschnitt hat. Aber vielleicht auch, weil sie insgesamt mehr mit den Händen machen.“
Bei Schwangeren können vermehrte Flüssigkeitsansammlungen dazu führen, dass es im Karpaltunnel eng wird und Missempfindungen auftreten. Diese verschwinden nach der Schwangerschaft aber oft von selbst. Andere Betroffene beobachten über Jahre ein Kommen und Gehen der Beschwerden. Sportlerinnen und körperlich Arbeitende, deren Handgelenke immer wieder stark belastet sind, werden häufiger zu Patientinnen und Patienten. „Ganz typisch sind zum Beispiel Radfahrer, die sich stundenlang auf ihren Lenker aufstützen“, sagt Prof. Horch. Es kann helfen, Fehlbelastungen zu vermeiden und nachts eine spezielle, gepolsterte Schiene zu tragen, die die Hand ruhigstellt. Entzündungshemmende Medikamente werden zwar oft eingenommen, wirken aber laut der aktuellen Datenlage nicht besser als ein Placebo.
Auch der Lebensgefährte von Renate Hänfling war Karpaltunnelpatient. „Er hat sich nach jahrelangen Problemen am Uniklinikum operieren lassen – beide Seiten – und alles ging sehr gut vonstatten. Er ist sehr zufrieden“, berichtet die Seniorin. Da habe sie noch einmal über ihre eigene Behandlung nachgedacht. Den finalen Anstoß gab schließlich ihr Neurologe: Zur Verlaufskontrolle schickte dieser regelmäßig schwache Stromimpulse durch ihren linken Mittelarmnerven und maß, wie schnell er die Signale weiterleitete. „Vom Handgelenk über den Karpaltunnel bis zum Daumenballen sollte das nicht länger als 4,2 Millisekunden dauern“, erklärt Prof. Horch. „Ist die Nervenleitgeschwindigkeit niedriger, deutet das darauf hin, dass der Nerv Schaden nimmt. Dann sollte man über einen chirurgischen Eingriff nachdenken. Der lohnt sich auch noch im höheren Alter.“ Renate Hänflings Nerv schaffte 7,9 Millisekunden – war also viel zu träge. Im Sommer 2023 operierte Prof. Horch ihre linke Hand.
Schonender Eingriff
„Minimalinvasiv“, betont der Handchirurg, der das OP-Verfahren selbst mitentwickelt hat und seit 20 Jahren in Erlangen durchführt. Nur sehr wenige Kliniken in Deutschland bieten eine minimalinvasive Operation des Karpaltunnels an; die meisten operieren offen – machen also an der Handinnenfläche einen etwa vier Zentimeter langen Schnitt. Der endoskopische Zugang, den die Erlanger Hand-chirurginnen und -chirurgen in der Handgelenksbeugefalte setzen, misst nicht einmal einen Zentimeter.
„Dank der minimalinvasiven Technik sind die Patienten schneller wieder fit, nachträgliche Schmerzen sind seltener.“
Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch

„Wir haben Patienten, die sich eine Seite offen und eine minimalinvasiv operieren lassen haben und die den Unterschied spüren konnten“, berichtet Raymund Horch. Er erklärt: „Unserer Erfahrung nach ist dank des sehr kleinen Schnitts das Risiko für Komplikationen während, aber auch nach der OP geringer. Die Patienten sind schneller wieder fit, nachträgliche Schmerzen sind seltener.“
Mithilfe eines Endoskops und eines modernen Kamerasystems blickt der Operateur ins Innere der Hand, ohne diese öffnen zu müssen. Immer unter Sichtkontrolle durchtrennt er das sogenannte Karpalband, das sich quer über den Karpaltunnel spannt. Dadurch bekommen die durch den Tunnel laufenden Strukturen sofort mehr Spielraum. „Es ist wichtig, das komplette Band zu erwischen“, betont Prof. Horch. „Wenn irgendwo ein Rest bleibt, wirkt der wie ein Bindfaden und schnürt den Nerven umso mehr ein.“ Deshalb wird mit dem Endoskop immer noch einmal nachkontrolliert. Raymund Horch und sein Team führen den Karpaltunneleingriff ambulant unter lokaler Betäubung durch. „Das dauert keine zehn Minuten“, sagt der Klinikdirektor. Bis heute hat er selbst über 1.500 solcher Operationen vorgenommen. „Ich hätte das schon früher machen lassen sollen. Dass es so gut wird, hätte ich nie gedacht“, freut sich Renate Hänfling zwei Wochen nach ihrem Eingriff. „Ich wache nachts nicht mehr wegen tauber Finger auf, habe ein sehr gutes Gefühl in der Hand und eine gute Griffkraft. Ich würde die rechte Seite auch machen lassen, wenn die irgendwann schlechter wird.“
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Text und Fotos: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Herbst 2023