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„Wir können nicht heilen, aber wir können da sein“

Zeit, ein offenes Ohr und menschliche Wärme – die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Klinik-Besuchsdiensts Erlangen e. V. schenken Kraft, wo eine medizinische Behandlung allein nicht ausreicht. Und das auf vielfältige Weise.

"I ess dann amol a Stückla Kuucha“ – „Das ganze oder die Hälfte?“ – „Freilich das ganze!“ – Ein Stück Erdbeerkuchen landet auf dem Teller von Renate Werner*. Dazu gibt es Kaffee – mit einem „Schlückla“ Milch und einem Stück Zucker. Mit fünf Mitpatientinnen und -patienten sitzt Renate Werner im Aufenthaltsbereich der Station D2 der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie. Rotes Sofa, helle Holztische, Tageslicht. Die Atmosphäre ist freundlich, die Stimmung gelöst. Hier beim Patientencafé im Internistischen Zentrum des Uniklinikums Erlangen spenden nicht nur warme Getränke und süße Leckereien Kraft: Es sind vor allem die Gespräche und der Austausch untereinander, die neue Energie geben. Vor rund zehn Jahren wurde das offene Angebot von der Medizin 5 ins Leben gerufen. Seitdem findet es jeden Montag um 15.00 Uhr statt – eine Anlaufstelle für Menschen, die mit einer schweren Diagnose leben müssen und damit nicht allein bleiben wollen.

Verein gegen die Einsamkeit

„Einsamkeit macht krank. Zwischenmenschlicher Kontakt hingegen ist – ergänzend zur medizinischen Behandlung – eine wichtige Zutat für Gesundheit“, sagt Elisabeth Preuß, Erste Vorsitzende des Klinik-Besuchsdiensts Erlangen e. V. „Deshalb möchten wir den Patientinnen und Patienten auf ihrem Weg zur Heilung beistehen.“ Seit mittlerweile mehr als 50 Jahren setzen sich die Mitglieder des Vereins mit viel Herz, Leidenschaft und Empathie für Patientinnen und Patienten des Uniklinikums Erlangen und weiterer Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in der Hugenottenstadt ein – und zwar auf unterschiedliche Weise: Sie machen kleinere Besorgungen, etwa in der Apotheke, vermitteln günstige Übernachtungsmöglichkeiten für Angehörige oder unterstützen Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse mit Übersetzungen. 

Vor allem aber schenken sie Patientinnen und Patienten Zeit und Nähe – durch persönliche Besuche am Krankenbett und das wöchentliche Patientencafé im Internistischen Zentrum des Uniklinikums Erlangen: „Es sind immer wieder Menschen in Behandlung, deren Angehörige weiter weg wohnen, die selbst nicht mehr mobil sind oder die niemanden mehr in ihrem Leben haben, der sie besuchen könnte. An sie richtet sich unser kostenloses Angebot – aber auch an alle, die einfach mal mit einer anderen Person über ihre Erkrankung, ihre Sorgen, aber auch ganz alltägliche, leichte Themen sprechen möchten“, erläutert Elisabeth Preuß. „Patientinnen und Patienten, die sich Kontakt wünschen, können sich direkt in unserer Geschäftsstelle, über das Pflegepersonal oder Ärztinnen und Ärzte bei uns melden oder zum Patientencafé kommen“, erklärt Brigitta Läger, Geschäftsführerin des Vereins.

Vor allem aber schenken sie Patientinnen und Patienten Zeit und Nähe – durch persönliche Besuche am Krankenbett und das wöchentliche Patientencafé im Internistischen Zentrum des Uniklinikums Erlangen: „Es sind immer wieder Menschen in Behandlung, deren Angehörige weiter weg wohnen, die selbst nicht mehr mobil sind oder die niemanden mehr in ihrem Leben haben, der sie besuchen könnte. An sie richtet sich unser kostenloses Angebot – aber auch an alle, die einfach mal mit einer anderen Person über ihre Erkrankung, ihre Sorgen, aber auch ganz alltägliche, leichte Themen sprechen möchten“, erläutert Elisabeth Preuß. „Patientinnen und Patienten, die sich Kontakt wünschen, können sich direkt in unserer Geschäftsstelle, über das Pflegepersonal oder Ärztinnen und Ärzte bei uns melden oder zum Patientencafé kommen“, erklärt Brigitta Läger, Geschäftsführerin des Vereins.

