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Gesunde GefühleKörper und Seele bilden eine Einheit. Leidet die Psyche, kann das auch der Körper spüren.

Körper und Seele bilden eine Einheit. Leidet die Psyche, kann das auch der Körper spüren.

„Wenn sich Kinder an der Supermarktkasse schreiend auf den Boden werfen, soll es angeblich helfen, wenn sich Mama oder Papa schreiend daneben legen. Das Kind ist dann angeblich so irritiert, dass es aufhört“, berichtete kürzlich eine Kollegin und Mutter eines Dreijährigen. Sie habe diese Strategie bisher nicht ausprobiert. Mit den Gefühlen ist das so eine Sache: Oft überkommen sie uns und übernehmen regelrecht das Ruder unserer Reaktionen – in guten wie in schlechten Momenten. Doch anders als kleine Kinder haben wir gelernt, unsere Gefühle zu regulieren und sie nicht immer unkontrolliert und für alle sichtbar auszuleben. Vor allem negativ empfundene Emotionen wie Wut, Angst, Scham oder Neid versuchen Erwachsene vor anderen oft eher zu verbergen. Geschieht dies aber ununterbrochen und über lange Zeit, suchen sich die weggedrückten Gefühle eine neue Ausdrucksform in körperlichen Beschwerden. Der Bereich der Medizin, der sich mit den seelischen Einflüssen auf den Körper (und andersherum) beschäftigt, nennt sich Psychosomatik (griech. soma = Körper). „Schafft es jemand nicht, sich an eine stressige Lebenssituation anzupassen und gut mit ihr umzugehen, kann der psychische Konflikt in ein körperliches Symptom übergehen. Wir sprechen dann von Somatisierung“, erklärt Prof. Dr. (TR) Yesim Erim, Leiterin der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung des Uni-Klinikums Erlangen.

Der Körper als Sprachrohr

Alles, was wir denken, fühlen und erleben, beeinflusst unser Gehirn, unser vegetatives Nervensystem und damit auch unsere Körperprozesse. So lässt die Angst vor der Ärztin im Sprechzimmer den Blutdruck steigen; psychische Anspannung stimuliert Magen, Darm und Harntrakt und führt u. a. zu Durchfall, Übelkeit oder einer überaktiven Blase; ungesunde Beziehungen oder Traumata können sich z. B. in Nacken- oder Bauchschmerzen niederschlagen; Stress begünstigt juckende Haut, starkes Schwitzen und Haarausfall. Ist jemand über längere Zeit ängstlich, traurig oder einsam, kann das sein Immunsystem schwächen. „Unter psychischer Dauerbelastung schüttet der Körper das Stresshormon Cortisol und entzündungsfördernde Zytokine aus“, sagt Prof. Erim. „Betroffene können dadurch beispielsweise ein grippeähnliches Körpergefühl, Schlafstörungen oder eine verstärkte Schmerzwahrnehmung entwickeln. Auch der Umgang mit äußeren Reizen funktioniert dann schlechter, und die Menschen können Angst oder Unruhe nicht mehr regulieren“, weiß die Expertin. Diffuse Körperbeschwerden sind auch bei Depressionen zu beobachten. Andersherum kann das Immunsystem von Menschen, die freudvoll sind, mit anderen verbunden und dankbar, Krankheitserreger leichter abwehren und Beschwerden besser kurieren. „Schätzungsweise bei 20 bis 30 Prozent der Patientinnen und Patienten, die mit neurologischen, gastroenterologischen, dermatologischen, kardiologischen oder HNO-spezifischen Beschwerden wie Tinnitus oder Schwindel ärztlichen Rat suchen, sind psychische Faktoren ursächlich“, so Yesim Erim. „Wir müssen die Menschen viel stärker dafür sensibilisieren, was sie belastet, und ihnen klarmachen, dass sie das nicht einfach aushalten müssen.“

Unterdrückte Gefühle finden eine neue Ausdrucksform in körperlichen Beschwerden.

