Neuer Ansatz bei Multipler Sklerose
Wie ein körpereigenes Schutzprotein Entzündungsprozesse abmildern kann
Das menschliche Gehirn gleicht einem Hochsicherheitsgebiet: Es wird durch eine dichte Barriere, die Blut-Hirn-Schranke, vor Krankheitserregern und anderen Einflüssen aus dem Körper und der Umwelt geschützt. Dieser Schutz wird jedoch durch einen Nachteil erkauft: Er erhöht die Empfindlichkeit des Zentralnervensystems (ZNS) gegen Krankheitsprozesse wie Entzündungen oder Infektionen. So sind auch Therapien, die das ZNS erreichen sollen, bei Autoimmunerkrankungen wie der Multiplen Sklerose durch die Blut-Hirn-Schranke eingeschränkt. In diesem Zusammenhang konnte in einer aktuellen Studie, die von Prof. Dr. Veit Rothhammer, stellvertretender Direktor der Neurologischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Schwab) des Uniklinikums Erlangen, geleitet wird, ein neuer Schlüsselfaktor identifiziert werden, der eine gezielte Behandlung von Entzündungsprozessen hinter der Blut-Hirn-Schranke ermöglichen könnte.
Bei Multipler Sklerose (MS) greift das Immunsystem irrtümlich körpereigene Nervenzellen und deren schützende Hüllen, die Myelinscheiden, an. Die Folgen können Lähmungserscheinungen und Gefühlsstörungen sein. Wie diese Entzündungsreaktionen im zentralen Nervensystem genau ablaufen, ist bis heute nicht vollständig verstanden. Was Forschende wissen, ist, dass eine regional begrenzte Entzündung früh im Krankheitsverlauf entsteht und diese durch die Interaktion von Immunzellen, die in das ZNS einwandern, mit ortsständigen Stützzellen, den sogenannten Gliazellen, unterhalten wird. Dies führt im Verlauf der Erkrankung zu einer schleichenden Verschlechterung neurologischer Symptome. Vor allem in späten Krankheitsstadien laufen diese Mechanismen hierbei hinter der dichten Blut-Hirn-Schranke ab, wodurch therapeutische Strategien aufgrund ihrer begrenzten Durchdringungsfähigkeit ins ZNS eingeschränkt werden. Diese Krankheitsprozesse zu entschlüsseln, ist somit entscheidend für die Entwicklung neuartiger Behandlungsstrategien für akute und langsam fortschreitende Entzündungsprozesse im ZNS.
Protein schützt Nerven- und Hüllzellen
In einer aktuellen Studie konnte Prof. Rothhammer mit seinen Kolleginnen und Kollegen nun mit dem Transforming growth factor alpha (TGF-α) einen Schlüsselfaktor für therapeutische Ansätze identifizieren. TGF-α ist ein Protein, das im ZNS produziert wird. Es stellt einen Regulator von Immun-Checkpoints dar – sowohl in Nerven- und Hüllzellen des ZNS als auch in Immunzellen, die fehlgeleitet dorthin eingewandert sind und das Gewebe schädigen. TGF-α kann hier das Überleben von Nervenzellen verbessern und zum Abklingen akuter wie chronischer Entzündungsreaktionen führen. Besonders vielversprechend: In der Studie wurde der Wachstumsfaktor im Tiermodell über die Nase verabreicht – eine schonende Methode, mit der TGF-α direkt ins ZNS gelangt und dort autoimmune Entzündungen und Nervenzellschäden abmildern kann.
Weiterführende Studien werden nun die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den Menschen bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose prüfen, um auf dieser Grundlage neue Therapieansätze entwickeln zu können.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Veit Rothhammer
09131 85-33001
veit.rothhammer(at)uk-erlangen.de