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Time is Brain

Noch immer warten manche Menschen bei akuten neurologischen Symptomen zu lange ab, obwohl sie direkt den Notruf wählen sollten. Doch bei Verdacht auf einen Schlaganfall zählt jede Minute.

„Legen Sie sich nicht noch mal schlafen, wenn Sie plötzlich Seh-, Sprach- oder Gleichgewichtsstörungen an sich beobachten oder Lähmungen feststellen“, sagt der Neurologe und geschäftsführende Oberarzt PD Dr. Stefan Gerner. „Wählen Sie bei diesen Schlaganfallanzeichen die 112 – und zwar lieber einmal zu viel!“ Time is Brain (Zeit ist Gehirn) – so lautet die bewährte Notfall-Formel. Denn mit jeder Minute, in der ein Schlaganfall nicht behandelt wird, sterben Nervenzellen ab und es steigt das Risiko dafür, dass Sprechen, Sehen, Denken und Bewegen langfristig beeinträchtigt bleiben. „Wir sprechen von der Golden Hour. Das ist die erste Stunde nach dem Schlaganfall. Wird in diesem Zeitfenster eine Therapie begonnen, hat die Patientin oder der Patient langfristig die besten Aussichten“, sagt Stefan Gerner, der die Stroke-Unit – eine spezielle Schlaganfall-Station – in der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen leitet. Knapp 1.500 Betroffene werden hier jährlich behandelt.

Schnell sein – FAST anwenden

Mit dem FAST-Test – Face, Arms, Speech, Time – lässt sich zügig abklären, ob es typische Schlaganfallanzeichen gibt (s. Kasten). „Den Test führt üblicherweise der Rettungsdienst durch“, erklärt Dr. Gerner. „Man kann ihn prinzipiell auch zu Hause bei einem Angehörigen machen, dafür gibt es sogar verschiedene Apps. Ich muss aber sagen: Bei einem akuten neurologischen Symptom am besten gleich den Rettungsdienst rufen. Der Schlaganfall ist ein sehr zeitkritisches Krankheitsbild und die oder der Betroffene muss schnell in eine Klinik gebracht werden.“ Prof. Dr. Bernd Kallmünzer, leitender Oberarzt der Neurologie, fügt hinzu: „Entgegen der landläufigen Meinung sind die meisten Schlaganfälle schmerzlos, im Gegensatz zum akuten Herzinfarkt. Deshalb wird der Schlaganfall oft unterschätzt.“ Eine bestimmte Art der Hirnblutung, eine Form des Schlaganfalls, verursache zwar durchaus starke Kopfschmerzen, sei aber eher selten.

„Das Team unserer neurologischen Notaufnahme ist auf Schlaganfälle optimal vorbereitet. Es arbeitet in so einem Fall nach einem strikten, effizienten Schema“, erklärt Prof. Kallmünzer. Zuerst müsse der Schlaganfallverdacht durch eine neurologische Untersuchung bestätigt werden. Ist das erledigt, folgt meist eine Computertomografie (CT). Sie zeigt, welcher Patientengruppe die oder der Betroffene angehört: Handelt es sich um einen ischämischen Schlaganfall – also ein Blutgerinnsel, das die Durchblutung des Gehirns und damit seine Sauerstoffzufuhr unterbricht? Oder ist stattdessen ein Hirngefäß gerissen und verursacht eine Blutung? „Diese Unterscheidung treffen wir mittels CT. In 80 Prozent der Fälle ist es ein Gefäßverschluss“, erläutert Bernd Kallmünzer, und Dr. Gerner ergänzt: „Mit einer Thrombolysetherapie lösen wir das Gerinnsel im Gehirn medikamentös auf. Weil diese Behandlung aber stark gerinnungshemmend wirkt, müssen wir vorher in jedem Fall eine Blutung ausschließen.“ Ergänzend zu den Medikamenten verwenden Neuroradiologinnen und -radiologen meist auch noch einen Drahtkatheter, den sie durch die Hirngefäße bis zum Gerinnsel vorschieben, um es dann zu entfernen. Das Verfahren heißt Thrombektomie. Wann immer möglich, werden Thrombolyse und Thrombektomie heute kombiniert.

