Wie findet man passende Worte (und Taten), wenn einem die Krebsdiagnose eines nahestehenden Menschen die Sprache verschlägt? Psychologin Martina Madl gibt Empfehlungen und Hintergrundinformationen.
Frau Madl, was bedeutet eine Krebserkrankung für die Angehörigen und Freunde des Betroffenen?
Die Diagnose ist nicht nur für die Patientin oder den Patienten, sondern auch für das persönliche Umfeld der Erkrankten ein großer Einschnitt in das bisherige Leben und eine starke emotionale Belastung. Angehörige sind oft unsicher, wie sie sich verhalten sollen, haben Angst oder sind einfach überfordert. Das kann manchmal zu ungünstigen Aussagen führen.
Zum Beispiel?
Nehmen wir die Aufforderung „Du musst stark sein, kämpfen und positiv denken!“ – das kann für manche Erkrankte motivierend klingen, bei anderen hingegen baut es Druck auf. Denn überspitzt gesagt, könnte man heraushören: „Wenn du dich anstrengst und die richtige innere Einstellung hast, wird alles wieder gut. Du bist mitverantwortlich für den Verlauf deiner Krankheit.“
Sicher soll der Satz aber eigentlich nur unterstützend wirken.
Natürlich ist er gut gemeint. Solche Aussagen können jedoch auch dazu beitragen, dass sich die betroffene Person schlecht fühlt, wenn sie eben gerade nicht kämpfen kann und stattdessen traurig und geschwächt ist. Der Motor für solche Sätze ist oft die eigene Überforderung: Es ist für Angehörige schwer zu ertragen, nichts zu sagen oder zu tun und das Schicksal des nahestehenden Menschen einfach nur zu teilen; da zu sein, zuzuhören, es auszuhalten.
Es wäre ja aber auch nicht hilfreich, wenn die Patientin oder der Patient sich aufgibt.
Es ist sehr sinnvoll, wenn die betroffene Person etwas tut, um krankheitsbezogene Ängste zu bewältigen und Selbstwirksamkeit zu erleben. Das steigert ihre Lebensqualität. Aber es beeinflusst nicht den Verlauf der Krankheit, so wie es der Satz „Du musst kämpfen!“ suggeriert. In einer Studie von Greer et al. aus dem Jahr 1990 wurden Frauen kurz nach der Brustkrebsdiagnose befragt und in Gruppen mit unterschiedlicher Krankheitsverarbeitung eingeteilt: Kampfgeist, Verleugnung, stoische Akzeptanz und Hoffnungslosigkeit. Im Beobachtungszeitraum von 15 Jahren zeigte sich ein Überlebensvorteil für Patientinnen mit Kampfgeist und Verleugnung. Dies stand aber unter anderem in Verbindung mit einer besseren Prognose bei der Ersterkrankung und weniger körperlichen Beschwerden. Bislang gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, dass die Art der Krankheitsverarbeitung kausale Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf hat.
Aktivität fühlt sich vermutlich einfach besser an als Passivität.
Selbstverständlich sollte man der oder dem Erkrankten oder seiner Familie Unterstützung anbieten. Besser als „Melde dich, wenn du was brauchst“ sind hier konkrete Angebote. Eine Freundin könnte zum Beispiel sagen: Ich bringe dir am Sonntag einen Kuchen vorbei. Ich nehme euch die Kinder ab. Ich gehe einkaufen. Das setzt aber voraus, dass die erkrankte Person das auch annehmen möchte. Denn für sie kann es schwer sein, dauerhaft auf Unterstützung angewiesen zu sein und ihre Autonomie zu verlieren. Auch in Sachen Krebstherapie gilt: Der Patient entscheidet über das Was und Wie.
Wünsche sollten also respektiert werden, auch wenn sie vielleicht von den eigenen abweichen.
Auf jeden Fall. Beide Seiten sollten ihre Bedürfnisse ehrlich kommunizieren. Manchmal geraten besonders Lebenspartnerinnen oder -partner in einen regelrechten Aktionismus – selbst dann noch, wenn der baldige Tod des Angehörigen unausweichlich ist. Die meisten würden nach Lourdes fahren, um Heilwasser zu holen, oder zum Mond fliegen, wenn es dort Hilfe gäbe. Nichts tun zu können, ist schwer auszuhalten. Aktivität lenkt auch ab von dem Schmerz und der Traurigkeit, die eigentlich da sind.
