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Weltraumflüge: Knochen altern im Zeitraffer

Weltraumflüge: Knochen altern im Zeitraffer

Erlanger Forscherin untersucht Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf Skelett

Lange Aufenthalte im Weltall schädigen die Knochenstruktur zum Teil irreparabel und lassen Teile des Skeletts um bis zu zehn Jahre vorzeitig altern. Das hat eine Sportwissenschaftlerin des Universitätsklinikums Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) gemeinsam mit Forschenden aus Deutschland, Kanada und den USA nachgewiesen. Angepasste Trainingsprogramme in Verbindung mit medikamentöser Unterstützung könnten Astronautinnen und Astronauten auf künftigen Missionen besser schützen. Ihre Erkenntnisse, die auch für die Behandlung rheumatologischer Erkrankungen im klinischen Alltag genutzt werden sollen, haben die Forschenden im renommierten Wissenschaftsjournal Nature Scientific Reports veröffentlicht.

Fliegt der Mensch eines Tages zum Mars? Eine solche Mission wird seit Jahrzehnten diskutiert – und sie ist nicht nur abhängig von den technischen Voraussetzungen. „Wenn Menschen drei Jahre ununterbrochen im Weltall unterwegs sind, müssen wir auch die gesundheitlichen Belastungen im Blick haben“, sagt Dr. Anna-Maria Liphardt. „Das gilt bereits für heutige Flüge, bei denen Astronautinnen und Astronauten meist nicht länger als sechs Monate der Schwerelosigkeit ausgesetzt sind.“

Nach Flug: Knochen bis zu zehn Jahre gealtert

Dr. Liphardt ist Sportwissenschaftlerin, hat am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und an der Deutschen Sporthochschule Köln promoviert und erforscht am Universitätsklinikum Erlangen die Auswirkungen rheumatisch-entzündlicher Erkrankungen auf unser Skelett. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Kanada und den USA hat sie in einer Langzeitstudie untersucht, wie sich die Knochenstruktur im Weltall verändert und wie sie sich auf der Erde wieder erholt. 14 Männer und 3 Frauen wurden vor ihrem Start ins Weltall sowie sechs und zwölf Monate nach ihrer Rückkehr gecheckt: die Knochendichte und Stärke von Tibea und Radius, also des Schienbeins und der Speiche, wurden ebenso bestimmt wie die trabekuläre Mikrostruktur im Knocheninneren. Anhand von Biomarkern in Blut und Urin wurde außerdem der Knochenumsatz gemessen.

Die Ergebnisse sind besorgniserregend: Selbst zwölf Monate nach dem Flug hatten sich 9 von 17 Astronautinnen bzw. Astronauten nicht vollständig erholt und zeigten eine um bis zu zwei Prozent reduzierte Knochenstärke und -mineraldichte. „Das klingt nicht spektakulär, aber es entspricht einem altersbedingten Knochenverlust von mindestens einem Jahrzehnt“, erklärt Anna-Maria Liphardt. „Die Konsequenz ist, dass die Betroffenen mit deutlich früher beginnender Osteoporose und Anfälligkeit für Brüche rechnen müssen.“ Im Unterschied zur Alterung auf der Erde ist bei den Astronautinnen und Astronauten weniger die Knochenhülle, sondern vielmehr die innere Knochenstruktur betroffen. Einige der untersuchten Probandinnen und Probanden wiesen bereits irreparable Schädigungen der stäbchenförmigen Trabekel auf. Dr. Liphardt: „Wir konnten zeigen, dass die Regeneration umso schwieriger ist, je länger die Astronautinnen und Astronauten im Weltall waren.“

Training und Medikation müssen angepasst werden

Größere Regenerationsprobleme hatten auch jene Personen, bei denen vor dem Flug ein höherer Knochenumsatz festgestellt wurde. „Knochenumsatz bedeutet, dass Zellen abgebaut und wieder neu gebildet werden“, erklärt Anna-Maria Liphardt. „Menschen mit höherer körperlicher Aktivität haben einen höheren Knochenumsatz – die Schwierigkeit besteht darin, diese Aktivität während der Weltraummission aufrechtzuerhalten.“ Zwar gebe es auf der ISS verschiedene Angebote für sportliche Betätigung, vom Laufband über das Fahrradergometer bis hin zu Kraftübungen wie dem Kreuzheben. Entscheidend sei jedoch, das Trainingsprogramm während des Fluges besser an die individuellen Bedürfnisse anzupassen. Dr. Liphardt: „Es ist eine besondere Herausforderung, neue Geräte zu entwickeln, die in der Schwerelosigkeit funktionieren und wenig Platz beanspruchen.“

Profitieren könnten Astronautinnen und Astronauten auch von Medikamenten, wenn sie zusätzlich zur Bewegung während des Fluges eingenommen werden. Dazu zählen beispielsweise Bisphosphonate, die bereits erfolgreich zur Behandlung und Vorbeugung von Osteoporose zum Einsatz kommen, weil sie den Knochenabbau hemmen. „Bisphosphonate werden von der NASA bereits eingesetzt, allerdings weiß man noch zu wenig darüber, wie sie in der Mikrogravitation genau wirken“, erklärt Anna-Maria Liphardt. „Wir empfehlen, die Kombination aus medikamentöser Therapie und körperlichem Training weiter systematisch zu untersuchen.“

Erkenntnisse für medizinischen Alltag

Mit ihrer Studie liefern die Forschenden nicht nur Erkenntnisse für künftige Weltraummissionen. Muskel- und Knochenschwund infolge von Bewegungsmangel sind auch ein zentrales Problem bei chronischen Erkrankungen auf der Erde. „In der Rheumatologie ist nicht immer klar, welche Schäden durch die Entzündung und welche durch Immobilität verursacht werden“, sagt Dr. Liphardt. „Unsere Studie könnte deshalb auch den Grundstein für neue oder angepasste Therapien legen.“

Hilfreich wird dabei auch die neue Generation hochauflösender peripherer quantitativer Computertomografen (HR-pQCT) sein, die bei der Astronautenstudie zum Einsatz kam. Die Geräte sind in der Lage, die innere Knochenstruktur in hoher Auflösung direkt abzubilden. „Bei älteren Geräten wurde ein Algorithmus verwendet, um einzelne Parameter der Mikrostruktur aus dem erzeugten Bildmaterial zu berechnen“, erklärt Anna-Maria Liphardt. „Dabei kam es zu ungenauen Ergebnissen, vor allem bei trabekulären Knochenveränderungen.“ Seit einigen Monaten verfügt nun auch die Medizinische Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie (Direktor: Prof. Dr. med. univ. Georg Schett) des Universitätsklinikum Erlangen über ein solches HR-pQCT-Gerät der neuesten Generation – profitieren werden davon jedoch keine Astronautinnen und Astronauten, sondern Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems.

Zur Originalpublikation

Quelle: uni | mediendienst | forschung Nr. 38/2022

Weitere Informationen:

Dr. Anna-Maria Liphardt

09131 85-43206

anna-maria.liphardt(at)uk-erlangen.de