Mehrere Tage unter Beobachtung

Bei einem schweren Schlaganfall, etwa wenn ein Patient eine Bewusstseinsstörung zeigt oder eine Hirnblutung hat, wird er auf die Neuro-Intensivstation gebracht, wo er auch beatmet werden kann. Andernfalls bleibt er für zwei bis vier Tage auf der Stroke-Unit. Dort forschen die Ärztinnen und Ärzte nach der Ursache und den Begleiterkrankungen des Schlaganfalls: Müssen Cholesterin, Blutzucker oder Blutdruck medikamentös eingestellt werden? Besteht ein akutes Risiko für das Herz? Gibt es zum Beispiel eine Gefäßengstelle, die operativ versorgt werden muss? „Wir überwachen die Patientinnen und Patienten sehr engmaschig“, betont Dr. Gerner. „Sie sind an ein EKG angeschlossen und alle sechs Stunden führen wir eine klinisch-neurologische Untersuchung durch, weil das Risiko besteht, dass ein erneuter Schlaganfall auftritt oder dass es den Betroffenen schlechter geht. Häufig sehen wir auch Infektionen, Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkte infolge eines Schlaganfalls.“

14 Bettplätze gibt es auf der Stroke-Unit, rund um die Uhr ist eine Ärztin oder ein Arzt anwesend. Ein eingespieltes Team aus den Bereichen Neurologie sowie u. a. Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie kümmert sich dort um die Betroffenen. „Alles läuft sehr strukturiert ab“, betont Dr. Gerner. Dazu stimmt sich seine Station auch eng mit der Neuroradiologie, der Kardiologie, der Gefäßchirurgie und anderen Disziplinen ab. „Manche Patientinnen und Patienten erholen sich schon ein paar Stunden nach der Thrombolyse, bei anderen kann eine monatelange Reha notwendig sein“, erläutert Prof. Kallmünzer. Wichtig ist dem Erlanger Team, dass sehr früh mit einer Mobilisation und Neuro-Rehabilitation begonnen wird. Schon am ersten Tag nach Schlaganfall erfolgt ein Screening auf der Stroke-Unit: Mit dem Physio-, Ergo- und Logopädieteam werden Gehen und Standsicherheit trainiert, es gibt Kraftübungen, Finger- und Feinmotorik- sowie Sprechtraining. Das alles wird dann in einer anschließenden stationären Reha oder bei ambulanten Therapeutinnen und Therapeuten fortgeführt.

Roter Bus weckt Aufmerksamkeit

„Wir wollen ein stärkeres Bewusstsein für den Schlaganfall schaffen: Wie beuge ich vor, wie senke ich mein kardiovaskuläres Risiko, was tue ich im Ernstfall?“, sagt Stefan Gerner. Deshalb nehmen Ärztinnen und Ärzte aus den Bereichen Neurologie, Kardiologie, Anästhesiologie und Gastroenterologie jährlich an der Aktion „Herzenssache Lebenszeit“ teil und klären die Bevölkerung im „Schlaganfallbus“ über präventive Maßnahmen auf. Je mehr Grunderkrankungen vorliegen, umso wahrscheinlicher wird ein Schlaganfall. Nur unter Diabetes zu leiden, ist also weniger gefährlich, als zusätzlich noch Bluthochdruck, Übergewicht und hohe Blutfettwerte zu haben. Der Lebensstil ist eine Stellschraube, an der jeder drehen kann. „Vor allem mit zunehmendem Alter sollte man das tun, denn je älter ein Mensch, umso größer sein Schlaganfallrisiko“, so Prof. Kallmünzer. Alle Patientinnen und Patienten bzw. deren Angehörige erhalten auf der Erlanger Stroke-Unit umfangreiche Hinweise zur Prävention und weiteren Therapie. „Am wichtigsten bleibt dabei das Arzt-Patienten-Gespräch, in dem wir immer auf den Einzelfall eingehen können“, sagt Prof. Kallmünzer. „Vorhofflimmern zum Beispiel erhöht das Risiko für einen Schlaganfall deutlich. Das muss man wissen und sich entsprechend mit Blutverdünnern einstellen lassen. Auch eine verengte Halsschlagader ist ein solcher beeinflussbarer Risikofaktor.“ Dr. Gerner ergänzt: „Eine mediterrane Ernährung, Bewegung, Gewichtsreduktion und der Verzicht aufs Rauchen schützen. 70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar.“

