Sie sind Begleiterinnen und Seelentrösterinnen, kreative Ideengeberinnen, Eventmanagerinnen, Spielpartnerinnen und noch viel mehr: Die Erzieherinnen der Kinderklinik ermöglichen heilsame Erfahrungen abseits der Medizin.

Manchmal ist der Weg durch eine Krankheit von Luftballons gesäumt. Links und rechts des Pfades leuchten sie bunt, fangen die Aufmerksamkeit ein und lassen kurz vergessen, wie weit es vielleicht noch ist. Oft sind es die Luftballons, an die sich ein krankes Kind Jahre später erinnert. Der Spaß, das Lachen, die positive Überraschung. Erst dann kommen Gedanken an medizinische Behandlungen und an negative Gefühle. „Ich hatte vor vielen Jahren einen onkologischen Patienten – damals zwölf Jahre alt. Vor drei Jahren kam er wieder hier vorbei, mittlerweile erwachsen“, erzählt Erzieherin Marion Müller. „Ich habe ihn gefragt: ‚Was weißt du noch von damals?‘ Er erinnerte sich an drei Dinge. Zuerst an einen Zauberer. Dann daran, dass wir mit großer Begeisterung zusammen immer die Fernseher in den anderen Zimmern ausgeschaltet haben, nachdem wir herausgefunden hatten, wie das geht: durch die Glasscheiben oben zwischen den Zimmern. Das war die Obergaudi! Und er wusste noch, dass er als ambulanter Patient mit nach Nürnberg zum Club fahren durfte und dort winkend mit seinem Freund über die Aschenbahn gelaufen ist.“

Marion Müller leitet ein vierköpfiges Erzieherinnenteam. Seit 1988 ist die Kinder- und Jugendklinik ihr Arbeitsplatz. „Es ist nicht die typische Erzieherinnentätigkeit, die wir hier in der Klinik machen“, stellt sie klar. „Unser Hauptziel ist es, die Patientinnen und Patienten und deren Familien gut durch die oft schwierige Krankenhaussituation zu begleiten, und dafür ist es wichtig, sehr schnell Vertrauen aufzubauen.“ Ihre Kollegin Iris Hoseus fügt hinzu: „Das ist ganz anders als zum Beispiel in der Kita, wo die Pädagoginnen viel mehr Zeit haben, eine Beziehung aufzubauen.“ Über 20 Jahre lang war Iris Hoseus Erzieherin in verschiedenen Einrichtungen, bevor sie im Frühjahr 2023 ans Uniklinikum kam. Hier gehe es jetzt darum, die Vorlieben der Kinder schnell zu ergründen. „Bei vierjährigen Mädels tippe ich in 98 Prozent der Fälle auf Einhörner“, sagt sie lachend. „Aber es kann auch sein, dass ein Koala-Bild am Bett hängt – und schon habe ich einen Anknüpfungspunkt.“

Motorräder und Glitzerherzen

Jakob liebt alles, was mit der Feuerwehr zu tun hat. Seit Ende 2020 lebt der heute Fünfjährige mit einem Kunstherz – einem ca. 15 Kilo schweren mobilen Unterstützungssystem, das ihm überallhin folgt. So lange, bis ein passendes Spenderherz für ihn gefunden wird. „Wir sind speziell geschult und besonders aufmerksam, was das Gerät betrifft“, sagt Marion Müller. Heute hat sie den herzkranken Jungen und alle anderen Patientinnen und Patienten zu einem Bastelnachmittag ins Foyer der Kinderklinik eingeladen. Jakob und sein kleiner Bruder Paul, der gerade zu Besuch ist, malen schon eifrig Motorräder aus; ihre Mutter hilft ihnen dabei, die großen, dicken Buntstifte zu führen. Als Jakob seinem Bruder gerade einen Wiedersehensschmatzer auf den Mund drückt, entdeckt Iris Hoseus die beiden: „Na, hallo ihr zwei. Lern ich dich auch endlich mal kennen, Paul – ich kenn dich ja bisher nur von Erzählungen“, sagt sie freundlich und setzt sich zu den Kindern. Währenddessen erklärt Marion Müller am anderen Ende des Tisches: „Heute dreht sich alles um die Zahl 30, weil wir am 4. Mai ja den 30. Toy-Run-Tag hier bei uns haben. Ihr könnt eine Girlande basteln oder eine Fahne gestalten, malen, stempeln, oder ihr klebt Blumen oder Zahlen auf.“ Die achtjährige Mina sitzt barfuß auf einer der Bierbänke, ein Bein aufgestellt, den Kopf auf dem Knie. Um sich vor Infektionen zu schützen, trägt sie einen bunt bedruckten Mundschutz. Suchend blickt sie über den Tisch voller Stifte, Sticker und Schnipsel – bis ihr Blick auf ein Döschen mit roten Glitzerherzen fällt. Die sollen es sein! Mina beginnt, sie konzentriert auf eine große Drei aus Folie zu kleben, die später mit einer ebenso farbenfrohen Null die Jubiläumszahl bilden wird. „Der Toy Run ist unser jährliches Highlight“, betont Marion Müller. „An diesem Tag besuchen hunderte Biker und Bikerinnen auf ihren Motorrädern die Kinderklinik und bringen Geldspenden und Geschenke mit. Es gibt Spiele und Livemusik, und alle, die im Bett bleiben müssen, werden von den Bikern auf Station besucht und beschenkt.“

