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Alle für einen Kleinen

Alle für einen Kleinen

Felix überlebte, weil sich im Erlanger Perinatalzentrum ein großes interdisziplinäres Team des Frühchens annahm

Seit Juli 2021 gibt es in Erlangen eine eigene Professur für Neonatologie. „Nicht jedes Uniklinikum hat so etwas“, sagt Prof. Dr. Heiko Reutter, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Erlangen. „Das zeigt, welchen Stellenwert die Früh- und Neugeborenenmedizin bei uns hat und wo wir noch hinwollen.“ Der Fall des kleinen Felix aus dem Landkreis Roth zeigt, wie wichtig es ist, dass sich Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen in einem Perinatalzentrum vernetzen und nur das Wohl des Kindes und seiner Mutter im Blick haben. Dass Felix – der Glückliche – überleben würde, war zwischenzeitlich mehr Hoffnung als medizinische Gewissheit. Doch mit der Hilfe eines erfahrenen medizinischen Teams mobilisierte der Kleine noch einmal alle Kräfte – und ist heute fast sieben Monate alt.

„Das Universitäts-Perinatalzentrum Franken am Uniklinikum Erlangen betreut Schwangere wie Felix’ Mutter Nadine Steinlein vor und rund um die Geburt“, erklärt Prof. Dr. Matthias W. Beckmann, Direktor der Frauenklinik des Uniklinikums Erlangen und neben Prof. Reutter Sprecher des Perinatalzentrums. „Unser Zentrum umfasst unter anderem die Pränatalmedizin, die Geburtshilfe und die Neonatologie und hat Schnittstellen zu vielen weiteren Fachbereichen. Betreut werden schwangere Frauen aus ganz Nordbayern – und zwar auf Level-1-Niveau, also auf der höchsten universitären Versorgungsstufe.“

Eingriff im Mutterleib

Seinen ersten Eingriff hatte Felix, da war er noch nicht einmal geboren: Im Januar 2022 schob ein Oberarzt der Frauenklinik des Uniklinikums Erlangen eine Hohlnadel in Felix’ winziges schlagendes Herz, während der Fötus noch im Fruchtwasser seiner Mutter schwamm. Eine Einblutung zwischen Herzbeutel und -muskel des Kindes hinderte das Organ daran, sich richtig zusammenzuziehen und wieder auszudehnen. Die ultraschallgesteuerte Punktion durch die Bauchdecke der Mutter hindurch war nicht ohne Risiko. Doch Felix’ Herz brauchte dringend Entlastung; das Blut musste abgeleitet werden.

Um bestmöglich im Sinne des ungeborenen Kindes zu entscheiden, nutzte das Team des Erlanger Perinatalzentrums sein Netzwerk: „Modernste Universitätsmedizin bedeutet für mich, externe Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und im Ausland hinzuzuziehen, um für unsere Patientinnen und Patienten das Beste zu erreichen“, verdeutlicht Prof. Reutter. In Felix’ Fall waren im Vorfeld verschiedene deutsche Pränatalmedizinerinnen und -mediziner eingebunden. Gemeinsam stellten die Ärztinnen und Ärzte das gerissene Vorhofaneurysma (Aussackung des Herzvorhofs) und die Einblutung fest – eine Diagnose, die so selten ist, dass es dafür keine Häufigkeitsangaben gibt. Die entlastende Herzpunktion im Mutterleib gelang. Doch weil sich auch zwischen Lunge und Rippenfell des Kindes immer mehr Flüssigkeit sammelte und es zu ersticken drohte, punktierte Prof. Dr. Sven Kehl, Koordinator der Erlanger Geburtshilfe, Felix schließlich noch einmal – wieder innerhalb der Fruchtblase. „Wir hatten seine Mutter Nadine Steinlein ab der 25. Schwangerschaftswoche alle drei Tage zur Pränataldiagnostik bei uns, um den Gesundheitszustand von Felix engmaschig zu überwachen. Er verschlechterte sich zusehends“, berichtet Prof. Kehl. „Deshalb habe ich direkt nach der Punktion den Kaiserschnitt gemacht. Der war geplant und lief problemlos.“ Felix David Steinlein wurde am 10. Februar 2022 geboren – zwölf Wochen vor dem errechneten Termin.

Ein kurzer Blick

Kaum auf der Welt, nahm sich ein Oberarzt der Kinderherzchirurgischen Abteilung (Leiter: Prof. Dr. Oliver Dewald) Felix’ Bluterguss im Herzen an, beseitigte Gerinnsel und zähflüssiges Blut und nahm so den Druck vom Herzen des Säuglings. Mit nur 1.410 Gramm Körpergewicht und einer Größe von 36 Zentimetern wurde Felix auf die Intensivstation gebracht, künstlich beatmet und an Drainageschläuche angeschlossen, die weiterhin die Flüssigkeit aus seinem Körper schleusten. „Ich habe ihn nach der Entbindung kurz gestreichelt und ihn dann im Inkubator liegen sehen. Herausnehmen durfte ich ihn erst drei Wochen später“, erinnert sich Nadine Steinlein. Erst dann konnte sie endlich mit Felix „känguruhen“: ihn sich zum Kuscheln auf ihren Oberkörper legen, Herz an Herz. „Es war ergreifend und voller Liebe, machte mir aber auch Angst“, gesteht die 36-Jährige. „Angst, die Verbindung, die wir schon hatten, zu stärken, und dabei zu wissen, dass alles auch nicht gut ausgehen könnte.“