5 Buchstaben – ein Ziel: STENO

Jeder Mensch, der einen Schlaganfall erleidet, sollte schnellstmöglich Hilfe erhalten – egal, ob er in der Stadt nahe einem großen Krankenhaus lebt oder auf dem Land. Um auch Patientinnen und Patienten in ländlicheren Regionen wohnortnah versorgen zu können, gibt es seit 2007 das Schlaganfallnetzwerk mit Telemedizin in Nordbayern (STENO). Mittlerweile gehören 23 Kliniken dazu. Das Uniklinikum Erlangen und die Klinika Nürnberg und Bayreuth sind überregionale Stroke-Units und Beratungszentren für die anderen Partnerkliniken: Mit ihrem Know-how unterstützen sie kleinere Häuser, die zum Beispiel keine eigene Neurologie haben – und zwar telemedizinisch. STENO-Projektleiter Prof. Kallmünzer erklärt: „Meist kommen wir an den anderen Standorten mit Fachärztinnen und -ärzten der Inneren Medizin oder der Notfallmedizin in Kontakt. Sie können ein Telekonsil mit uns anfordern und auf unser Schlaganfall-Wissen zurückgreifen. Wir schauen uns die Patientin oder den Patienten dann per Kamera aus der Ferne an und geben Hinweise zur Untersuchung und zur Therapie. Auch CT- und MRT-Bilder können wir uns mit ansehen.“ Über 3.300 dieser Telekonsile führen die Erlanger Expertinnen und Experten jährlich durch. So erhalten auch diejenigen Betroffenen schnell eine Thrombolyse, die kein speziell ausgebildetes Personal in der Nähe haben. Für Thrombektomien oder neurochirurgische Eingriffe können die Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten dann auch in eines der drei großen STENO-Zentren Erlangen, Nürnberg oder Bayreuth verlegt werden. „Wenn alles schnell geht, ist die Prognose heute nach einem Schlaganfall deutlich besser als vor 20, 30 Jahren“, sagt Prof. Kallmünzer. „Früher hat man einfach abgewartet – heute haben wir wirksame Therapien.“

Text und Fotos: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Herbst 2024

Schlaganfall erkennen: FAST

Face: Sieht das Lächeln normal aus oder hängt ein Mundwinkel nach unten? Dann deutet das auf eine Halbseitenlähmung hin.

Arms: Können beide Arme nach vorn gestreckt und die Handflächen nach oben gedreht werden? Wenn eine Seite absinkt, spricht das für eine Lähmung.

Speech: Kann ein einfacher Satz nachgesprochen werden? Geht das nicht oder ist die Sprache verwaschen, weist das auf eine Sprachstörung hin.

Time: Sofort die 112 wählen und die Symptome schildern!

In Zahlen

Schlaganfallpatientinnen und -patienten sind meist 60 Jahre alt oder älter. Jährlich trifft es 270.000 Deutsche, bis zu 40 Prozent von ihnen bleiben im Alltag mehr oder weniger beeinträchtigt. Der Schlaganfall ist zudem die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Männer haben ein deutlich höheres Schlaganfallrisiko als Frauen.

Zitat

„70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar.“

PD Dr. Stefan Gerner