„Bei unseren Besuchen geht es um die Patientinnen und Patienten. Wir möchten ihnen den Raum geben, den sie gerade brauchen.“

Dorothee Wolf

Einfach da sein

„Wir können die Erkrankungen nicht heilen, aber wir können für die Betroffenen da sein“, sagt Dorothee Wolf, eine von rund 70 Ehrenamtlichen des Klinik-Besuchsdiensts. Sie und zwei Kolleginnen begleiten gemeinsam mit dem Psychoonkologischen Dienst des Uniklinikums Erlangen und mit Unterstützung der Klinikseelsorge das Patientencafé im Internistischen Zentrum. Zusätzlich besucht sie seit mehr als zehn Jahren regelmäßig Patientinnen und Patienten in ihren Zimmern. Sie weiß, worauf es im Gespräch mit einer schwer kranken Person ankommt: zuhören können ist essenziell. „Bei unseren Besuchen soll es nicht um uns gehen, sondern um die Patientinnen und Patienten. Wir möchten ihnen den Raum geben, den sie gerade brauchen“, erklärt die 63-Jährige. Den Menschen als Ganzes sehen – darum geht es. Zugewandt sein, spüren, welches Bedürfnis gerade da ist: Möchte jemand weinen, sprechen, lachen oder einfach nur gemeinsam schweigen? Das Ehrenamt beim Klinik-Besuchsdienst erfordert viel Feingefühl und Menschenkenntnis.

Geben und Nehmen

„Viele unserer Ehrenamtlichen waren zuvor in der Pflege tätig – sie haben ein Gespür für das, was gerade wichtig ist“, weiß Brigitta Läger. „Wir bieten ihnen auch regelmäßig Kommunikationsseminare an, in denen sie auf verschiedene Gesprächssituationen vorbereitet werden.“ Doch Fachwissen ist nicht entscheidend – davon ist Dorothee Wolf überzeugt: „Niemand muss bei uns medizinische Expertin oder medizinischer Experte sein. Von Herzen das aufrichtige Bedürfnis zu haben, helfen zu wollen – das ist eigentlich die beste Voraussetzung.“ Und: Das Ehrenamt beim Klinik-Besuchsdienst ist auch für die Besuchenden erfüllend. „Viele unserer Mitglieder sagen, dass sie aus den Besuchen viel für sich selbst und ihr weiteres Leben mitnehmen können – sie zehren regelrecht davon“, berichtet Elisabeth Preuß. Dies durfte auch Margita Müller schon mehrfach erfahren. 

Herzensorte
Die Ehrenamtlichen des Klinik-Besuchsdiensts e. V. sind am Uniklinikum Erlangen in der Kinder- und Jugendklinik, der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik, der Strahlenklinik, der Frauenklinik und der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie im Einsatz.

Die 73-Jährige ist seit beinahe 20 Jahren für den Klinik-Besuchsdienst im Einsatz. Zu Beginn begleitete sie Patientinnen und Patienten in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik, heute widmet sie ihre Zeit vor allem der Kinder- und Jugendklinik sowie der Frauenklinik. Eine Patientin ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: eine junge Frau, die wegen ihres Suizidversuchs in der Psychiatrie in Behandlung war. „Man konnte richtig beobachten, wie schlecht es ihr anfangs ging, wie düster ihre Gedanken waren – und wie gestärkt sie nach all den Wochen auf der Station nach Hause gehen konnte. Dazu konnte ich auch ein Stück beitragen. Das hat mich sehr gefreut!“ Mehrere Monate nach ihrer Entlassung fand Margita Müller dann plötzlich eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter: Die junge Patientin hatte versucht, sie zu erreichen. In der Sprachnachricht bedankte sie sich für die Besuche – und erzählte, dass es ihr inzwischen sehr viel besser gehe. „Das hat mich damals wie heute zutiefst berührt“, erinnert sich Margita Müller und lächelt sanft.

Reden hilft

Auch wenn viele Begegnungen positiv und stärkend sind, können die teils sehr schweren Schicksalsschläge der Patientinnen und Patienten emotional belasten. „Man nimmt schon mal die eine oder andere Geschichte mit nach Hause“, berichtet Dorothee Wolf. 

„Dann ist es wichtig, das Erlebte gut zu verarbeiten.“ Auch hier ist keines der Vereinsmitglieder auf sich allein gestellt; regelmäßige vereinsinterne Gespräche sowie Supervisionen durch eine externe Fachperson geben den Ehrenamtlichen einen geschützten Raum, um sich auszutauschen – und gemeinsam einen Weg zu finden, mit belastenden Ereignissen und Emotionen umzugehen. „Mit anderen darüber zu reden, hilft!“, weiß Margita Müller aus jahrelanger Erfahrung. Und auch Brigitta Läger betont: „Das Wohl unserer Ehrenamtlichen liegt uns sehr am Herzen. Sie sollen sich selbst stabil fühlen und unbedingt auch ihre eigenen Grenzen achten. Nur so können sie für andere da sein.“

