Jahresbericht 2019 | 2020: Medizin. Menschen. Momente.

Michelle Dotzauer hat es selbst konzipiert, eine zweite pädagogische Kollegin unterstützt sie. Das Projekt finanziert sich ausschließlich über Spenden. EIN GESCHÜTZTER RAUM Es gehört zum Kern des 2009 gegründeten Kinderpalliativteams, nicht nur sterbens- kranke Kinder und Jugendliche zu versorgen. Gleichzeitig kümmern sich seine Ärztinnen, Pflegefachkräfte, Psychologen, Seelsorgerin - nen, Sozial- und Kunstpädagoginnen auch um die Gesunden – um Eltern, Geschwister und andere nahe Angehörige. „Koffer- Raum ist ein Projekt allein für die Ge- schwister. Wir wid- men ihnen unsere ganze Aufmerksam- keit und zeigen ih- nen: Heute nehmen wir uns nur Zeit für dich, jetzt bist du wichtig!“, erklärt Michelle Dotzauer. Die Geschwister von Palliativpatien- ten müssen sich in einem belasteten Fami- lienalltag fortwährend anpassen und oft zu- rückstecken. Sie müssen aushalten, dass die Ärzte ihre Schwester oder ihren Bruder nicht retten werden. Sie müssen manchmal das Auseinanderdriften der Eltern mit ansehen, mit der Schule klarkommen und am Ende ihre Rolle in der Familie neu finden. „Jedes Kind definiert sich auch über seine Geschwis - ter“, weiß Dr. Gravou-Apostolatou. „Jemand ist die große Schwester, der kleine Bruder, das mittlere Kind von dreien. Nach dem Tod des Geschwisterkindes ändert sich das. Und die Not der Geschwister hört nach dem letzten Atemzug des Patienten nicht auf.“ Die Kinderärztin ist sich sicher: „KofferRaum kann die extrem belasteten Geschwister vor Depressionen und Rückzugsverhalten schützen und ihre Lebensqualität wieder verbessern.“ Das Projekt bietet dem Kind einen geschützten Ort, um mit verschiedenen Materialien, Farben, Bildern und Symbolen zu verarbeiten, was oft mit gesprochenen Worten nicht zu verarbeiten ist. Mit einer mobilen Werkstatt fährt Michelle Dotzauer zu den Kindern nach Hause, bringt Papier, bunte Bänder und Glitzersteine mit, Wolle, Federn, Holz, Perlen und viele andere Bastel- utensilien. Jedes Kind darf sich aussuchen, was es am liebsten verwenden möchte, um seinen „Koffer- Raum“ zu erschaffen. In der Regel macht die Kunstpädago- gin jeweils sechs Hausbesuche. Dazwischen vergeht immer etwas Zeit, in der das Kind an seinem Projekt weiterarbeiten kann. „Ganz entscheidend ist, dass die Geschwister eigene Termine von uns bekommen, unabhängig von den Hausbesuchen, die wir für das kranke Kind machen“, betont Michelle Dotzauer. Lara war eine der Ersten, die ihren Wünschen und Ideen mit der Hilfe des Kinderpalliativ- teams Raum gab. Sie begann mit dem Ge- stalten, als ihre kleine Schwester noch lebte, und bastelte auch nach Milenas Tod noch weiter. „Laras KofferRaum ist ein Ort, an den sie kommen kann, wann immer sie will. Sie kann den Koffer abschließen, und sie allein entscheidet, ob und wann sie ihn jemandem zeigt“, erklärt Michelle Dotzauer, während sie neben Lara auf dem lila Teppichboden ihres Kinderzimmers sitzt. Das Mädchen lässt den Schlüssel zwischen ihren Fingern bau- 26 L E B E N B E W E G E N U N I V E R S I T Ä T S K L I N I K U M E R L A N G E N J A H R E S B E R I C H T 2 0 1 9 | 2 0 2 0 Dankbarkeit: Als Geschenk für das Kinderpalliativ- team haben Lara und ihre Mutter Steine bemalt. Dr. Gravou-Apostolatou bekam ein Exemplar mit der Auf- schrift „Lieblings-Olivenärz- tin“ – „weil ich der kleinen Milena immer Oliven mit- gebracht habe. Die mochte sie so gern“, erklärt die Kinderärztin. „Wir haben immer versucht, das alles mit sehr viel Liebe aufzufangen. Und es ist schön, dass wir jetzt wieder mehr Zeit haben, uns um Lara zu kümmern.“ Christian Günther, Vater

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