Der ganze Mensch in Therapie

Diese Wege zeigt die Psychotherapie auf. Sie stützt sich auf das biopsychosoziale Modell, das in den 1970er-Jahren maßgeblich von dem US-amerikanischen Psychiater George L. Engel verbreitet wurde. Demnach sind Körper, psychologische Faktoren und soziales Umfeld dicht miteinander verwoben. Und: Alle drei wirken auf die Entstehung von Krankheiten ein. Gefühle, wissenschaftlich Affekte genannt, sind ein zentraler Bestandteil der Psychotherapie. Menschen mit psychischen Störungen und psychosomatischen Beschwerden lernen in der Therapie, ihre Gefühle wahrzunehmen und zu regulieren. „Es führt allein schon zu einer seelischen Entlastung, Gefühle auszusprechen“, betont Yesim Erim. „Wobei es den meisten Menschen leichter fällt, zu sagen, dass sie ängstlich oder depressiv sind. Wut, Feindseligkeit oder Aggression drücken die wenigsten aus, weil solche Gefühle sozial verpönt sind. Dabei sind sie genauso wichtig. Wut auf jemanden zu haben, kann zum Beispiel ein Anstoß dafür sein, sich klarer von dieser Person abzugrenzen oder die eigene Beziehung zu ihr zu klären. Das täte beiden Seiten gut.“

War es früher üblich, nur nach einem psychotherapeutischen Konzept zu behandeln, nähern sich die verschiedenen Modelle heute immer mehr an. „Wir arbeiten verhaltenstherapeutisch und tiefenpsychologisch, aber auch mit nonverbalen Elementen – und das ambulant, teilstationär und stationär“, erklärt Prof. Erim. Wichtige Werkzeuge auf dem Weg zur psychischen Gesundheit sind Einzel- und Gruppengespräche, Psychoedukation, Bewegung, Entspannungsverfahren, Körper-, Tanz- und Kunsttherapie sowie Achtsamkeit. Zentrales Ziel für Patientinnen und Patienten ist es, ihre Aufmerksamkeit umzulenken. „Viele Menschen mit psychosomatischen Problemen fokussieren sich stark auf ihre körperlichen Symptome. Dabei sollten sie sich eher fragen, wie sie sich fühlen“, erklärt Yesim Erim. Manche Menschen haben ihrer Erfahrung nach aber nie gelernt, Gefühle zu benennen und auszudrücken. „Oder sie wurden als Kinder von den Eltern nicht beruhigt oder nicht ernst genommen. Das führt dazu, dass sie auch als Erwachsene nur schwer mit Emotionen umgehen können“, so Prof. Erim. Um sich Gefühle, Körperempfindungen und Reaktionen bewusst zu machen, hilft z. B. ein Tagebuch. „Am Ende sollen unsere Patientinnen und Patienten erkennen, dass sie ihr Leben aktiv – selbstwirksam – gestalten können und ihm nicht machtlos ausgeliefert sind“, sagt Yesim Erim. Weil immer auch das Beziehungsgeflecht eine Rolle spielt, investiert das Erlanger Team zudem viel Zeit in Angehörigengespräche. Unter der Leitung von Prof. Erim bietet auch das Klinikum Forchheim – Fränkische Schweiz in Ebermannstadt psychotherapeutische Behandlungen an.

Interview: Psychosomatische Beschwerden

Kontakt

Psychosomatische und Psychotherapeutische Abteilung

09131 85-34899

psychosomatik(at)uk-erlangen.de

www.psychosomatik.uk-erlangen.de

Biopsychosoziales Modell

Eine Frau steht beruflich sehr unter Druck (Arbeitswelt). Irgendwann bekommt sie starke Rückenschmerzen (körperliche Reaktion). Als diese nicht vergehen, macht sie sich große Sorgen (Gedanken/Gefühle). Statt sich wie früher öfter mit Freundinnen zu treffen, läuft die Frau nur noch von einer Arztpraxis zur nächsten (Verhalten). In ihrer Ehe reagiert sie immer öfter gereizt und es gibt vermehrt Streit (Verhalten); die Schmerzen werden stärker (körperliche Reaktion).

Kognitive Verhaltenstherapie (kVT)

Die kVT geht davon aus, dass sich Denken (Kognition), Fühlen und Handeln gegenseitig beeinflussen. In der Therapie werden neue Denkweisen erlernt, mit deren Hilfe Situationen anders bewertet werden können. Daraus sollen positive Gefühle resultieren, die wiederum neue Verhaltensweisen ermöglichen.

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Bei diesem Ansatz geht es darum, sich an zurückliegende Ereignisse zu erinnern, sie zu reflektieren bzw. noch einmal zu durchleben. Auf diese Weise soll die Patientin bzw. der Patient wiederkehrende Muster erkennen und verstehen, wo der Ursprung der aktuellen psychischen Probleme liegt.

Integrative Psychotherapie

Die Entwicklung geht seit einigen Jahren dahin, verschiedene psychotherapeutische Modelle zu einem integrativen Ansatz zusammenzuführen und für jede Patientin und jeden Patienten diejenigen Werkzeuge auszuwählen, die für sie oder ihn am gewinnbringendsten sind.

Text: Franziska Männel. Zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Herbst 2021