Jahresbericht 2019 | 2020: Medizin. Menschen. Momente.

artin Fischer war zwölf Jahre alt, als er die Diagnose einer Fami- liären Hämophagozytären Lym- phohistiozytose Typ 5 erhielt, einer seltenen, lebensbedroh- lichen Immunerkrankung. Für seine Mutter Christa ein Schock, denn Jahre zuvor war be- reits einer ihrer anderen Söhne an Blutkrebs erkrankt. „Es fing damit an, dass Martin er - kältet war. Er hatte Fieber, Leber und Milz wa- ren vergrößert – ähnlich wie bei meinem an- deren Sohn. Bei der Blutuntersuchung stellte sich dann heraus, dass Martin eine Kno- chenmarktransplantation brauchen würde“, erzählt Christa Fischer. Dr. Brigitte Schwaiger, Oberärztin der Urologischen und Kinderuro- logischen Klinik, sprach bereits kurz nach der Diagnosestellung mit Martins Mutter darüber, dass er später möglicherweise keine Kinder zeugen könnte. „Die Strahlen- oder die Chemotherapie greift nicht nur die bös- artigen Zellen an, sondern auch diejenigen Stammzellen, die für die Spermienproduk- tion zuständig sind“, erklärt Dr. Schwaiger. Anders als bei erwachsenen Männern kön- nen Jungen vor der Pubertät keine Spermien entnommen und eingelagert werden, um den späteren Kinderwunsch mithilfe von künst- licher Befruchtung zu erfüllen. Vor der Ge- schlechtsreife sind Jungen noch nicht dazu in der Lage, Samenzellen zu bilden. Allerdings ist es experimentell möglich, ihnen Hoden- gewebe zu entnehmen und dieses durch Ein- frieren – die sogenannte Kryokonservierung – aufzubewahren. Die Zellen nehmen im flüs - sigen Stickstoff auch bei Temperaturen von bis zu –196 Grad Celsius keinen Schaden. Das Forschungsprojekt des Netzwerks An- droprotect beschäftigt sich damit, die Zellen im Labor zu „aktivieren“, sodass diese Sper- mien produzieren. Das Projekt wurde 2012 vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) des Universitätsklinikums Münster initiiert, beteiligt sind drei weitere deutsche Kliniken. Die bayernweit einzige Abteilung mit der Berechtigung zur Stamm- zellentnahme ist das Uni-Klinikum Erlangen. „Bisher gibt es noch keine Möglichkeit für Jungen vor der Pubertät, ihre Fruchtbarkeit für später zu konservieren. Wir setzen da- her alles daran, dass eine Familienplanung für sie zukünftig möglich ist. In Versuchen hat sich der experimentelle Ansatz bereits als erfolgreich gezeigt; dennoch weisen wir die Eltern ausdrücklich darauf hin, dass das Verfahren beim Menschen momentan rein experimentell ist“, so Dr. Schwaiger. SCHNELLE ENTSCHEIDUNG NÖTIG Wird bei einem präpubertären Jungen Krebs diagnostiziert, kümmern sich die Onkologen der Kinder- und Jugendklinik um den Thera- pieplan. Dabei sprechen sie auch das Thema Fruchtbarkeit an und informieren Brigitte Schwaiger, falls die Eltern weitere Informa- tionen wünschen. Die Urologin bespricht mit den Eltern des Betroffenen dann in Ruhe, welche Möglichkeiten das Forschungsnetz- werk Androprotect bietet: „Die Eltern ent- scheiden, ob sie daran interessiert sind, präpubertäres Hodengewebe ihres Sohnes einzufrieren oder nicht. Wir legen ihnen For- schungsberichte vor und erklären, wie wir die Gewebeentnahme durchführen. Aber auch den Jungen selbst erklären wir mit M 30 Euro pro Monat kostet die Aufbewahrung der Zellen über das 18. Lebensjahr hinaus. Da- vor wird die Lagerung mit Forschungsgeldern finanziert. Die Urologin Dr. Brigitte Schwaiger ist die Erlanger Projektverant - wortliche für die Bewahrung der Fruchtbarkeit von Jungen, die eine Chemo- oder Radiotherapie benötigen. 13 H E L F E N H E I L E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 9 | 2 0 2 0

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