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Eisige Reserve

Wenn mit dem Krebs die eigene Fruchtbarkeit geht -- was junge Frauen vor einer Tumortherapie wissen sollten

Viele Krebstherapien sind nicht nur effektiv in der Bekämpfung von Tumorzellen, sondern greifen auch gesundes Gewebe an. Junge Frauen werden dadurch in den Zustand der Wechseljahre versetzt. Eine wirkungsvolle Methode, die Fruchtbarkeit nach einer Krebsbehandlung wiederzuerlangen, ist die Kryokonservierung und anschließende Transplantation von Eierstockgewebe.

„Sie haben ein Lymphom.“ Dieser Satz hat sich tief in das Gedächtnis von Nadine S. gegraben, denn er veränderte schlagartig das Leben der jungen Frau. Es war der 1. März 2010, an dem sie einen Termin bei ihrer Ärztin hatte und erfuhr, dass ihr schlechter Gesundheitszustand, die Bauchschmerzen, das Fieber, der geschwollene Lymphknoten und das gelegentlich starke Schwitzen in der Nacht auf Lymphdrüsenkrebs zurückzuführen waren. Nun gab es zwar eine Erklärung für ihre Beschwerden, aber die Diagnose warf gleichzeitig eine Fülle an Fragen auf: Werde ich wieder gesund? Muss ich eine Chemotherapie machen? Eine Frage brannte ihr besonders auf der Seele: Werde ich nach überstandener Therapie Kinder bekommen können? Obwohl Nadine S. erst Mitte 20 war, wusste sie, dass sie einmal Mutter sein möchte. „Trotz der Schockdiagnose habe ich die Ärztin sofort nach Möglichkeiten gefragt, wie meine Fruchtbarkeit erhalten bleiben kann“, sagt sie.

Familienversicherung

Damals gab es ein vielversprechendes neues Verfahren, das bereits kurze Zeit später die experimentelle Phase überwinden sollte: die Kryokonservierung von Ovarialgewebe. Dabei entnehmen Ärztinnen und Ärzte Eierstockgewebe mittels einer minimalinvasiven OP. Anschließend wird es bei -196°C schockgefroren und eingelagert, bis die Krebstherapie erfolgreich beendet ist und die Patientin einen konkreten Kinderwusch hat. Mit dem Einfrieren einzelner befruchteter oder auch unbefruchteter Eizellen hatten Forscherinnen und Forscher zuvor schon einige Erfahrung. „Aber für eine Entnahme müssen die Eizellen im Körper der Patientin erst heranreifen“, erklärt Prof. Dr. Ralf Dittrich, wissenschaftlicher Leiter der Reproduktionsmedizin der Erlanger Frauenklinik. „Die Methode der Kryokonservierung ist deshalb so gewinnbringend, weil vielen Frauen nach dem Erhalt der Krebsdiagnose keine Zeit für die Stimulation ihrer Eizellen bleibt. Gerade dann, wenn ein bösartiger Tumor fortgeschritten ist, muss zügig mit der Krebstherapie begonnen werden. Onkologinnen und Onkologen sollten junge Krebspatientinnen deshalb rechtzeitig auf die Möglichkeiten des Fruchtbarkeitserhalts hinweisen.“ Auch Nadine S. musste schnell handeln: Weil ihr Hodgkin-Lymphom bereits in einem fortgeschrittenen Stadium war, sollte sie nur acht Tage nach der Diagnose die erste intravenöse Chemotherapie bekommen. „Ich konnte die neue Situation kaum verarbeiten. Ich habe einfach funktioniert – auch für meine Familie und meine Freunde“, erinnert sich die gebürtige Hamburgerin. Ihre Ärztin hatte ihr von der neuen Methode der Kryokonservierung von Ovarialgewebe berichtet und für Nadine S. war sofort klar, dass sie es damit versuchen wollte. Noch vor der Chemo wurde ihr in einer Hamburger Klinik Eierstockgewebe minimalinvasiv entnommen und dort anschließend in flüssigem Stickstoff kryokonserviert.

Gerade dann, wenn ein bösartiger Tumor fortgeschritten ist, muss zügig mit der Krebstherapie begonnen werden. Onkologinnen und Onkologen sollten junge Krebspatientinnen deshalb rechtzeitig auf die Möglichkeiten des Fruchtbarkeitserhalts hinweisen.

Prof. Dr. Ralf Dittrich, wissenschaftlicher Leiter der Reproduktionsmedizin der Erlanger Frauenklinik

Glück gefunden

Sieben Jahre lang lag die Fruchtbarkeitsreserve auf Eis. Nachdem Nadine S. den harten Kampf gegen den Krebs gewonnen hatte, entschied sie sich gemeinsam mit ihrem Mann, ein Kind zu bekommen. Weil die Ärztinnen und Ärzte in der Frauenklinik des Uni-Klinikums Erlangen deutschlandweit die größte Erfahrung mit der Transplantation von kryokonserviertem Eierstockgewebe hatten, ließ sie sich dort 2017 bei Klinikdirektor Prof. Dr. Matthias W. Beckmann operieren und das Gewebe in die Beckenwand einpflanzen. Bereits wenige Monate nach dem Eingriff zeigten ihre Eierstöcke wieder Aktivität und erste reife Follikel waren nachweisbar. Es dauerte noch eine Weile, bis Nadine S. dann auf natürlichem Weg schwanger wurde. „Ich war so glücklich, dass es endlich geklappt hatte. Und das ganz ohne Hormontherapie oder künstliche Befruchtung“, erinnert sie sich. Kurz vor Weihnachten 2018 kam dann ihre Tochter zur Welt und das Familienglück war perfekt. „Wir haben der Patientin damals geraten, nur einen Teil des Eierstockgewebes zu transplantieren“, erklärt Prof. Beckmann. „Denn unsere langjährige Erfahrung mit der Methode zeigte uns, dass die hormonelle Aktivität der Eierstöcke mit der Zeit wieder nachlässt und die Fruchtbarkeit abnimmt.“ Das war auch bei Nadine S. der Fall. Deshalb ließ sich die heute 35-Jährige 2020 von Prof. Beckmann und seinem Team das übrige Eierstockgewebe transplantieren, um sich erneut den Kinderwunsch zu erfüllen. Auch beim zweiten Mal verlief alles optimal, und Nadine und ihr Mann bekamen im September 2021 eine weitere Tochter. Mit der Transplantation von kryokonserviertem Ovarialgewebe konnten die Erlanger Ärztinnen und Ärzte inzwischen bereits über 100 ehemaligen Krebspatientinnen dabei helfen, ihre Fruchtbarkeit zurückzugewinnen.

Die Kosten im Blick

■ Seit dem 1. Juli 2021 übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für das Einfrieren und Lagern von Eizellen und Spermien bei Krebspatientinnen und -patienten.

■ Die Kosten für die Kryokonservierung von Eierstockgewebe müssen Patientinnen weiterhin selbst tragen.

■ Die Behandlungskosten setzten sich wie folgt zusammen: ca. 800 Euro für die Gewebeentnahme, jährlich ca. 400 Euro für das Einfrieren und Lagern von Ovarialgewebe, ca. 1.500 Euro für die Transplantation.

Beratung zum Erhalt der Fruchtbarkeit bei Krebs

Text: Luise Laufer/Uni-Klinikum Erlangen; Bilder: Stilecht Photography; Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen. Zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Winter 2021/22