Und was, wenn einen die Angst regelrecht lähmt?
Dann sollte man genau das kommunizieren: dass man sich hilflos, ängstlich und überfordert fühlt, nicht weiß, was man sagen soll. Die besten Voraussetzungen haben die Beziehungen, in denen es auch schon vor der Diagnose eine gute und offene Kommunikation gab, denn mit der schlimmen Nachricht lösen sich bestehende zwischenmenschliche Probleme nicht plötzlich auf.
Welche Schwierigkeiten kann es speziell in der Kommunikation geben?
Eine Krebsdiagnose ist eine enorme Herausforderung für alle. Ab Tag eins dreht sich plötzlich alles um die Krankheit; Angehörige nehmen sich oft zurück. Die Gedanken und Stimmungen der Betroffenen können sehr stark schwanken. Man sollte versuchen, das nicht zu persönlich zu nehmen. Wenn zum Beispiel ein Paar in Gesprächen gar nicht mehr zueinander findet, können wir Psychologinnen vermitteln und die zwei wieder in Kontakt bringen.
Wie gelingt Angehörigen die Balance zwischen der Fürsorge für den anderen und für sich selbst?
Manche Menschen tendieren dazu, sich komplett für andere aufzuopfern und darin aufzugehen. Andere spüren stärker das Bedürfnis, mal wieder etwas für sich zu tun. Diesem Wunsch dürfen und sollen sie nachgehen, wenn es der aktuelle Gesundheitszustand des Patienten zulässt. Denn jeder Tag im Leben des Kranken ist auch ein Tag im Leben des Angehörigen. Am Ende profitiert auch der Patient davon, wenn der Angehörige stabil bleibt.
Was raten Sie speziell den Freundinnen und Freunden von Krebskranken?
Ich beobachte häufiger, dass Freundschaften sich durch die Diagnose verändern. Manche driften auseinander, andere rücken enger zusammen oder es entstehen plötzlich stärkere Verbindungen zu Menschen, denen man vorher gar nicht so nah war. Ich rate dazu, sich als Freundin immer wieder mal zu melden und nicht so schnell aufzugeben – auch wenn vielleicht keine Antwort zurückkommt. Vielleicht hat die Patientin gerade nicht die Kraft, zu reagieren, fühlt sich durch die Nachricht aber trotzdem unterstützt. Manche Betroffene eröffnen auch Chatgruppen, um nicht alles mehrmals berichten zu müssen. Wie alles in der Kommunikation zwischen Krebspatienten und Angehörigen ist auch das sehr individuell.
„Jeder Tag im Leben des Kranken ist auch ein Tag im Leben des Angehörigen.“
Martina Madl
Text: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen; Fotos: Endenthum Foto- & Videografie, bialasiewicz/123RF; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Sommer 2023
Info
Unterstützung finden Angehörige u. a. bei der Krebsberatung der Bayerischen Krebsgesellschaft, bei Psychoonkologinnen und -onkologen, in Selbsthilfegruppen und bei der kostenlosen Krebsberatung des Comprehensive Cancer Center Erlangen-EMN unter 0800 85 100 85 oder www.uker.de/ccc-krebsberatung.
Für Patienten und Angehörige
Der Psychoonkologische Dienst ist eine Einheit der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung unter Leitung von Prof. Dr. (TR) Yesim Erim. Er unterstützt Krebspatientinnen und -patienten des Uniklinikums Erlangen bei der Krankheitsbewältigung. Neben zehn Psychoonkologinnen und -onkologen, die Einzel-, Paar- und Familiengespräche anbieten, beschäftigt sich Dr. Marietta Lieb als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit psychoonkologischen Projekten.
An der Krankheit wachsen
Auf eine schwere (gesundheitliche) Krise kann das sogenannte posttraumatische Wachstum folgen: Manche Menschen gehen gestärkt aus dieser Erfahrung hervor, ändern ihre Prioritäten und ihr Leben komplett. „Für manche Menschen ist das ein guter Weg – dies muss aber nicht zwangsläufig bei allen so sein“, sagt Martina Madl. Fest steht, dass das Leben nach überstandener Krankheit nicht mehr so ist wie vorher. „Solche Erfahrungen prägen uns und hinterlassen Spuren. Das müssen auch die Angehörigen akzeptieren.“