Ein Podcast, ein platter Reifen und ein MRT-Gerät auf 2.700 Metern Höhe. Das Ziel: modernste medizinische Versorgung für Menschen in infrastrukturschwachen Regionen. Von einem Traum, der Realität wurde

Die Straße schlängelt sich den Berg hinauf. Der Asphalt ist uneben, durchzogen von Schlaglöchern. Rechts ragt eine Felswand empor, links fällt der Hang steil ins Tal hinab – der Boden am Abgrund bröckelt. Das Auto, das soeben noch mühsam einen Höhenmeter nach dem nächsten bezwungen hat, steht plötzlich still: ein platter Reifen. „Was machen wir denn jetzt?“, fragen sich die Insassen ratlos. Die nächste Werkstatt? Kilometerweit entfernt. Stille. Dann sagt Dr. Christine Hauer entschlossen: „Na, wir packen jetzt an – und wechseln den Reifen selbst!“
Anpacken – unter diesem Leitsatz steht die Reise nach Peru, die Dr. Christine Hauer, Laura Schwarzfärber und Frederic Balling im Juni 2025 antreten. Die Mission der Oberärztin, der Medizinischen Technologin für Radiologie und des Auszubildenden des Uniklinikums Erlangen: Sie sollen während eines vierwöchigen Aufenthalts einen Magnetresonanztomografen in Betrieb nehmen. Und zwar nicht irgendeinen und nicht irgendwo: Es handelt sich um den MRT-Scanner Magnetom Free.Star – ein neuartiges, besonders kompaktes und intuitiv bedienbares Gerät, das speziell für infrastrukturschwache Regionen entwickelt wurde. Der Zielort: das Missionshospital Diospi Suyana in den peruanischen Anden auf 2.700 Metern Höhe.

Die Vision: mehr Gerechtigkeit
„Nur jeder zweite Mensch auf diesem Planeten hat Zugang zur MRT-Technologie – und damit zu einer Versorgung, wie sie die moderne Medizin eigentlich allen ermöglichen könnte“, erklärt Prof. Dr. Michael Uder, Direktor des Radiologischen Instituts des Uniklinikums Erlangen. Gemeinsam mit Dr. Stephan Biber und Dr. David Grodzki, beide Ingenieure bei der Siemens Healthineers AG, hatte er das neuartige MRT-Gerät entwickelt – eine Innovation, für die das Trio 2023 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet wurde. „Ein respektvolles Zusammenleben auf unserem Globus ist nicht möglich, solange wir vier Milliarden Menschen dauerhaft zur Nummer zwei machen“, sagt Prof. Uder. Für ihn und seine Kollegen war deshalb schnell klar, wofür sie das Preisgeld von 250.000 Euro verwenden wollten: für den Kauf eines Magnetom Free.Star, der anschließend an ein Krankenhaus in einer strukturschwachen Region gespendet und damit genau an dem Ort und für den Zweck eingesetzt werden sollte, für den er entwickelt wurde. „Natürlich kann ein einzelnes MRT das Problem globaler Ungleichheit nicht lösen – aber es ist einer von vielen Millionen Beiträgen, die notwendig sind, um die Welt gerechter zu machen“, erklärt Michael Uder.
Der Zufall kam per Podcast
Gesagt, getan. Doch wohin genau soll das Gerät entsandt werden? Bedarf gibt es in vielen Regionen der Welt – doch nicht jedes Krankenhaus kommt infrage. „Bestimmte Voraussetzungen müssen erfüllt sein“, erklärt Prof. Uder „Für den Betrieb des MRTs ist beispielsweise eine zuverlässige Stromversorgung zwingend erforderlich. Und auch das medizinische Personal vor Ort braucht ein gewisses Know-how, damit Patientinnen und Patienten von der Technologie profitieren können.“ Also folgte eine gründliche weltweite Recherche. Dass die Wahl schließlich auf das gemeinnützige Krankenhaus Diospi Suyana in der Andenstadt Curahuasi im Süden Perus fiel, war dem Zufall zu verdanken – und einem Podcast: „Mein Bruder stieß auf einen Audiobeitrag über das Diospi Suyana. Er war so begeistert von dieser Einrichtung, dass er den Kontakt zu Dr. Klaus-Dieter John herstellte, einem der Gründer des Krankenhauses“, erinnert sich Michael Uder. „Für Stefan Biber, David Grodzki und mich stand schnell fest: Unser Magnetom Free.Star soll genau an dieses Hospital gehen!“ Dank weiterer finanzieller Unterstützung durch die Siemens Healthineers AG, die Siemens AG und den Siemens Caring Hands e. V. konnte das MRT-Gerät schließlich im März 2025 auf ein Containerschiff verladen und auf die lange Reise nach Peru geschickt werden.
„Ein respektvolles Zusammenleben auf unserem Globus ist nicht möglich, solange wir vier Milliarden Menschen dauerhaft zur Nummer zwei machen“

