100. CAR-T-Zell-Patient der Medizin 5: „Ich will für meine Familie da sein“
Zelluläre Immuntherapie gegen Systemische Sklerose verabreicht
Stefan K. ist der 100. Patient, der jetzt in der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie (Direktor: Prof. Dr. Andreas Mackensen) des Uniklinikums Erlangen eine CAR-T-Zell-Therapie erhielt. Der 55-Jährige leidet an der schweren chronischen Autoimmunerkrankung Sklerodermie und wurde deshalb im Rahmen der gemeinsamen klinischen Phase-I-Studie „CASTLE“ unter Leitung der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie (Direktor: Prof. Dr. med. univ. Georg Schett) des Uniklinikums Erlangen behandelt. Alle anderen Therapieoptionen sind bei Stefan K. bereits ausgeschöpft. Die Erlanger Ärztinnen und Ärzte setzten deshalb jetzt auf die „umprogrammierten“ Immunzellen, die eigens für den Patienten in der Medizin 5 des Uniklinikums Erlangen hergestellt und ihm dort verabreicht wurden.
März 2020: Die ganze Welt ist plötzlich mit der COVID-19-Pandemie konfrontiert. Parallel dazu nimmt in einer Stadt im Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen ein Einzelschicksal seinen Lauf. „Es fing damit an, dass mir in der Sauna die Finger kribbelten. Dabei habe ich mir erst mal nichts gedacht“, berichtet Stefan K. „Dann hatte ich beim Stehen Schmerzen in den Füßen. Irgendwann wurden meine Hände ganz dick.“ Vom Hausarzt wurde er zum Rheumatologen geschickt, der schließlich die Diagnose stellte: Stefan K. leidet an Sklerodermie, auch progressive Systemische Sklerose genannt. Dabei wird das Immunsystem fehlgeleitet, produziert übermäßig viel Bindegewebe (Fibrose) an der Haut, aber auch in inneren Organen wie Herz, Lunge, Nieren und Darm. Das Gewebe verklebt und verhärtet, die kleinen Blutgefäße verengen sich, Muskeln und Gelenke schmerzen.
Mit Beginn des ersten Coronalockdowns geht es mit der Gesundheit von Stefan K. bergab. Innerhalb eines halben Jahres verliert er rund 15 Kilo, kämpft mit extremer Müdigkeit, bekommt schließlich eine Herzbeutelentzündung und wird ein Dreivierteljahr lang krankgeschrieben. „Die Zeit zu Hause war schwer für mich“, sagt er. „Als Ausbildungsmeister betreue ich Azubis im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerk. Meine Arbeit hat mich seelisch immer gepusht und mir Spaß gemacht. Aber irgendwann war ich auch dafür zu schlapp.“ Im Sommer 2021 kehrte er trotz starker Beschwerden an seinen Arbeitsplatz zurück. „Alle wussten davon, aber ich wollte normal behandelt werden.“ Nach Feierabend sank er zu Hause auf dem Sessel zusammen, für Aktivitäten mit seiner Familie fehlte ihm die Kraft. „Meine Frau managt alles – kümmert sich um mich, unseren achtjährigen Sohn, den Haushalt und ist dazu noch berufstätig.“
„Meine Lunge war mal mein Paradeorgan“
Die Systemische Sklerose führte dazu, dass sich Stefan K.s Haut verdickte und verhärtete. Sein Gesicht wirkt maskenartig und gespannt, die Durchblutung in den Händen ist gestört, die Entzündungswerte sind enorm erhöht. Er hat starke Gelenkschmerzen und nach 50 Metern zu Fuß geht ihm die Luft aus. „Meine Lunge war mal mein Paradeorgan“, sagt Stefan K., der früher regelmäßig Rennrad fuhr, joggte und Kampfsport machte. Heute geht nicht mal mehr ein Spaziergang. Denn die Leistung seiner Lunge beträgt nur noch 30 Prozent. In den zurückliegenden dreieinhalb Jahren kamen bei Stefan K. deshalb immer mehr Medikamente hinzu: Blutverdünner, ACE-Hemmer fürs Herz, Kortison, Schmerzmittel, ein Biologikum gegen die Autoimmunprozesse und etwas, um die Vernarbungen in seiner Lunge zu stoppen. Doch die Mittel helfen nicht bzw. nicht gut genug.
Blick nach Erlangen gibt Hoffnung
Stefan K.s Rheumatologe empfahl ihm schließlich eine Studienteilnahme in Erlangen. Im September 2023 ist Stefan K. schließlich der 100. CAR-T-Zell-Patient in der Medizin 5 des Uniklinikums Erlangen. „Wir haben 2019 die ersten Patientinnen und Patienten mit Leukämien bzw. Lymphdrüsenkrebs mit CAR-T-Zellen behandelt“, erklärt Prof. Mackensen. „Im Jahr 2023 werden es insgesamt mehr als 30 Patientinnen und Patienten sein, denen wir diese Zellen verabreichen.“ Bei der CAR-T-Zell-Therapie handelt es sich ursprünglich um eine innovative zelluläre Immuntherapie gegen Krebs. Als Medikament zugelassen sind CAR-T-Zellen aktuell für bestimmte Leukämieformen und Lymphdrüsenkrebs sowie für das Multiple Myelom – eine bösartige Knochenmarkserkrankung.
