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„Ab Tag eins war sie für uns da“

„Ab Tag eins war sie für uns da“

Nachsorgeprogramm „Bunter Kreis Erlangen“ wird fünf Jahre alt – Einladung zum Festakt am 28. September 2022

Überforderung, Frustration, Verzweiflung: Diese Gefühle können Eltern mit frühgeborenen oder schwer chronisch kranken Kindern übermannen. Das geschieht vor allem dann, wenn Mütter und Väter nach einem langen Krankenhausaufenthalt das erste Mal auf sich allein gestellt sind. „Wir kümmern uns darum, dass es erst gar nicht so weit kommt, und nehmen die Eltern an die Hand“, erklärt Barbara Toka, Gesundheits- und Krankenpflegerin beim „Bunten Kreis Erlangen“ am Uniklinikum Erlangen. Das sozialmedizinische Nachsorgeprogramm für Frühchen und schwer kranke Kinder feiert am Mittwoch, 28. September 2022, von 14.00 bis 17.00 Uhr sein fünfjähriges Bestehen – mit einem Festakt in den Hörsälen Medizin im Ulmenweg 18. Dabei gibt das Team des Bunten Kreises Einblicke in seine Arbeit und zeigt an Beispielen, wie die Nachsorge betroffenen Familien den Übergang in den Alltag erleichtert.

Die 28-jährige Sarah Kirchner (Name geändert), ihr Mann und die gemeinsame Tochter Nina (Name geändert) sind eine solche Familie. Fünf Monate lang wurden das bald einjährige Mädchen und seine Eltern von Barbara Toka vom Bunten Kreis Erlangen betreut. Nina kam im Oktober 2021 als Frühchen in der 28. Schwangerschaftswoche zur Welt – mit einer unterentwickelten und viel zu kleinen Lunge. Sie musste künstlich beatmet werden, mit so hohem Druck und so viel Sauerstoff, dass sich ihr Atmungsorgan umbaute und immer steifer wurde. Um die Lunge dennoch bis in die kleinsten Bereiche zu belüften, brauchte Nina auch noch im Januar 2022, als sie endlich nach Hause entlassen werden konnte, eine Highflow-Therapie, das heißt: Sie wurde über eine Nasensonde mit einem Sauerstoff-Gasgemisch versorgt, um eine Atemnot zu verhindern.

„Zu Hause mit Baby – wir wussten nicht, wie das ist“

Nina kam in Mannheim zur Welt und wurde dann von den dortigen Ärztinnen und Ärzten an den Bunten Kreis Erlangen angebunden – denn hier lebt ihre Familie. Ende Januar durften Mutter und Kind die Klinik verlassen, „und gleich am ersten Tag zu Hause war Frau Toka da“, berichtet Sarah Kirchner. Barbara Toka erklärt: „Ich wollte keinen Tag verstreichen lassen – zumal ich ja Ninas Geschichte kannte – und einfach ganz sichergehen, dass mit der Heimbeatmung alles klappt und die Eltern gut zurechtkommen.“ Das habe ihr viel Sicherheit gegeben, sagt Sarah Kirchner. „Der Bunte Kreis hat uns geholfen, daheim anzukommen und uns dort auch wohlzufühlen. Das erste Mal mit Baby zu Hause und dann noch mit einem kranken Baby – wir wussten ja nicht, wie das ist“, beschreibt die Mutter die schwierige Situation. Sie selbst hat eine Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin gemacht – der Umgang mit kranken Säuglingen ist ihr also vertraut. Doch beim eigenen Kind ist es anders. „Man hat viele Ängste und alles ist neu. Frau Toka hat meinen Mann und mich richtig abgeholt und uns auch noch mal ausführlich über Ninas Krankheitsbild informiert.“

Anfangs kam Barbara Toka mindestens einmal wöchentlich zum Hausbesuch, beurteilte Ninas Atemmuster und ihre Sauerstoffsättigung und beobachtete, wie die Eltern mit ihrer Tochter umgingen: Kommen sie mit dem Füttern und Wickeln trotz all der Beatmungsschläuche und -kabel gut zurecht? Kennen sie alle Medikamente und wissen, wie sie zu verabreichen sind? Verstehen sie die Werte auf dem Überwachungsmonitor? Wissen sie, wie sie Ninas Oberkörper lagern können, um ihr das Atmen zu erleichtern? Außerdem ging es der Pflegefachkraft darum, die Mutter zu entlasten, während ihr Mann arbeiten musste. „Wir haben zu zweit geübt, die Kabel der Heimbeatmung umzustecken, um dann mit der mobilen Sauerstoffversorgung das Haus verlassen zu können“, erklärt Barbara Toka. Sie begleitete Sarah Kirchner beispielsweise zu Arztterminen und ins Sozialpädiatrische Zentrum des Uniklinikums Erlangen, in dem Nina weiterbehandelt wird, und schrieb der jungen Frau eine Checkliste mit allen Dingen, die in die Notfalltasche für unterwegs gehören.

