Jahresbericht 2019 | 2020: Medizin. Menschen. Momente.

S ie schimmern in ganz unter- schiedlichen Farben, können so schön sein – aber auch so schmerzhaft: Gallensteine. Die Koliken, die sie mitunter aus- lösen, werden als Höllenqualen beschrieben und mit Geburtsschmerzen verglichen. Dabei kommt es gar nicht so sehr auf die Größe der Steine an – von wenigen Millimetern bis hin zu mehreren Zentimetern –, sondern auf den Ort, an dem sie sich befinden. „In Deutschland haben schätzungsweise sechs Millionen Menschen einen oder sogar meh- rere Gallensteine“, erläutert Prof. Dr. Martin Herrmann. „Nur bei etwa 25 Prozent der Betroffenen treten irgendwann Symptome auf – dann aber heftig. Meistens verstopft bei ihnen ein Stein den Gallengang, was dazu führt, dass die Gallenflüssigkeit nicht mehr fließen kann.“ Der Naturwissenschaftler, der in der Medizinischen Klinik 3 – Rheumato- logie und Immunologie eine Arbeitsgruppe leitet, ist eigentlich gar kein Experte für Gal- lensteine; seine Forschungsschwerpunkte sind die Autoimmunität und die zelluläre Immunologie. Die Gallensteine gingen ihm und seinem Team eher zufällig ins Netz. FORSCHUNG IN DER NISCHE Dass an der Entstehung von Gallensteinen Kristalle beteiligt sind, war bekannt. „Wie allerdings aus einem mikroskopisch klei- nen Kristall ein ganzer Stein wird – dieses Rätsel hatte die Wissenschaft bisher noch nicht gelöst. Aber aus dieser Richtung kamen wir ja gar nicht“, berichtet Prof. Herrmann schmunzelnd. „Wir hatten in einem anderen Forschungsprojekt etwas entdeckt, das wir genauer betrachten woll- ten. Dafür suchten wir uns sozusagen eine Nische, entschieden uns für die Gallen- steine und waren dann selbst überrascht, dass wir damit deren Geheimnis lüfteten.“ Aber von vorn: Was ist überhaupt die Galle und wofür benötigen wir sie? Die zähe Kör- perflüssigkeit wird in der Leber auf Vorrat produziert und fließt über einen Gallengang in die Gallenblase, wo sie zwischengespei- chert wird. Es handelt sich um eine perfekte Komposition aus Wasser, Gallensäuren und -salzen sowie weiteren Komponenten wie Lezithin, Cholesterin und Bilirubin. Nach dem Essen wird die Galle über einen weiteren Gal- lengang in den Zwölffingerdarm ausgeschüt - tet, wo sie auf den Speisebrei trifft und eine maßgebliche Rolle bei der Fettverdauung ein- nimmt. „Bei etwa 20 Prozent aller Menschen ist die Komposition allerdings nicht ganz so perfekt und es bilden sich mikroskopisch kleine Kristalle“, erklärt Martin Herrmann. „Das ist nicht weiter schlimm, die passieren in der Regel gemeinsam mit der Galle den Verdauungstrakt und werden ausgeschie- den.“ Wäre da nicht das Immunsystem … „Wir hatten in einem anderen For- schungsprojekt etwas entdeckt, das wir genauer betrachten wollten.“ Prof. Dr. Martin Herrmann, Arbeitsgruppenleiter der Medizin 3 F O R S C H E N L E H R E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 9 | 2 0 2 0 17 Wider Erwarten sind Gallensteine weich. „Sie fühlen sich an wie harte Butter und lassen sich mit den Fingern zerdrücken“, beschreibt Prof. Herrmann die Haptik.

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