Jahresbericht 2019 | 2020: Medizin. Menschen. Momente.

VON DER GICHT ZUR GALLE Ähnliche Kristalle, nämlich Harnsäurekris- talle, hatten die Wissenschaftler um Prof. Herrmann bei besagtem Forschungsprojekt unter ihrem Mikroskop liegen. „Eigentlich be- schäftigten wir uns mit der Gicht und gingen einer anderen Frage nach“, erinnert sich der Arbeitsgruppenleiter. „Dann entdeckten wir allerdings diese Netze im Gewebe und wun- derten uns.“ Die Netze sind der Wissenschaft schon lange bekannt: Sie stammen von neutrophilen Granulozyten, spezialisierten weißen Blutkörperchen. Diese gehören zum Immunsystem und kämpfen an vorderster Front gegen gefährliche Eindringlinge, z. B. Bakterien und Viren. „Wie wir jetzt wissen, stufen die neutrophilen Granulozyten leider auch vom Körper selbst gebildete Kristalle als Bedrohung ein. Beim Versuch, diese aufzunehmen, sterben Blutkörperchen und stülpen ihre Erbsubstanz wie ein Netz über die Kristalle“, erläutert PD Dr. Luis Munoz, der inzwischen eine eigene Junior-Arbeits- gruppe zur genaueren Erforschung der NETs leitet. Lässt sich von den Harnsäurekristallen etwa auf die Kristalle in der Galle schließen? „Als wir nun Gallensteine mithilfe modernster Methoden eingehend untersuchten, machten wir die sehr überraschende Entdeckung, dass auch sie von unzähligen neutrophilen Granulozyten übersät sind. Offensichtlich ist es so, dass sie Kristalle in der Galle fälsch- licherweise als Krankheitserreger identifizie - ren und sozusagen ihre Netze auswerfen.“ In der zähen Flüssigkeit verklumpen diese Kristalle dann immer mehr und mit der Zeit entstehen Steine, die erstaunliche Ausmaße annehmen können. Da sich die Gallenblase mehrmals täglich durch Kontraktion ihrer Wandmuskulatur entleert und so ständig in Bewegung ist, sind die Steine rund. Welche Farbe sie annehmen, hängt davon ab, wel- che Kristalle verklumpen: Cholesterin färbt beispielsweise gelblich, Bilirubin bräunlich. Die Bildung von Gallensteinen ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig: ge- netischer Prädisposition, Infektionen, Alkoholmi ssbrauch etc. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. „Trinken Sie genug!“, rät Martin Herrmann zur Prävention. Druckschmerz im rechten Oberbauch, allgemeine Krank- heitssymptome, Gelbsucht, bräunlich verfärbter Urin, entfärbter/heller Stuhl, erhöhte Leberwerte: Gallensteine können neben heftigen Koliken eine ganze Reihe weiterer Symptome auslösen, die Betroffene von einem Arzt abklären lassen sollten. F O R S C H E N L E H R E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 9 | 2 0 2 0 18 NETs Im Englischen werden diese Netze passend als NETs bezeichnet: Neutrophil Extracellular Traps.

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