Auf den Notfall vorbereitet

Die Notfallschulungsbeauftragte des Bunten Kreises probte mit der Mutter für den Ernstfall und ging mit ihr alle Schritte durch, die sie unternehmen muss, wenn der Atem ihrer Tochter aussetzt oder ihre Sauerstoffsättigung dramatisch abfällt. Das beruhigte Sarah Kirchner, wenn sie tagsüber mit Nina allein war. Aber auch der Vater des Mädchens wurde einbezogen. „Die Eltern sind ein wirklich gutes Team“, so die Beobachtung von Barbara Toka. „Uns ist es immer wichtig, die Väter mit ins Boot zu holen, damit auch sie sicherer werden und die nötigen Handgriffe kennen.“

Schließlich stellte der Bunte Kreis auch den Kontakt zu einer Frühförderungsstelle und zur KoKi her – der Koordinationsstelle Frühe Hilfen. Letztere überbrückte die Zeit, bis der Pflegedienst einsatzbereit war. So konnte sich Barbara Toka nach und nach zurückziehen. „Zum Ende der Betreuung hatte die Familie viel Sicherheit im Umgang mit den medizinischen Geräten und beim Transport ihres Kindes. Speziell die Mutter konnte ihre Ängste in Schach halten und wurde Stück für Stück mobiler.“ Nina hat sich gut entwickelt und braucht heute nur noch nachts eine Atemunterstützung; ihre Mutter beschreibt sie als „aufgeweckt und neugierig“.

Erfahrungen weitergeben

Der Bunte Kreis und der Pflegedienst entlasteten Sarah Kirchner so gut, dass sie im Sommer 2022 ihre Kinderkrankenpflegeausbildung abschließen konnte. Im Januar 2023 möchte sie in der Neonatologie des Uniklinikums Erlangen anfangen. „Ich denke, ich kann in diesem Beruf unglaublich viel beitragen und bin Eltern mit Frühchen emotional besonders nah“, sagt die 28-Jährige. „Ich verstehe einfach, was die Paare durchmachen, ich kenne diese Ohnmacht. Aber ich kann ihnen vielleicht auch die Hoffnung auf ein glückliches Familienleben geben, eine Vision davon, wie es eines Tages sein kann, wenn das Schlimmste überstanden ist.“

Über den Bunten Kreis Erlangen

Bis zu drei Monate nach der Krankenhausentlassung eines Kindes ist das Nachsorgeteam für die Kinder und ihre Eltern da, ggf. kann auch verlängert werden. Der Bunte Kreis Erlangen ist in der Kinder- und Jugendklinik (Direktor: Prof. Dr. Joachim Wölfle) des Uniklinikums Erlangen untergebracht. Durchschnittlich 50 bis 60 Kinder werden parallel in Erlangen und in den Landkreisen Erlangen-Höchstadt und Forchheim betreut. Zwischen 2017 und 2022 hat das Team aus Pflegefachkräften, Fallmanagerinnen, einem Arzt und einer Sozialpädagogin insgesamt 250 Familien zu Hause besucht und knapp 200 Familien mit anderen wohnortnahen Nachsorgeeinrichtungen vernetzt. Das Team unterstützt u. a. bei der Pflege, der Medikamentengabe, der Ernährungsplanung, der Organisation des Alltags sowie bei allen Fragen rund um das Kind. So gelingt ein sanfter Übergang von der Klinik in die gewohnte Umgebung.

Neben Frühchen wie Nina begleitet der Bunte Kreis auch schwer und chronisch kranke Kinder bis 14 Jahre. Unter bestimmten Voraussetzungen haben sie nach einem längeren Krankenhausaufenthalt Anspruch auf eine Nachsorge. Diese wird entweder noch in der Klinik veranlasst oder später von einer Kinderärztin oder einem Kinderarzt verschrieben. Der Bunte Kreis hilft zudem, unterschiedliche Akteurinnen und Akteure miteinander zu vernetzen und weitere Hilfen anzubahnen – etwa bei sozialrechtlichen Fragen und weiterführenden Therapien. Um traumatische Erfahrungen während der Schwangerschaft oder der Geburt aufzufangen, vernetzt der Bunte Kreis die Eltern auf Wunsch mit einer Spezialsprechstunde für Mütter und Väter in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Johannes Kornhuber) des Uniklinikums Erlangen.

Einladung zum Festakt am 28. September 2022

Journalistinnen und Journalisten sind zum Festakt anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Bunten Kreises Erlangen herzlich eingeladen. Die Veranstaltung findet am Mittwoch, 28. September 2022, von 14.00 bis 17.00 Uhr in den Hörsälen Medizin im Ulmenweg 18 statt. Erlangens Oberbürgermeister Dr. Florian Janik, Prof. Dr. Heiko Reutter, Leiter der Neonatologie des Uniklinikum Erlangens, und Frank Morell, Vorsitzender der Lebenshilfe Erlangen e. V., werden Grußworte sprechen. Neben dem Bunten Kreis wird auch die Harl.e.kin-Nachsorge für Familien mit früh- oder risikogeborenen Kindern vorgestellt. Diese bietet die Kinder- und Jugendklinik (Direktor: Prof. Dr. Joachim Wölfle) des Uniklinikums Erlangen in Kooperation mit der Frühförderung der Lebenshilfe und der Kinderhilfe Erlangen an. Im Nachgang zum Festakt sind Interviews mit Dagmar Kußberger, Fallmanagerin und Koordinatorin des Bunten Kreises Erlangen, mit der Pflegefachkraft Barbara Toka und mit betreuten Eltern möglich. Um eine vorherige Anmeldung via E-Mail an presse(at)uk-erlangen.de wird gebeten.

Weitere Informationen:

Dagmar Kußberger

09131 85-41172

bunterkreis.kinder(at)uk-erlangen.de