Aus Fremden werden Bekannte

Das Gespräch im Patientencafé ist in vollem Gang: Es geht ums Wetter, das Spiel der Frauenfußballnationalmannschaft am Vorabend und die Parkplatzsituation in Erlangen. „Es ist zwar nur ein Nachmittag pro Woche. Aber eben ein Nachmittag, an dem man ein bisschen Kurzweiligkeit erleben und auf andere Gedanken kommen kann“, sagt Dr. Martina Madl, leitende Psychologin des Psychoonkologischen Diensts, eines Bereichs der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen begleitet sie jedes Jahr rund 2.500 Krebspatientinnen und -patienten sowie Angehörige bei der Krankheitsbewältigung. Auch der Psychoonkologische Dienst steht Betroffenen beim Patientencafé zur Seite – denn auch Ängste und Sorgen sollen hier Raum haben dürfen: „Wenn wir merken, dass einer Patientin oder einem Patienten etwas auf der Seele liegt, ziehen wir uns in eine ruhige Ecke zurück und sprechen mit ihr oder ihm unter vier Augen – so können wir individuell auf die Bedürfnisse der Anwesenden eingehen“, erklärt Dr. Madl.

Plötzlich stößt eine Frau zur Runde hinzu. Dorothee Wolf, die auch heute wieder vor Ort ist, erkennt das Gesicht: „Hallo, Frau I., wie schön, Sie wiederzusehen!“, begrüßt sie die Patientin. „Setzen Sie sich doch, möchten Sie ein Stück Kuchen?“ Yadikar I. nickt freudig: „Hallo, Frau Wolf! Ja, sehr gern! Wie war Ihr Urlaub?“ 

Beide wirken vertraut – sie haben sich vor mehreren Wochen im Patientencafé kennengelernt. Zwischenzeitlich war Yadikar I. zu Hause. Seit heute ist sie für den nächsten Zyklus ihrer Chemotherapie zurück auf der Station D2. „Manche Gäste sehen wir nur ein Mal, andere kommen öfter“, erzählt Dorothee Wolf. „Dann werden aus Begegnungen Bekanntschaften – und manchmal aus Bekanntschaften sogar Freundschaften.“ Diese Erfahrung machte auch Margita Müller: Über ein Jahr begleitete sie eine Patientin der Frauenklinik – alleinstehend, Ehemann und Sohn bereits verstorben. „Ich besuchte sie jede Woche. Während ihrer Chemotherapie verbrachten wir viele Stunden zusammen. Inzwischen ist sie nur noch ambulant ans Uniklinikum angebunden – aber wir stehen bis heute in Kontakt!“

„Einsamkeit macht krank. Zwischenmenschlicher Kontakt hingegen ist – ergänzend zur medizinischen Behandlung – eine wichtige Zutat für Gesundheit.“

Elisabeth Preuß

Wie alles begann
Der Klinik-Besuchsdienst Erlangen e. V. entstand aus einer kleinen Gruppe engagierter Erlangerinnen, die einsamen Patientinnen und Patienten beistehen wollten. Aus ersten Besuchen wurde ein fester Zusammenschluss – 1974 wurde der Verein gegründet, der heute unter dem Dach des Diakonischen Werks Bayern aktiv ist.

Neue Mitglieder herzlich willkommen

„Es ist wirklich beeindruckend, was die Ehrenamtlichen leisten. Viele sind schon 10, 15, 20 oder sogar 30 Jahre dabei. Das ist wirklich bemerkenswert“, betont Elisabeth Preuß. „Allein im vergangenen Jahr haben unsere Mitglieder rund 500 Patientinnen und Patienten am Uniklinikum Erlangen besucht, 66-mal kamen unsere Dolmetscherinnen und Dolmetscher zum Einsatz. Und: Wir konnten etwa 300 Übernachtungen ermöglichen.“ Auf die Frage, was sie sich für die Zukunft des Klinik- Besuchsdiensts wünschen, sind sich Elisabeth Preuß und Brigitta Läger einig: „Wir freuen uns immer über neue Mitglieder – ob jung oder alt, Mann oder Frau, Medizinbezug oder nicht – alle sind herzlich willkommen. Auch wenn jemand eine Wohnung oder ein einzelnes Zimmer an Angehörige vermieten möchte – wir suchen immer nach neuen Übernachtungsquartieren.“

Der Nachmittag im Patientencafé neigt sich langsam dem Ende zu. „Mei, die Zeit is ja davongerannt!“ – Renate Werner blickt erschrocken auf die Uhr; sie muss zurück in ihr Zimmer – die nächste Untersuchung steht an. Doch bevor sie geht, bedankt sie sich herzlich fränkisch: „Na, meine Damen, des ham S’ fei wirklich schee gmacht!“ Und so bleiben am Ende des Nachmittags ein paar Krümel auf dem Kuchenteller – und ein warmes Gefühl im Herzen.

*Name von der Redaktion geändert

Weitere Informationen

Text: Magdalena Högner/Uniklinikum Erlangen; Fotos: Magdalena Högner/Uniklinikum Erlangen; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Herbst 2025