Endlich angekommen
Ziegelrote Dächer zeichnen sich am Horizont ab. Vor dem Grün der umliegenden Felder leuchtet die weiße Fassade des Diospi Suyana Hospitals. Die Abenddämmerung hat bereits eingesetzt. Eine mehr als 24-stündige Reise liegt hinter Dr. Christine Hauer, Laura Schwarzfärber und Frederic Balling – nun sind sie endlich angekommen. Mitarbeitende der Klinik nehmen die drei in Empfang. Die Begrüßung ist herzlich, die Vorfreude auf beiden Seiten spürbar. „Wo steht das MRT?“, fragt Dr. Hauer stellvertretend für ihr Team. Kaum ist das Gepäck abgestellt, folgen sie dem Klinikpersonal ins Innere des Gebäudes.
„Den Scanner vor Ort zu sehen, war überwältigend“, erinnert sich Christine Hauer. Der mehrwöchige Transport der Hightech-Technologie – erst quer über den Atlantik und dann hinauf in eine Bergstadt mitten in den Anden – war schließlich kein leichtes Unterfangen. Ob die Fracht unbeschadet ankommen wird, blieb lange unklar. „Obwohl das Gerät unversehrt vor uns stand, konnten wir uns noch nicht sicher sein, dass es funktionieren wird. Die Technologie ist für einen Betrieb auf bis zu 3.000 Metern Höhe zugelassen. Curahuasi liegt auf 2.688 Metern, also nur knapp darunter“, fährt die Oberärztin fort. „Wir konnten nicht anders, als direkt nach unserer Ankunft den ersten Testlauf zu starten.“ Und tatsächlich: Das MRT funktionierte auf Anhieb.

Putzwagen raus, Magnetfeld an
Bereits vor dem Transport des Scanners war Prof. Uder und seinem Team klar, dass es nicht ausreichen würde, ihn einfach an das peruanische Krankenhaus zu übergeben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen erst im Umgang damit geschult werden. „Es gab im Diospi Suyana Hospital bisher zwar ein CT, aber kein MRT. Die Kernspintomografie war für die meisten neu“, fasst der Radiologe zusammen. Deshalb sollten Teams aus der Radiologie des Uniklinikums Erlangen das Gerät vor Ort in Betrieb nehmen und das Personal an die Technologie heranführen. „Das starke Magnetfeld des MRTs stellt im Klinikalltag besondere Anforderungen: Metallische Gegenstände dürfen unter keinen Umständen in den Raum gelangen – weder mit Absicht noch aus Versehen“, erklärt Christine Hauer. Konkret heißt das etwa: Putzutensilien aus Metall sind tabu. Schmuck muss vor Betreten des Raums abgelegt werden. Patientinnen und Patienten, die einen Herzschrittmacher haben, sind nicht geeignet.
Um das Personal optimal vorzubereiten, führte das Dreierteam um Dr. Hauer gleich zu Beginn Schulungen für alle Klinikmitarbeitenden durch – von den Putzkräften über die Pflegenden bis hin zu den Ärztinnen und Ärzten. Wer möchte, darf sich selbst einmal in die weiße Röhre legen, um zu erfahren, wie sich die Patientinnen und Patienten während der Behandlung fühlen werden. Die Schritt-für- Schritt-Anleitungen und Checklisten für den Umgang mit dem MRT, die Christine Hauer, Laura Schwarzfärber und Frederic Balling aus Deutschland mitgebracht und auf Spanisch übersetzt haben, entwickelten sie vor Ort gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Hospitals weiter: „Wir mussten plötzlich auch Sicherheitsaspekte bedenken, die in Europa keine Rolle spielen – etwa Tattoos mit metallhaltiger Farbe, die in Peru noch erlaubt sind“, nennt die Radiologin ein Beispiel. „Zusätzlich haben wir gemeinsam Erklärbilder fotografiert, die die Mitarbeitenden mit Erläuterungen in ihren eigenen Worten ergänzt haben“, sagt Dr. Hauer. „So entstand in enger Zusammenarbeit ein praxisnaher Leitfaden.“