Dass Felix so massiv Wasser und Lymphflüssigkeit einlagerte, war höchstwahrscheinlich auch seiner schweren Grunderkrankung geschuldet: Der Junge hat Trisomie 21, das Downsyndrom. Nach seinem verfrühten Start ins Leben bekam er wenige Wochen später auch noch eine schwere Infektion. Außerdem konnte – wegen einer Fehlbildung des Enddarms – der Nahrungsbrei seinen Verdauungstrakt nicht normal passieren, und dem Säugling musste in der Kinderchirurgischen Abteilung (kommissarischer Leiter: Prof. Dr. Robert Grützmann) ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. „Als es ihm dann noch einmal dramatisch schlechter ging, habe ich den Eltern zu einer Nottaufe in der Klinik geraten“, rekapituliert Neonatologe Prof. Reutter. „Wir wollten der Familie nie irgendetwas versprechen, was wir nicht garantieren konnten. Aber wir haben Felix nie aufgegeben“, versichert der Frühgeborenenmediziner, der selbst vier Kinder hat.

Das Kind als Ganzes

Felix ist Nadine und Daniel Steinleins drittes Kind. Fünf Monate nach seiner turbulenten Geburt durften sie ihren Sohn endlich nach Hause zu seinen beiden älteren Geschwistern holen. Kinderärztinnen, -ärzte und Pflegekräfte erklärten den Eltern vor der Entlassung, worauf sie zu Hause achten müssen: welche Medikamente Felix bekommt, wie er schrittweise von der Sauerstoffunterstützung entwöhnt wird, wie es mit der Physiotherapie weitergeht, wie die Nachsorge im Sozialpädiatrischen Zentrum des Uniklinikums Erlangen abläuft und welche Nummer sie wählen sollen, wenn ihr Sohn apathisch wird oder nicht mehr trinkt. „Felix ist ein Kind, das die geballte Expertise unseres Level-1-Perinatalzentrums in Anspruch nehmen musste – aber zum Glück auch konnte, weil wir hier alles vereinen“, erklärt Prof. Reutter. Beteiligte sind etwa: Frauenklinik samt Pränataldiagnostik und spezieller Geburtshilfe, Kinder- und Jugendklinik mit Neonatologie, Kindergastroenterologie und Kindernephrologie, Kinderherzchirurgische, Kinderkardiologische und Kinderchirurgische Abteilung sowie das Humangenetische Institut. „Das Gute ist, dass hier alle auf das ganze Kind schauen und nicht nur auf ein einzelnes Organsystem“, betont Heiko Reutter.

Pflege: empathisch und anspruchsvoll

Besonders die Rolle der Pflegekräfte ist aus Sicht des Neonatologen hervorzuheben: „Ihre Arbeit erfordert extrem viel Erfahrung, Wissen und Empathie; sie ist anspruchsvoll und nah am ärztlichen Handeln. Eine Handbewegung kann bei fragilen Frühchen über Leben und Tod entscheiden, weil zum Beispiel die Sauerstoffsättigung schnell nach unten geht, wenn die Kleinen im Bettchen umgelagert werden.“ Pflegekräfte in der Neonatologie überwachen Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffzufuhr der Frühgeborenen, kontrollieren Magensonden, geben Infusionen, wechseln Verbände und leiten die Eltern im Umgang mit ihrem Kind an. Katrin Klein, stellvertretende Stationsleiterin der neonatologischen Intensivstation, die auch Felix begleitete, übt ihren Beruf seit fast 30 Jahren aus. Sie sagt: „Es ist immer wieder schön zu sehen, wie die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern wachsen. Felix war anfangs in einem sehr schlechten Allgemeinzustand. Wenn er jetzt lächelt, geht mir das Herz auf.“

Nach Monaten der täglichen Betreuung bedankte sich Nadine Steinlein zum Abschied beim gesamten Team: „Sie haben mehr gemacht als nur Ihre Arbeit. Sie waren alle toll.“ Die Arme auf Felix’ Gitterbettchen gestützt, blickte Prof. Reutter still auf seinen kleinen Patienten hinab. Im Vorgespräch hatte der Neonatologe gesagt: „Familie Steinlein und ich sind sehr verbunden. Aber Abschiede – darin bin ich ganz furchtbar.“

Informationen für werdende Eltern:

Universitäts-Perinatalzentrum Franken

www.perinatalzentrum.uk-erlangen.de

09131 85-34900

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Heiko Reutter

09131 85-33112

heiko.reutter(at)uk-erlangen.de