Raus aus dem Patientenzimmer

Zwei Tage nach der Bastelaktion treffen sich alle, die Lust haben und sich fit genug fühlen, mit Iris Hoseus im Gruppenzimmer. Hier wird von Montag bis Freitag gespielt, gebaut und kreativ gestaltet. Auch die dreijährige Ella ist heute dabei. Seit einem Jahr hat sie Epilepsie. „Heute Nacht ging es wieder los und morgens hatte sie schon mehrere Anfälle“, berichtet ihre Mutter, die bei ihrer Tochter auf Station schläft und sehr müde aussieht. „Sie kriegt jetzt andere Medikamente und muss so lange bleiben, bis es besser ist.“ Dass Ella heute mit Jakob, Paul und Anasthasia im Gruppenzimmer sein darf, ist nicht selbstverständlich. „Sie wird von den Medikamenten immer etwas benommen, aber der Arzt hat gesagt, sie soll mal raus – im Zimmer kriegt sie einen Koller“, so die Mutter. Die Kinder entscheiden sich für eine Runde UNO Extreme mit Iris Hoseus: Hat man Glück, passiert nichts. Hat man Pech, spuckt die „Zufallsschleuder“ auf Knopfdruck eine ganze Flut von Karten aus. Als genau das bei Ella passiert, wirft sie ihren Kopf in den Nacken, lacht laut auf und steckt damit alle anderen am Tisch an. Die Erzieherin hilft der Kleinen, alle Karten einzusammeln und sagt: „Wir geben den Kindern hier ein bisschen Normalität und Lebensfreude, unter anderem im Spiel. Hier können sie auch mal Zeit ohne die Eltern verbringen, sich mit uns oder mit Gleichaltrigen austauschen. Auch die Geschwister sind hier willkommen.“ Weiter geht es mit dem Spiel Kroko Doc: Wer traut sich, dem Krokodil ins Maul zu greifen, um seinen kranken Zahn zu finden? Vorsicht: Es kann jederzeit zuschnappen! Voller Spannung geht es reihum, Zahn für Zahn wird heruntergedrückt und die Kinder rutschen feixend auf ihren Stühlen herum, wenn Kroko sie einmal mehr verschont hat. Vertrauensvoll legt jetzt der zweijährige Paul seinen Finger auf den von Iris Hoseus – sie soll den nächsten Zahn drücken. Gemeinschaftliches Augenzusammenkneifen. Uff – geschafft, nichts passiert!