Auf Augenhöhe in den Anden
Morgengrauen im Gebirge. Langsam erhebt sich die Sonne über den Bergketten. Vor dem Hospital hat sich eine lange Schlange gebildet – Männer, Frauen, Kinder. In Decken gehüllt trotzen sie der Kälte. Sie warten – und hoffen auf eine Untersuchung. Viele von ihnen sind aus den entlegensten Regionen des Landes angereist. Oft haben sie stundenlange Wege auf sich genommen, um hier zu sein Das Diospi Suyana Hospital ist auf die Versorgung der Quechua spezialisiert – einer indigenen Bevölkerungsgruppe, die im peruanischen Gesundheitssystem häufig benachteiligt ist. „Viele von ihnen sehen in dem Hospital einen Ort, an dem sie – anders als in anderen Krankenhäusern des Landes – mit Respekt und auf Augenhöhe behandelt werden“, erklärt Prof. Uder. „Deshalb nehmen sie so weite Wege in Kauf.“ Wer von den Wartenden im Laufe des Tages untersucht wird, entscheidet das Los – damit es so gerecht wie möglich zugeht. Nach der Auslosung zahlen die Patientinnen und Patienten vier Sol, umgerechnet etwa einen Euro, um Zugang zum Hospital zu erhalten. Die Kosten der medizinischen Versorgung tragen sie anteilig selbst – je nach Ergebnis ihrer Sozialanamnese. „Ich war einmal bei einem dieser Gespräche dabei. Dort wird zum Beispiel gefragt: Wo wohnst du? Wie viele Zimmer hast du? Ist dein Haus aus Lehm, Holz oder Stein?“, erinnert sich Christine Hauer. So gewinnen die Mitarbeitenden der Klinik einen Eindruck von der finanziellen Situation der Betroffenen. Kann sich jemand eine Untersuchung oder Behandlung nicht leisten, wird sie durch Spendengelder bezuschusst.
„Wir konnten innerhalb der ersten vier Wochen über 80 MRT-Untersuchungen begleiten. Darunter waren auch viele Patientinnen und Patienten mit Tumoren, die ohne die bildgebende Diagnostik nicht oder erst viel zu spät erkannt worden wären.“
Das war erst der Anfang
Nach monatelanger Vorbereitung in Deutschland, intensiven Schulungen und zahlreichen Testläufen vor Ort ist es schließlich soweit: Der erste Patient wird mit dem Magnetom Free.Star untersucht – ein junger Mann, der über Schmerzen im Knie klagt. „Den ersten Scan begleiten zu dürfen, war sehr berührend“, schwärmt Dr. Hauer. Das MRT bestätigte einen Muskelfaserriss, und dem Patienten konnte physiotherapeutisch geholfen werden. „Allein während unseres vierwöchigen Aufenthalts konnten wir über 80 MRT-Untersuchungen begleiten. Darunter waren auch viele Patientinnen und Patienten mit Tumoren, die ohne die bildgebende Diagnostik nicht oder erst viel zu spät erkannt worden wären“, berichtet die Radiologin. „So hatten die Betroffenen die Chance auf eine frühzeitige Behandlung.“
Vier Wochen später, kurz vor ihrer Abreise, blicken sie, Laura Schwarzfärber und Frederic Balling auf eine intensive Zeit zurück: „Die herzliche, wertschätzende Zusammenarbeit mit dem Team vor Ort und das ergebnisorientierte Arbeiten – das war unglaublich erfüllend. Wir hatten das Gefühl, wirklich etwas bewegen zu können. Ich reise mit vielen tollen Erinnerungen und einer großen Dankbarkeit für das Leben zurück.“ Damit übergab das erste Dreierteam das Projekt im Juli 2025 an die zweite Gruppe aus der Radiologie des Uniklinikums Erlangen: Der Arzt Dr. David Schinz und die Medizinische Technologin für Radiologie Andrea Mühl standen den peruanischen Kolleginnen und Kollegen weitere vier Wochen zur Seite. Doch auch danach soll der Kontakt nicht abreißen: Künftig werden Erlanger Expertinnen und Experten das südamerikanische Team telemedizinisch beraten, etwa bei der Befundung komplexer Fälle.
Für Prof. Uder, der im August 2025 gemeinsam mit Dr. Biber und Dr. Grodzki zur finalen Übergabe des MRTs nach Curahuasi reiste, ist die Unterstützung des Hospitals schon längst zu einer Herzensangelegenheit geworden. Auch er konnte sich der Atmosphäre vor Ort nicht entziehen: „Wir alle sind regelrecht infiziert von dieser ganz besonderen Stimmung!“ Deshalb steht für Michael Uder fest: Das Krankenhaus in den Anden soll auch bei der Beschaffung eines neuen CTs unterstützt werden. „Und ja“, sagt er mit einem Lächeln, „ich habe noch viele weitere Ideen für die Zukunft.“
Magnetom Free.Star – MRT neu gedacht
Mit einer reduzierten Magnetfeldstärke von 0,55 Tesla benötigt der Magnetom Free. Star nur minimale Mengen an Kühlmittel und stellt geringere Anforderungen an Stromversorgung und Gebäudeinfrastruktur als herkömmliche Modelle. Trotz der kompakten und leichteren Bauweise liefert das Gerät – dank KI-gestützter Bildrekonstruktion – hochauflösende Aufnahmen.
Herzensprojekt
Das Diospi Suyana Hospital wurde 2007 vom deutschen Ärztepaar Dr. Klaus-Dieter und Dr. Martina John gegründet und zählt heute zu den modernsten Kliniken in ganz Peru. Die christlich-humanitäre Einrichtung finanziert sich überwiegend über Spenden und wird von ehrenamtlichen Missionsärztinnen und -ärzten aus aller Welt unterstützt.
Text: Magdalena Högner/Uniklinikum Erlangen; Fotos: Andrea Mühl/Uniklinikum Erlangen, Laura Schwarzfärber/Uniklinikum Erlangen, Dr. Christine Hauer/Uniklinikum Erlangen, Diospi Suyana e. V; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Winter 2025








