Gesundheit erlangen -Herbst 2020

18 Es antwortet Diplom-Psychologe Peter Mattenklodt, leitender Psychologe am Schmerzzentrum des Uni-Klinikums Erlangen. E in völlig schmerzfreies Leben wäre nicht sinnvoll, denn Schmerzen warnen uns und wei- sen auf mögliche körperliche Schäden hin. Die schmerzende Körperstelle sendet Nervenim- pulse ans Gehirn – erst dort entsteht der Schmerz. Klingen die Schmerzen schnell wie- der ab, sobald die Ursache behoben ist, spre- chen wir von akuten Schmerzen. Bei chroni- schen Beschwerden hingegen kommt es zu Veränderungen im zentralen Nervensystem, also im Rückenmark und im Gehirn. Unser Denkapparat strukturiert sich perma- nent um und passt sich an unsere Lebensbe- dingungen an. Diese Fähigkeit des Gehirns nennen wir Neuroplastizität. Erlernen wir also zum Beispiel eine neue Sportart oder ein Mu- sikinstrument, vergrößern sich die entspre- chenden Hirnareale. Wenn Schmerzen sehr stark sind oder über sehr lange Zeit bestehen, kann das dazu führen, dass Schmerzreize im- mer leichter ins Gehirn weitergeleitet werden Wie funktioniert das Schmerzgedächtnis? Wodurch werden Schmerzen chronisch? Und kann der Körper Schmerz einfach wieder „vergessen “ ? und immer stärkere Reaktionen hervorrufen. Das Gehirn „lernt“ den Schmerz, und wir reagie- ren immer sensibler auf den gleichen Schmerz- reiz. Der Schmerz erhält sich also selbst auf- recht. Diese Anpassungen im Schmerzverarbei- tungssystem von Rückenmark und Gehirn nen- nen wir Schmerzgedächtnis. Wie schnell es sich ausbildet, ist von Mensch zu Mensch ver- schieden. Wir wissen aber, dass dabei vor al- lem psychosoziale Risikofaktoren entschei- dend sind. Rückenschmerzen werden zum Bei- spiel eher chronisch, wenn der Betroffene de- pressiv verstimmt ist, dauerhaft Stress oder Konflikte im Beruf oder in der Familie hat. Dazu kommt das eigene Verhalten: Betroffene soll- ten sich nicht permanent auf ihre Schmerzen konzentrieren und sich auch nicht extrem kör- perlich schonen. Ebensowenig hilft es, den Schmerz völlig zu ignorieren – das gelingt bei starken Beschwerden ohnehin nur selten. Vollständig löschen lässt sich das Schmerzge- dächtnis nach heutigem Wissen nicht. Aber Patienten können herausfinden, welche Ein - stellungen und welche Verhaltensweisen ihnen dabei helfen, Schmerzen günstig zu beeinflus - sen und ihnen ihre Macht zu nehmen. So lernt das Gehirn wieder um. Dabei können Patienten auch die Möglichkeiten der multimodalen Schmerztherapie nutzen, die bei der Schmerz- bewältigung Körper, Gedanken und Verhalten gleichermaßen miteinbezieht. In interdiszipli- nären Schmerzzentren bieten Ärzte, Psycholo- gen, Pflegefachkräfte und Physiotherapeuten eine solche Therapie gemeinsam an. Visite

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