Für die Herstellung von CAR-T-Zellen werden der Patientin bzw. dem Patienten zunächst eigene Immunzellen (T-Lymphozyten) entnommen und mittels Gentechnik mit einer Art „Spezialbrille“ ausgestattet, die Krebszellen erkennt. Diese Spezialbrille ist der sogenannte chimäre Antigenrezeptor, kurz CAR. Die „umprogrammierten“ T-Zellen werden der bzw. dem Betroffenen anschließend zurückgegeben. Sie erkennen Tumorzellen, docken an sie an und zerstören sie. Eine CAR-T-Zell-Infusion kostet derzeit ca. 200.000 bis 250.000 Euro.
„Autoimmunerkrankungen sind ein vielversprechendes neues Anwendungsfeld von CAR-T-Zellen“, erklärt Prof. Schett, der die 2023 gestartete Erlanger CASTLE-Studie leitet. „Denn wir haben beobachtet, dass CAR-T-Zellen nicht nur bösartige Krebszellen attackieren, sondern auch fehlgeleitete B-Zellen, also Immunzellen, die Autoantikörper produzieren.“ Anfang 2021 setzten Forschende der Medizin 3 und der Medizin 5 des Uniklinikums Erlangen CAR-T-Zellen im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erstmals weltweit erfolgreich gegen die Autoimmunerkrankung Systemischer Lupus Erythematodes ein. Bei der damals 20-jährigen Patientin bildete sich innerhalb kurzer Zeit die Erkrankung komplett zurück; sie konnte wieder richtig atmen, die Wassereinlagerungen verschwanden und die Herzfunktion normalisierte sich. Heute, zweieinhalb Jahre später, ist die Patientin komplett gesund. Im Jahr 2022 schloss sich die Behandlung eines weiteren Autoimmunpatienten an – diesmal mit einer schweren Muskelentzündung. Der 41-Jährige profitierte ebenfalls: Die Entzündung in den Muskeln, der Lunge und den Gelenken klang vollständig ab, Kraft und Ausdauer kehrten zurück. Auch bei ersten Patientinnen und Patienten mit Systemischer Sklerose haben CAR-T-Zellen bereits zu einer Rückbildung der Erkrankung geführt.
Insgesamt waren etwa drei Viertel der Patientinnen und Patienten, die bisher am Uniklinikum Erlangen mit CAR-T-Zellen behandelt wurden, an Krebs erkrankt, ca. ein Viertel litt an einer Autoimmunerkrankung. „Wir haben deshalb Grund zu der Hoffnung, dass wir mit der Therapie auch bei unserem 100. Patienten das Fortschreiten der Krankheit aufhalten können, dass seine Beschwerden nachlassen und er wieder belastbarer wird“, erklärt die behandelnde Oberärztin Dr. Daniela Bohr von der Medizin 3.
Der Weg zum individuellen Medikament
Im ersten Schritt wurden Stefan K. im Rahmen einer vierstündigen Leukapherese T-Zellen entnommen. Dann folgte deren „Manipulation“: „Wir haben das Privileg und die Erlaubnis, CAR-T-Zellen für Studienzwecke in unserem eigenen GMP-Labor selbst herzustellen“, erklärt Prof. Mackensen. „So können wir die Zelltherapie Schwerkranken wie Stefan K. schon innerhalb von etwa zwei Wochen verabreichen.“ Normalerweise vergehen eher vier bis sechs Wochen, denn die meisten der individuellen Arzneimittel werden in den USA produziert. Im zweiten Schritt bekam Stefan K. eine vorbereitende Chemotherapie: Sie diente dazu, seine körpereigenen T-Zellen zu eliminieren und Platz für die CAR-T-Zellen zu schaffen. Im dritten Schritt folgte die Infusion. Nach dieser bleibt Stefan K. nun noch für zwei Wochen zur Kontrolle in der Medizin 5. „Wir haben ein eigenes Labor für Immunmonitoring aufgebaut und verfolgen den Gesundheitszustand aller unserer CAR-T-Zell-Patientinnen und -Patienten in den Folgejahren weiter“, betont Oberarzt PD Dr. Fabian Müller, Leiter der CAR-T-Zell-Einheit der Medizin 5. Es können nun Wochen bis Monate vergehen, bis sich bei Stefan K. spürbare gesundheitliche Veränderungen einstellen. „Ich will für meine Familie da sein“, so sein größter Wunsch.
Erlanger Forschung zu CAR-T-Zellen
CAR-T-Zellen sind einer der klinisch-wissenschaftlichen Schwerpunkte der Medizin 5 und des Deutschen Zentrums Immuntherapie (DZI) des Uniklinikums Erlangen. Dessen Ziel ist es, chronisch-entzündliche Erkrankungen und Krebs durch gezielte Immuntherapien zu bekämpfen. Für die aktuelle CASTLE-Studie des Uniklinikums Erlangen kommen Menschen mit den Autoimmunerkrankungen Systemischer Lupus Erythematodes, Systemische Sklerose und Idiopathische Myositis infrage, bei denen andere Therapien nicht anschlagen und deren Organe bereits relativ schwer betroffen sind. Ebenfalls geforscht wird in Erlangen zum Einsatz von CAR-T-Zellen bei soliden Tumoren wie Eierstock- und Hodenkrebs. „Eine der großen Herausforderungen bei diesen Erkrankungen ist es, dass die CAR-T-Zellen erfolgreich in den Tumor einwandern und bei Erreichen des Ziels noch ausreichend aktiv sein müssen“, erklärt Prof. Mackensen. „Aber auch hierfür gibt es bereits Forschungsansätze, die Hoffnung machen.“
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Andreas Mackensen
09131 85-35954
andreas.mackensen(at)uk-erlangen.de
Prof. Dr. med. univ. Georg Schett
09131 85-33418
georg.schett(at)uk-erlangen.de