Kleine Auszeit für die Eltern

Doch nicht immer geht es so schnell wie bei Geschwisterkind Paul. Manchmal ist das Eis dick und es dauert, bis die jungen Patientinnen und Patienten auftauen. „Wenn ich in ein Zimmer komme und jemand ganz verschlossen mit seinem Bärchen dasitzt, spreche ich vielleicht erst mal das Kuscheltier an und erst später das Kind“, verrät Iris Hoseus. „Alles, was wir anbieten, bleibt freiwillig”, unterstreicht Marion Müller. „Aber ein gut gelauntes Kind, das sich wohlfühlt, lässt sich eher auf medizinische Behandlungen ein.“

Einige Patientinnen und Patienten sehen die vier Erzieherinnen über Jahre immer wieder – etwa, weil sie chronische Erkrankungen haben oder eine fortlaufende Krebstherapie brauchen. Betreut werden alle – vom Kleinkind über die Teenagerin bis zum jungen Erwachsenen, Kinder mit und ohne Behinderung, gut therapierbare und sehr schwere Erkrankungen. Zur letzten Gruppe gehört auch Helena. Die Zehnjährige wird seit drei Jahren in Erlangen behandelt. Wegen eines Darmverschlusses erlitt das Mädchen bereits als Kleinkind ein Multiorganversagen, was ihre Nieren bleibend schädigte. Ein Transplantationsversuch scheiterte, fast wäre sie gestorben. Bis heute ist Helena dialysepflichtig. Dreimal wöchentlich – für je vier Stunden – wird ihr Blut maschinell gereinigt. Marion Müller kommt dann vorbei, um „Lenchen“, wie sie sie nennt, die Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten. „Ob bauen, puzzeln oder ,Ich seh was, was du nicht siehst‘ mit den anderen Dialysepatienten – uns fällt immer was Neues ein“, sagt die leitende Erzieherin. Helenas Lieblingsbeschäftigung ist Lego. Deshalb bringt Marion Müller ihr heute ein neues Set vorbei und baut mit ihr zusammen. „Sie freut sich immer sehr, wenn jemand kommt, denn nach einer gewissen Zeit wird es langweilig. Das Erzieherinnenteam ist deshalb Gold wert“, sagt Helenas Vater Gerald H. „Und wir Eltern können auch mal weg – auf einen Cappuccino oder einen Gang in den Botanischen Garten. Es bräuchte viel mehr solche Leute. Um das alles zu finanzieren, gibt es ja zum Beispiel den Toy Run e. V. Wir spenden jedes Jahr, auch wenn wir es nie in dem Maß zurückzahlen können, wie uns hier geholfen wird.“

Fünf Minuten Freude

Junge Patientinnen und Patienten, die ins Krankenhaus müssen, sind oft ängstlich, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. „Unser ärztliches und pflegerisches Team leistet tolle Arbeit, aber manche Untersuchungen oder Therapien sind natürlich trotzdem unangenehm“, sagt Marion Müller. „Bei uns Erzieherinnen können sich die Kinder und Jugendlichen ,sicher‘ fühlen. Wir tragen keine weißen Kittel, sondern orange – wir piksen nicht.“

Haben die Jungen und Mädchen erst Vertrauen gefasst, sprechen sie mit den Erzieherinnen häufig sogar offener als mit ihren Eltern – gerade bei ernsten Diagnosen. Mama und Papa werden von den Kindern geschützt. In ihrer Rolle als Vermittlerin bricht Marion Müller auch mal eine Lanze für ihre Patienten: „Wenn sich jemand nicht traut, dem medizinischen Personal zu sagen, dass sie oder er etwas ganz doof findet, dann mache ich das.“

Sie sei gerade eine Woche am Uniklinikum gewesen, da habe sie ein Schlüsselerlebnis gehabt, erinnert sich Iris Hoseus. Sie betrat das Zimmer eines schwer kranken Jungen. „Ich habe ein bisschen Spaß mit ihm gemacht und er hat dabei so herzhaft gelacht“, berichtet sie. „Seine Mama hatte Tränen in den Augen. ,Sie sind jetzt nach einer Woche die Erste, bei der er wieder lacht‘, hat sie gesagt. Da habe ich verstanden: Auch fünf Minuten Lachen zu schenken, ist enorm wichtig für die Lebensqualität. Das hat mich sehr bewegt.“ Ein anderer palliativer Patient wünschte sich von Marion Müller einmal unbedingt eine ganz spezielle Lego-Eisenbahn. „Ich habe sie ihm besorgt, und am Abend hat er erst mit mir und dann mit seinem Papa daran gebaut – stundenlang.“

Text und Fotos: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Sommer 2024